Frau Jahn, das BAG hat bestätigt, dass identifizierten Vergütungsunterschieden im Rahmen von Auskunftsverfahren eine geschlechtsbasierte Benachteiligung zugrunde liegen kann. Arbeitgeber sind demnach verpflichtet, diese Benachteiligung zu widerlegen. Hat Sie diese Wendung überrascht?
Isabel Jahn: Nein, es war eher eine Frage der Zeit, bis die offene Frage nach der Konsequenz aus dem Auskunftsersuchen gemäß des Gesetzes noch einmal juristisch aufgegriffen wird. Wir erwarten mit Spannung die Argumentation des Unternehmens in der Widerlegung des Vorwurfs einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung.
Worin liegt die Brisanz der Beweislastumkehr?
Isabel Jahn: Vergütungsunterschiede müssen nicht per se geschlechtsspezifische Ursachen haben. Dafür gibt es vielfältige Ursachen, wie beispielsweise unterschiedliche Funktionsbereiche im Unternehmen, unterschiedliche Qualifikationen und Berufserfahrung, aber auch Aus- und Teilzeiten sowie individuelle Leistungen und anderes. Spannend aus Sicht von HR und Comp & Ben ist, welche der von dem Arbeitgeber angeführten Kriterien zur Entkräftung des Vorwurfs einer geschlechterspezifischen Diskriminierung in der Vergütung durch die Judikative akzeptiert beziehungsweise aus welchen Gründen sie abgewiesen werden. Dies werden wichtige Hinweise für Unternehmen sein, um rechtssichere Parameter eines geschlechtsneutralen Vergütungssystems zu definieren.
Wie sollten Arbeitgeber in entsprechenden Situationen reagieren?
Isabel Jahn: Unternehmen können und sollten sich durch die Systematisierung der Vergütungsstrukturen und Pay-Gap-Analysen auf derartige Szenarien vorbereiten, um im Fall der Fälle faktenbasiert argumentieren und souverän agieren zu können. Und angesichts der Wirkung entsprechenden Handelns dürfte klar sein, dass ein solches Projekt nicht beiläufig und allein auf Expertenebene angegangen werden sollte. Hierbei muss das Management die zentralen Impulse geben.
Welche Möglichkeiten sehen Sie konkret?
Isabel Jahn: Das Vorgehen in einem Gender-Pay-Projekt divergiert natürlich von Unternehmen zu Unternehmen. Grundsätzlich braucht es zunächst Klarheit über die Vergütungsstrukturen und die Treiber von Vergütungshöhen. Ein modernes, breit implementiertes Grading ist in diesem Zusammenhang die zentrale Grundlage. Aber auch regelmäßige interne Analysen und externe Gehaltsvergleiche helfen, strukturelle Schwierigkeiten rechtzeitig zu identifizieren und gegenzusteuern. Die ermittelte Datenbasis fungiert im Weiteren als valide Basis für ergänzende statistische Analysen, über die bestehende Vergütungsunterschiede um Einflussfaktoren bereinigt werden, die nicht vom Geschlecht abhängen. Auf dieser Basis können Arbeitgeber bei Auskunftsanträgen nach den Entgelttransparenzgesetz eine entsprechende Argumentation aufbauen.
Nun scheint die Europäische Kommission eine härtere Gangart in Sachen Gender-Pay-Regulierung einzulegen. Was ist mit Blick auf das Thema noch zu erwarten?
Isabel Jahn: Laut dem bekannt gewordenen Richtlinienentwurf soll es künftig nicht nur erweiterte Berichtspflichten für Unternehmen geben. Es werden auch Handlungsanforderungen bei einer Gehaltslücke im Unternehmen von mehr als fünf Prozent formuliert, einschließlich der Erfordernis neben betriebsinternen Analysen auch Branchenvergleiche einzubeziehen. Das Verbot der Nachfrage nach dem aktuellen Gehalt in Einstellungsinterviews ist ebenso ein Thema.
Das schärfste Schwert wäre aber die diskutierte Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei ungerechtfertigten Gehaltslücken?
Isabel Jahn: In der Tat! Unternehmen, die bisher noch keine internen Systeme eingerichtet haben, um entsprechende Klagen zu entkräften und Berichts- und Vergleichspflichten abzudecken, müssen sich auf Schadensersatzzahlungen einstellen. Spätestens jetzt wird klar, dass ein Wegschauen bei diesem Thema nicht funktionieren wird. Es bleibt auf der Tagesordnung.
Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.