Die Mitarbeiterbeteiligung hat es in Deutschland nicht leicht. Während Politik, Verbände und Unternehmen auf ungezählten Tagungen darüber debattieren, wie sich der betrieblichen Altersversorgung neues Leben einhauchen lässt, fristen Belegschaftsaktienprogramme ein Schattendasein – aber das mancherorts mit beachtlichem Erfolg.
Das Zinsniveau am Kapitalmarkt ist und bleibt wohl noch lange niedrig. Auch müssen sich Unternehmen aller Größen mit den Konsequenzen des demographischen Wandels auseinandersetzen. „Vor diesem Hintergrund sollten die Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg und die Gewinnung von Fachkräften für die Arbeitgeber Priorität besitzen“, so Jörg Ziegler, Senior-Manager bei KPMG und Sprecher des Netzwerks GEO DACH. „Doch die aktienbasierte Mitarbeiterbeteiligung steht trotz vieler Initiativen von Unternehmen und Verbänden nicht im Fokus der Politik.“ Entsprechend gering schätzt Ziegler die Chancen ein, dass der deutsche Gesetzgeber die steuerlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen für Beteiligungsprogramme bald verbessern wird.
Einige börsennotierten Unternehmen haben in den vergangenen zwei Jahren bestehende aktienbasierte Mitarbeiterbeteiligungsprogramme überarbeitet bzw. neue Programme aufgelegt und sie im In- und Ausland ausgerollt. „Somit bleibt unter dem Strich ein kleiner Anstieg bei der Zahl der börsennotierten Unternehmen, die ihren Mitarbeitern ein aktienbasiertes Mitarbeiterbeteiligungsprogramm anbieten“, resümiert Jörg Ziegler.
Von Genussrechten zu Mitarbeiteraktien: die Evonik Industries AG und ihr Aktienplan „Share“
Eines der Unternehmen, die zuletzt erstmals Aktien an ihre Mitarbeiter weitergegeben haben, ist der Spezialchemiekonzern Evonik Industries AG mit Sitz in Essen. Seit 24. April 2013 ist der Konzern an der Frankfurter Börse gelistet. Damit begann für das Unternehmen und seine Mitarbeiter ein neues Zeitalter, denn das bestehende Genussrechteprogramm „Mitwachsen“, das seit 2008 in Deutschland existierte, wurde 2014 durch den neuen Aktienplan „Share“ ersetzt. Seitdem haben die Beschäftigten in Deutschland und erstmals auch die Mitarbeiter in den USA und in Belgien jährlich im März die Möglichkeit, sich mit einem Betrag von bis zu 4.000 Euro an einer neuen Aktientranche zu beteiligen. Das Programm steht praktisch allen Mitarbeitern, die zum Stichtag seit mindestens sechs Monaten in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis zu einem einbezogenen Arbeitgeberunternehmen stehen, offen. Ausgenommen ist nur der Vorstand.
Für den gewünschten Betrag erwerben die Mitarbeiter einige Wochen später die entsprechende Anzahl an Evonik-Aktien auf der Basis des aktuellen Börsenkurses. Bis zu einem Eigeninvestment von 720 Euro gewährt das Unternehmen bereits zu Beginn zusätzlich Gratisaktien im Verhältnis von 2:1. Also erhält jeder Käufer für zwei erworbene Aktien eine Gratisaktie oben drauf. Alle Kauf- und Gratisaktien unterliegen einer Verkaufssperre von circa zweieinhalb Jahren.
„Wir haben am Anfang die Grundsatzentscheidung getroffen, dass wir für alle Länder einen einheitlichen Masterplan haben, der nur geringfügige landesspezifische Anpassungen vorsieht“, erläutert Kai Deharde, der bei Evonik im Bereich Compensation & Benefits tätig ist. „Die Einführung dieses Plans erfolgte dann auch zeitgleich im Inland und im Ausland.“ Die Administration wählt für Deutschland und die anderen Länder jedoch unterschiedliche Wege. Mitarbeiter in Deutschland halten persönliche Einzeldepots, die auch privat genutzt werden können. Für das Ausland werden die entsprechenden Aktien dagegen über zwei Sammeldepots administriert. Dieser Weg ist derzeit für die Belegschaftsaktionäre in den USA und in Belgien relevant. 2017 plant Evonik erstmals Mitarbeiteraktien in China und Singapur anzubieten.
