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Equal Pay in Unternehmen: gegen den fatalen Mut zur Lücke

Nahezu jedes Unternehmen schreibt sich Fairness, Transparenz und Chancengleichheit ins Leitbild. Doch spätestens bei der Bezahlung gleichwertiger Arbeit zeigt sich eine deutliche Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Um Equal Pay zu mehr als einem Slogan zu machen, müssen Unternehmen unbequeme Wahrheiten akzeptieren und ihren Blick auf den Mitarbeiter verändern.

Chancengleichheit? Haben wir doch!

Bringen externe Stakeholder das Thema Chancengleichheit im Unternehmen zur Sprache, ernten sie oft reflexartige Bekräftigungen: Haben wir, leben wir, kommunizieren wir! Schnell sind Statistiken zum Frauenanteil im Unternehmen und in Führungspositionen zur Hand, Elternzeitmodelle werden umrissen, Karriereprogramme für alle heruntergebetet. So wichtig diese Equal-Opportunity-Maßnahmen sind, so deutlich zeigt sich bei einem genaueren Blick, dass diese oft nur an der Oberfläche kratzen.

Nirgends wird dies klarer als bei der unterschiedlichen Vergütung von Männern und Frauen. Laut statistischem Bundesamt beträgt die Gender Pay Gap derzeit 20 Prozent. Eine Frau verdient demnach 4,44 Euro brutto pro Stunde weniger. Allerdings vergleicht dieser Wert unterschiedliche Branchen und Job-Level und liefert damit ein unbereinigtes Ergebnis, dessen Aussagekraft bis zu einem gewissen Punkt angezweifelt werden muss.

Doch selbst der bereinigte Gender Pay Gap liefert kaum Argumente dafür, dass gleiches Geld für gleiche Arbeit selbstverständlicher wird. Auch unter gleichen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen erhalten Frauen immer noch durchschnittlich 7 Prozent weniger Gehalt, wie unsere Praxisarbeit zeigt.

Die Mechanismen der Geschlechterdiskriminierung sind historisch gewachsen, tief in der Gesellschaft verwurzelt – und deswegen auch unsichtbarer. Darum greifen Equal-Opportunity-Maßnahmen oft zu kurz oder gehen das Problem auf einer qualitativen Ebene an, die Themen wie Gehalt oder greifbare Entwicklungsmöglichkeiten ausklammert.

Dahinter steht eine (unbewusste) Einsicht: Die analytische Beschäftigung mit der eigenen Chancengleichheit anhand konkreter Zahlen zur Gehaltslücke wird das Unternehmen teuer zu stehen kommen. Schließlich kann man Fass Equal Pay nicht aufmachen und es kommentarlos wieder verschließen.

Doch die Investition ist nicht nur lohnend, sondern wird zunehmend zur Überlebensfrage. Entgeltgerechtigkeit ist ein zentrales Thema für die Außen- und Innenwirkung als Arbeitgeber sowie die Mitarbeitermotivation und -bindung. Transparente Strukturen auch auf Gehaltsebene sind ein unverzichtbares Signal an alle Stakeholder.

Der Blick auf das Wohl und die Anerkennung des Mitarbeiters hat aus jeder Perspektive an Schärfe gewonnen. Fachkräfte, Kunden, der Gesetzgeber, Shareholder, Investoren – alle bestrafen fehlende Entgeltgerechtigkeit zunehmend heftiger.

Aus dem Bias in den Bias: Woran Equal-Pay-Analysen scheitern

Die unterschiedlichen Werte der bereinigten und unbereinigten Gender Pay Gap signalisieren ein grundsätzliches Problem von Equal-Pay-Analysen: Welcher Bezugsrahmen soll die Faktoren definieren, nach denen die Entgeltgerechtigkeit ermittelt wird?

Branchenübergreifende, universelle Modelle funktionieren nicht. Sie gehen davon aus, dass es „weibliche“ und „männliche“ Branchen und Berufe gibt, und vergleichen finanzstarke mit finanzschwachen Industriezweigen. Hier ist der Geschlechter-Bias nicht nur immanent, sondern Definitionsgrundlage. Daraus lassen sich keine verlässlichen Werte zur Unternehmensrealität ableiten.

Doch auch fokussierte Betrachtungen innerhalb einer Branche – oder innerhalb eines Unternehmens – müssen scheitern, wenn die Mann-Frau-Thematik als Ausgangspunkt angesehen wird, insbesondere dann, wenn biographische Faktoren hinzukommen.

Die Biographie scheint jedoch ein logischer Variablensatz, weil hier quasi typisch männliche und weibliche Faktoren für besonders große Unterschiede sorgen (zum Beispiel Karriere versus Familie) und gleichzeitig eine tragfähige Erklärung für Gehaltsunterschiede liefern.

Jeder rein biographische Faktor nimmt das Ergebnis der Analyse vorweg und macht sie somit überflüssig. Zudem fördert jeder Faktor einen Analyse-Bias. Wird die Entgeltgerechtigkeit etwa über den Bildungsgrad analysiert, fördert dies Bias zugunsten von Stellen in Führungs- und Expertenlaufbahn.

