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„ERA ist endgültig in den Betrieben angekommen“

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Frau Glaser, der Tarifvertrag über das Entgelt-Rahmenabkommen in der Metall- und Elektroindustrie, kurz ERA, ist jetzt seit rund zehn Jahren in Kraft. Welche Bilanz können Sie heute ziehen?

 

Sabine Glaser: Unser Fazit fällt durchweg positiv aus. ERA gilt direkt für rund 1,8 Millionen Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie sowie für etwa 3.500 tarifgebundene Unternehmen. Die Ziele, die wir mit der Einführung von ERA verbunden haben, wurden durchweg erreicht. Das gilt zuerst für die Aufhebung der Trennung von Arbeitern und Angestellten beim Entgeltsystem. Heute finden beide Beschäftigtengruppen ein einheitliches und modernes System vor. Das betrifft die Grundentgelte ebenso wie Leistungsvergütungen. Dadurch können die Betriebe entsprechend den ERA-Kriterien über alle Beschäftigtengruppen hinweg Funktionen bewerten und leistungsgerecht vergüten. Das ist eine enorme Erleichterung für die Betriebe.

 

Der Anteil der Mitarbeiter und Unternehmen, die branchenübergreifend einer Tarifbindung unterliegen, ist in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Wie hat sich diesbezüglich die Einführung des ERA ab September 2003 ausgewirkt?

 

Sabine Glaser: Wir stellen eine hohe Akzeptanz des einheitlichen Tarifsystems bei den Arbeitgebern fest. So ist es uns als Verband auch gelungen, dank ERA Unternehmen als Mitglieder zurückzugewinnen. Zudem orientieren sich zahlreiche weitere Betriebe, die nicht Mitglieder eines regionalen Arbeitgeberverbandes sind, an ERA. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass viele Arbeitgeber – gerade kleine und mittlere Unternehmen – die Systematik und die Flexibilität schätzen, die der Vertrag bietet. Zum anderen stellen natürlich viele Betriebe fest, dass ein großer Teil der Branche auf ERA umgestellt hat und sie damit wettbewerbsfähige Strukturen und Vergütungen anbieten können.

 

Das alles klingt perfekt, doch die Umstellung auf ERA hat die Betriebe sicher vor große Aufgaben gestellt.

 

Sabine Glaser: In der Tat waren die ersten Jahre für viele Arbeitgeber, aber auch Arbeitnehmer hart. Deshalb gab es die Einführungsphase, die in einigen Regionen bis 2009 lief. Betriebe konnten die Einführung teilweise sogar bis 2011 verschieben. Für Bayern gelten hier noch weitere Öffnungsklauseln. Doch die ganz überwiegende Zahl der tarifgebundenen Unternehmen arbeitet heute problemlos mit ERA. Der Kraftakt der ersten Jahre bestand darin, dass die Arbeitgeber alle ihre Aufgaben entsprechend den Stellen vielleicht sogar komplett neu beschreiben und neu bewerten mussten. Wer sich zuvor lange nicht um sein Vergütungsmodell gekümmert hatte, der hatte einiges nachzuholen. Zudem bescherte die Eingruppierung der Belegschaften in das neue Entgeltsystem manchem Beschäftigten eine höhere Eingruppierung bzw. ein höheres ERA-Entgelt und umgekehrt. Das hat, obwohl niemand weniger verdient hat, selbstverständlich Diskussionen und Konflikte in den Betrieben verursacht. Aber das waren Anfangsschwierigkeiten, jetzt ist ERA endgültig in den Betrieben angekommen und akzeptiert.

 

Welche Gradingmethodik kommt beim ERA zum Einsatz?

 

Sabine Glaser: Grundsätzlich ist ERA in jedem Tarifgebiet spezifisch ausgestaltet. Insgesamt haben wir elf verschiedene ERA-Tarifregionen in Deutschland. Das Grundgerüst der Tarifverträge sowie die genannten Hauptziele sind in jeder Region gleich. Die regional unterschiedlichen Ausgestaltungen betreffen beispielsweise die Systematik für das Grundentgelt. Die meisten Tarifgebiete verwenden ein summarisches Verfahren, während die beiden mitarbeiterstarken Regionen Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg analytische Verfahren nutzen. Auch in der Leistungsvergütung lassen sich regionale Unterschiede beobachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um ein reines analytisches Verfahren im Sinne von Tätigkeits- und Stellenprofilen handelt. Vielmehr schauen sich die Verantwortlichen die für die einzelnen Arbeitsaufgaben erforderlichen Merkmale wie zum Beispiel Kenntnisse und Kompetenzen anhand von Bewertungskriterien an und bilden am Ende eine Gesamtbewertung.

 

Wie sind laut ERA der Tarifbereich und der außertarifliche Bereich voneinander abgegrenzt?

 

Sabine Glaser: Die meisten Tarifregionen haben den außertariflichen Bereich in ihren Verträgen per Definition aus dem Geltungsbereich herausgenommen, in der Regel dadurch, dass sie Abstandsgebote mit bestimmten Grenzbeträgen oberhalb der höchsten Tarifentgeltstufe festschreiben. Andere Regionen verzichten in ihren Tarifverträgen auf eine Abgrenzung und eröffnen dadurch ihren Mitgliedsunternehmen die zumindest theoretische Möglichkeit, auch ihre AT-Beschäftigten nach ERA zu bewerten. Vor allem aber sind die Leistungsvergütung, die variable Vergütung und Boni sowie der Umfang der Benefits für Beschäftigte, die nach Tarif bzw. außertariflich vergütet werden, verschieden ausgestaltet. Schließlich sind AT-Mitarbeiter in der Regel keine Gewerkschaftsmitglieder, so dass für sie andere Bewertungs- und Vergütungsmodelle vereinbart werden können.

 

Die Arbeitswelt verändert sich permanent und wird sich laut allen Prognosen in den kommenden Jahren noch viel stärker wandeln. Wie flexibel ist ERA, wenn es darum geht, Anpassungen bei Ausrichtungen vorzunehmen und neue Stellenprofile zu integrieren?

 

Sabine Glaser: Über Arbeit 4.0 wird viel diskutiert, und es gibt viele Prognosen. Aus meiner Sicht stellt dieses Thema eine Evolution und weniger eine Revolution dar. Somit sind die Tarifunternehmen mit ERA gut aufgestellt. Neue Aufgabenbeschreibungen lassen sich sowohl im summarischen als auch im analytischen Bereich gut nachvollziehen. ERA bringt alle erforderlichen Bausteine mit, um neue Funktionen und Profile damit abzubilden. Das Vertragswerk umfasst über den Vertragstext hinaus meist noch umfangreiche Niveau- und Orientierungsbeispiele. Anhand dieser Vorlagen können Unternehmen neue Funktionen und neue Kompetenzen leichter bewerten. Es ist ratsam, sie in regelmäßigen Zeitabständen auf ihre Aktualität hin zu überprüfen. Häufig bekommen wir von Gesamtmetall Hinweise und Empfehlungen zu den Bedürfnissen und eventuell notwendigen Ergänzungen von unseren Mitgliedern in den Regionen. Die Anregungen dazu kommen aus den Unternehmen. So unterstützen wir uns gegenseitig, um stets auf dem aktuellen Stand zu sein.

 

Das Interview führte Dr. Guido Birkner