Im Frühling ist bei Evonik Aktiensaison
Im März jedes Jahres haben die Mitarbeiter während der sogenannten Erwerbsfrist Zeit, Aktien zu kaufen. „Für die Mitarbeiter, die teilnehmen möchten, beträgt das Minimum pro Jahr zwei Aktien“, so Deharde. Anschließend lässt Evonik die Aktien über die Börse unter Beachtung der Safe-Harbor-Vorschriften kaufen. Auffallend ist, dass der Aktienkauf erst nach dem Beginn der Erwerbsfrist für die Mitarbeiter startet. Auf diese Weise sollen spekulative Käufe ausgeschlossen werden.
Die Rückkauffrist dauert bis zu sechs Wochen. Innerhalb dieser Frist sind die täglichen Käufe gesetzlich auf 25 Prozent des durchschnittlichen Handelsvolumens der vergangenen 20 Börsentage beschränkt. Die sechs Wochen unterteilen sich in eine erste und eine zweite Phase. In den ersten drei Wochen werden 50 Prozent der rechnerisch benötigten Aktienanzahl aus dem Anmeldevolumen des Vortages gekauft. In den folgenden Wochen werden die fehlenden 50 Prozent der rechnerisch benötigten Aktienanzahl erworben. Die Strategie des Aktienkaufs ist auf das Ziel ausgerichtet, den Aktienkurs so weit wie möglich zu schonen.
Ähnlich wie das Vorgängerprogramm auf der Basis von Genussrechten hat sich auch der Aktienplan bei den Mitarbeitern konzernweit gut etabliert. 2016 erwarben über 10.000 Mitarbeiter Evonik-Aktien, wobei das durchschnittliche Eigeninvestment rund 1.000 Euro betrug. Die konzernweite Teilnahmequote beläuft sich heute auf etwa 38 Prozent und ist so hoch wie noch nie. „Allein in Deutschland liegt die Beteiligung bei 43 Prozent“, berichtet Kai Deharde. „Der Vergleichswert in Belgien beträgt 23 Prozent, in den USA 15 Prozent.“ Hier sieht Evonik noch Ausbaupotenzial in den kommenden Jahren. „Gerade die hohe Beteiligung in Deutschland werten wir als Signal des Vertrauens unserer Mitarbeiter“, so Deharde. „Hier zeigt sich eine Kette, die bei unserem Genussrechteprogramm 2008 begann und bis heute fortdauert, auch wenn wir dazwischen den Umstieg auf die Aktie hatten.“
BayShare – das Aktienbeteiligungsprogramm von Bayer
Ein Beispiel für den langfristigen Erfolg von Mitarbeiterbeteiligung ist die Bayer AG. Das Life-Science-Unternehmen bietet seinen Beschäftigten in Deutschland seit 1953 verschiedene Kapitalbeteiligungsprogramme an. Lange Zeit hatte der Konzern die Kapitalbeteiligung mit einer Incentivierung durch Gratisaktien nach einer definierten Haltezeit verbunden. Doch 2005 hat sich Bayer davon verabschiedet. „Das BayShare-Programm in der aktuellen Form lässt sich deutlich leichter administrieren als die älteren Programmvarianten“, begründet Dirk Harhoff, HR-Experte der Bayer AG und für BayShare verantwortlich, den Ausstieg aus Gratisaktien. Neben dem Mitarbeiteraktienprogramm BayShare existieren in Deutschland heute noch zwei aktienbasierte Mitarbeiterfonds. Insgesamt halten die Beschäftigten 1 Prozent der Bayer-Aktien. Das entspricht zum Stand Ende 2015 mehr als 8 Millionen Aktien.
