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ESG in der Vergütung – ein entscheidender Hebel für nachhaltige Veränderung

Institutionelle Investorinnen und Investoren diskutieren bereits seit Jahren über den Einfluss von Nachhaltigkeit auf die Investmentrendite. Doch nun wird auch der regulatorische Druck immer stärker – zum Beispiel durch den europäischen Green Deal. Mittlerweile gilt weltweit, dass Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) einen Einfluss auf die Rendite haben.

Doch nicht nur Investorinnen und Investoren fordern signifikante Veränderungen der Geschäftspraktiken ein. Regulierungsbehörden verfolgen eine aggressive Nachhaltigkeitsagenda und zwingen Unternehmen zu entschlossenem Handeln. Kunden kaufen zunehmend verantwortungsbewusst und meiden Produkte mit einem schlechten sozialen und ökologischen Fußabdruck. Und schließlich legen immer mehr Mitarbeitende großen Wert darauf, durch ihre Arbeit einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Darüber hinaus zeigen diverse Studien eine positive Korrelation zwischen einer klaren ESG-Strategie und positiver finanzieller Unternehmensperformance. In einer Meta-Analyse von 200 Studien in den letzten 40 Jahren zum Zusammenhang zwischen ESG-Zielen und dem finanziellen Erfolg von Unternehmen kommen Friede, Busch und Bassen (siehe „Mehr zum Thema“) zu dem eindeutigen Ergebnis, dass der unterstellte positive Zusammenhang mehrheitlich von den analysierten Studien bestätigt wird. Dieser Befund ist über den Zeitablauf und zwischen Regionen stabil.

Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen Arabesque Partners und die University of Oxford, die in einer Meta-Studie von ebenfalls rund 200 wissenschaftlichen Studien die Wirkung von ESG-Strategien untersucht haben. Auch in dieser Analyse bestätigen sich die positiven Effekte einer klaren ESG-Strategie auf die finanzielle Performance, Aktienkursentwicklung und Kapitalkosten von Unternehmen. Laut dieser Studie ist Nachhaltigkeitsmanagement sowohl auf Management- als auch auf Investorenseite ein grundlegendes Thema für die nächsten Dekaden. Um erfolgreich in diesen veränderten Kontexten zu agieren, gilt es für Unternehmen, sich im Kern nachhaltig zu verändern.

Wie kann ein solch tiefgreifender Wandel gestaltet werden? Um im Kern nachhaltig zu werden, bedarf es eines weitreichenden Transformationsprozesses, der Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt des Unternehmens stellt und im organisationalen Selbstverständnis verankert ist. Dies beginnt bei den innersten Fragen einer Organisation, ihrem Zweck und ihrem Beitrag zur Gesellschaft zusammen mit der gelebten Kultur. Nachhaltigkeit muss zentral in die strategischen Eckpfeiler integriert und in einem langfristigen Business Case verbunden werden.

In dem anknüpfenden Transfer des strategischen und kulturellen Zielbilds nehmen die „People“-Instrumente eine maßgebliche Rolle ein – insbesondere die Integration in die organisationalen Vergütungssysteme.

Rechtliche Anforderungen aus Vergütungssicht

Neben den Anforderungen von Investoren und Stimmrechtsberatern stellen rechtliche Anforderungen eine weitere treibende Kraft zur Anwendung von ESG-Zielen dar. Der Gesetzgeber hatte im Jahre 2009 auf die Finanzkrise 2008/09 mit dem Vorstandsvergütungsangemessenheitsgesetz (VorstAG) reagiert und unter anderem folgende Neuformulierung in § 87 I AktG verankert:

„Die Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Variable Vergütungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben.“

Mit dem Inkrafttreten des VorstAGs wurde kon-trovers diskutiert, inwiefern die mehrjährige Bemessungsgrundlage in § 87 I 3 ausreichend sei, um die variable Vorstandsvergütung an der nachhaltigen Unternehmensentwicklung auszurichten. Die herrschende Meinung hatte den Nachhaltigkeitsbegriff ausschließlich auf eine zeitliche Dimension reduziert. Minderheitsmeinungen hatten neben der zeitlichen Perspektive auch eine inhaltliche Interpretation des Nachhaltigkeitskonzepts nach dem sogenannten Drei-Säulen-Konzept aus sozialen, ökonomischen und ökologischen Leistungsindikatoren eingefordert. Als Beispiele hierfür lassen sich die Vorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur Einbeziehung nicht finanzieller Aspekte in die Vorstandsvergütung sowie die „Arbeitshilfen für Aufsichtsräte: Angemessene Vorstandsvergütung“ anführen, welche die Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte. Auffällig an den vorstehenden Empfehlungen ist die Betonung der Mitarbeiterzufriedenheit (DGB-Index „Gute Arbeit“) für die Vorstandsvergütung, die lediglich eine soziale Determinante der Nachhaltigkeitskonzeption darstellt.