Sollten trotz all dieser methodischen Schwächen halbwegs belastbare Daten gesammelt werden können, setzen sie keinerlei Impulse für eine grundsätzliche Betrachtung der Vergütungspolitik. Lassen sich Lohnunterschiede anhand von Variablen erklären, heißt das nicht, dass diese gerecht oder gerechtfertigt sind.

Will man Diskriminierungstendenzen in der Vergütungsstruktur nicht nur vollständig aufdecken, sondern auch beseitigen, benötigt man einen objektiven Bezugsrahmen – frei von Geschlecht, Biographie und ultimativ frei von gefühlter Realität.

Die Ausgangsfrage lautet nicht Wer, sondern Was wird bezahlt?

Die Stellenbewertung ignoriert den Stelleninhaber und legt den Fokus auf die funktionellen Anforderungen einer Position. Diese werden gewichtet, in Laufbahnen eingeordnet und zu anderen Stellen in Beziehung gesetzt. Die Verortung der Stelle in dieser Architektur bestimmt den Rahmen des Entgelts. 

Diese biographieneutrale Vergütungsstruktur ist der perfekte Ausgangspunkt, um mögliche Gehaltslücken mit maximaler Aussagekraft aufzudecken. Denn obwohl ein Unternehmen analytische Stellenbewertung nutzt und über Gehaltsbänder oder Ähnliches vergütet, heißt das nicht, dass es frei von Bias ist.

Aus den Daten der Stellenbewertung lässt sich eine bereinigte Gehaltslücke extrapolieren. Ausgangspunkt sind die Vergütungswerte des dominanten Geschlechts im Unternehmen. Sie bedingen die Erwartungswerte für das mindervertretene Geschlecht. Der Vergleich von Ist und Soll liefert die tatsächliche Gehaltslücke.

Fallbeispiel

  • Die unbereinigte Lücke liegt in Grade 10 bei –14 ­Prozent.
  • Nach Berücksichtigung der  niedrigeren Alters­struktur liegt die bereinigte Lücke bei –5,3 Prozent.
  • Ausreißer nach oben vor allem männlich und Aus­reißer nach unten vor allem weiblich

Die wertvolle Leistung einer Equal-Pay-Analyse über die Wertigkeit der Stellen ist vorrangig, dass (biographische) Diskriminierungsfaktoren erst als Vergleichsvariable in den Prozess eingebracht werden, ihn aber nicht bedingen. Die Ausgangsfrage lautet also nicht, wer in welcher Form bezahlt wird. Die Ausgangsfrage lautet, welche Arbeit in welcher Höhe vergütet werden sollte.

Damit bietet die Analyse gleichermaßen einen Ordnungsrahmen, eine tragfähige Methodik und einen Ausweg aus der Diskriminierung – mit einer deutlichen Zahl, die sich in einer Gehaltsanpassung widerspiegeln kann.

Ist Equal Pay gleich Equal Opportunity?

Allein mit einem angepassten Gehaltszettel kommen Unternehmen der Chancengleichheit nicht näher. Werden nicht alle Unternehmensstrukturen vom Bias befreit, bleibt Equal Pay nichts weiter als ein Lippenbekenntnis. Denn gleiches Geld für gleiche Arbeit ist nur ein Symptom einer umfassenden Equal-Opportunity-Kultur:

  • attraktive und geschlechtsunabhängige Formen der Erwerbsunterbrechung fördern
  • Karrieremöglichkeiten abseits traditioneller Präsenz- und Zeitmodelle anschieben
  • hochkarätige Fachfunktionen mit Verantwortung für strategische Fragen und Projekte installieren
  • Stellenbewertung anhand stellenspezifischer Anforderungen und benötigter Kompetenzen als Grundlage für Talent-Management und Recruiting nutzen
  • Vergütungsstrukturen ausschließlich an Grades und Level koppeln
  • Vergütungsspielraum durch Gehaltsbänder schaffen
  • Gehaltsanpassung mit Budgets zentral managen
  • Checks & Balances-System für die Überprüfung von Gehaltsanpassungen implementieren
  • Vergütungsphilosophie verabschieden und Maßnahmen davon ableiten
  • Gehälter von Mitarbeitern in Elternzeit virtuell anpassen (ggf. ohne leistungsbezogene Steigerungen)
  • professionelles Talent-Management aufsetzen

Auch die über das Gehalt hinausreichenden Punkte leben davon, dass der Mensch und seine Biographie bei der Strukturarbeit keine Rolle spielen. Sie bringen zum Ausdruck, auf welches Ziel jedes Unternehmen hinarbeiten sollte: Gleichberechtigung ist dann erreicht, wenn niemand mehr darüber sprechen muss.

Philipp Schuch
Gründer und Geschäftsführer
philipp.schuch(*)gradar(.)com
www.gradar.com