Regulatorische Schritte

Der Aktionsplan Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance 2012 formulierte nächste regulatorische Schritte, die schließlich unter anderem in der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der RL 2007/36/EG („Aktionärsrechterichtlinie“, ARUG) umgesetzt wurden. Die neu gefasste Aktionärsrechterichtlinie zielte darauf ab, „die Leistung von Mitgliedern der Unternehmensleitung […] anhand sowohl finanzieller als auch nicht finanzieller Kriterien, gegebenenfalls einschließlich ökologischer, sozialer und Governance-Faktoren“ zu bewerten. Im Sommer 2019 hatte die Bundesregierung eine kontroverse Diskussion zur Reichweite der künftigen Say-on-Pay-Regulierungen geführt. Der Regierungsentwurf für ein ARUG II sah noch vor, den Begriff Nachhaltigkeit durch den Terminus Langfristigkeit in § 87 I 2 AktG zu ersetzen. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 13. November 2019 hatten sich allerdings für die Terminologie „nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft“ ausgesprochen. Die Bundesregierung schloss sich dieser Sichtweise bei der Verabschiedung des ARUG II an.

Der aus gesell­schaftlicher Perspektive unstrittige Wunsch nach Schutz und Verbesserung von ökologischen und sozialen Rah­menbedingungen fällt auch bei Unternehmen und In­vestoren zunehmend auf fruchtbaren Boden.

Damit darf sich die Ausrichtung der variablen Vorstandsvergütung an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung nicht nur auf eine Berücksichtigung von langfristigen Zielen konzentrieren. Überdies müssen nicht finanzielle Parameter (Sozial- und Umweltziele) künftig zwingend einbezogen werden. Die Entwicklung der gesetzlichen Anforderungen in Deutschland ist dabei nicht isoliert zu sehen. In anderen Ländern gibt es ähnliche Entwicklungen. So ist die Nutzung von ESG-Zielen im Bereich der Vorstandsvergütung auch in Frankreich gesetzlich verankert.

Marktpraxis zur Nutzung von ESG-Zielen aus Vergütungssicht

Der Mercer Spot Survey on Environmental, Social, and Governance (ESG) Incentive Plan Metrics zeigt, dass ESG-Ziele bereits in der Mehrzahl großer europäischer Unternehmen Eingang in die Vergütung gefunden haben (siehe Abbildung 1). Diese Ziele werden zumeist in den einjährigen variablen Vergütungen (Short Term Incentives, kurz: STI) aufgenommen. In Anbetracht der nachhaltigen und langfristigen Orientierung der ESG-Ziele hätte man eine stärkere Nutzung in der mehrjährigen variablen Vergütung (Long Term Incentives, kurz: LTI) erwarten können, jedoch kann eine einfachere und für die Unternehmen gewohntere Operationalisierung von ESG-Zielen mit einjähriger Laufzeit den Ausschlag für die stärkere Nutzung in den STI gegeben haben.

Dieselbe Studie zeigt, welche Arten von ESG-Zielen in den STI und LTI europäischer Unternehmen genutzt werden. Der Fokus liegt stark auf Umweltaspekten (Environmental), aber auch auf mitarbeiterbezogenen Zielen (Employee Engagement/Culture), die in den europäischen STI sogar am meisten genutzt werden (siehe Abbildung 2).

Ausblick

Es gab wahrscheinlich selten eine so große Einigkeit zwischen gesellschaftlichen sowie Unternehmens- und Investoreninteressen wie hinsichtlich der Bedeutung von ESG-bezogenen Fragestellungen. Der aus gesellschaftlicher Perspektive unstrittige Wunsch nach Schutz und Verbesserung von ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen fällt auch bei Unternehmen und Investoren zunehmend auf fruchtbaren Boden. Zum einen fordern organisationale Stakeholder verstärkt zu einem breiteren unternehmerischen Verantwortungsverständnis auf.  Zum anderen zeigt eine signifikante empirische Evidenz die positive Wirksamkeit von ESG-Zielen auf die Unternehmens- und Mitarbeiterperformance.

Dr. Björn Hinderlich
Mitglied des Rewards Leadership Teams
Central & Eastern Europe
Career & Workforce Solutions, Mercer
bjoern.hinderlich(*)mercer(.)com
www.mercer.com

Kai Anderson
Transformation Lead International
Mercer
kai.anderson(*)mercer(.)com
www.mercer.com