Am BayShare-Programm dürfen grundsätzlich alle Mitarbeiter aller Entgeltgruppen und Vertragsstufen sowie Auszubildende in Deutschland teilnehmen. Das schließt auch die Tochtergesellschaften von Bayer ein. Insgesamt waren 2015 circa 33.000 Beschäftigte teilnahmeberechtigt. Dazu zählten auch noch die Beschäftigten der Covestro, der früheren Chemie- und Kunststoffsparte, die seit September 2015 gesellschaftsrechtlich eigenständig ist und ein eigenes Aktienprogramm aufgelegt hat.
Die teilnehmenden Beschäftigten von Bayer erhalten einen Abschlag in Höhe von 20 Prozent auf den jeweiligen Zeichnungsbetrag. Sie müssen die erworbenen Aktien bis zum Ende des Folgejahres halten. Die Höhe der Zeichnungsbeträge hängt vom jeweiligen Mitarbeiterkreis ab. Der Mindestbetrag liegt bei 250 Euro. Auszubildende können Aktien im Gesamtwert von bis zu 1.800 Euro zeichnen. Für Tarif- und AT-Mitarbeiter beträgt die Obergrenze 2.500 Euro, für leitende Angestellte 5.000 Euro. Je nach Mitarbeiterstatus sind die Beteiligungsquoten unterschiedlich hoch. „Durch einen höheren Steuerfreibetrag als die aktuellen 360 Euro im Jahr würden sicher noch mehr Mitarbeiter unser Programm nutzen“, so Dirk Harhoff. „Ein höherer Freibetrag würde aus meiner Sicht gerade die Beschäftigten mit geringeren Einkommen motivieren, höhere Beträge zu investieren.“
Der Kaufpreis für die Bayer-Aktien wird bisher mit dem Stichtagsprinzip, bezogen auf den Xetra-Schlusskurs, festgelegt. Eine Umstellung auf die Ermittlung nach dem stichtagsbezogenen volumengewichteten Durchschnittskurs ist geplant. Der Arbeitgeber behält den Kaufpreis in sechs Raten ein. Bayer administriert den gesamten Plan selbst und greift dabei nicht auf externe Dienstleister zurück. Der Konzern arbeitet lediglich mit einer Depotbank zusammen. Entsprechend sind die Beschäftigten verpflichtet, ein Depot bei dieser Bank zu unterhalten. Die Abwicklung des Aktienkaufs und die Verteilung der Aktien auf die Depots erfolgt durch die Bank. Inzwischen bietet diese den Bayer-Mitarbeitern ein Depot kostenfrei mit einem zusätzlichem Girokonto an.
Gute Akzeptanz bei den Bayer-Mitarbeitern
Die Beteiligung der Mitarbeiter am BayShare-Plan ist in den vergangenen Jahren auf rund 34 Prozent gestiegen. Der durchschnittliche Zeichnungsbetrag beläuft sich auf fast 2.500 Euro. Je höher das Einkommen eines Mitarbeiters ist, desto mehr Aktien zeichnet er im Schnitt. Das Modell wird also von den Mitarbeitern gut angenommen. „BayShare ist im Rahmen des Vergütungspakets, das Bayer den Mitarbeitern bietet, ein wichtiger Baustein“, erklärt Dirk Harhoff. „Der Erwerb von Belegschaftsaktien ist für die Mitarbeiter eine Möglichkeit, Vermögen aufzubauen und die Altersvorsorge zu ergänzen.“
Bayer plant, BayShare fortzuführen. Dabei kann es punktuelle Modifikationen geben, beispielsweise bei einer künftigen Erhöhung des Steuerfreibetrags. Derzeit hat der Konzern noch kein allgemeines Aktienprogramm über alle anderen Länder etabliert, in denen der Konzern vertreten ist. Es laufen aber Aktienprogramme in verschiedenen Ausprägungen etwa in den USA, Australien, Belgien, Finnland, Irland, Kanada, Italien, Niederlande, Portugal, Spanien, Schweiz und Großbritannien.
Bayer hält weitere Angebote der aktienbasierten Vermögensbildung für die Beschäftigten in Deutschland bereit. So stehen ihnen zwei Mitarbeiter-Fonds zur Verfügung. Die Abwicklung der Fonds erfolgt in der Regel über das BayShare-Depot.
Der DEGEF-Bayer-Mitarbeiter-Fonds investiert hälftig in europäische Aktien und in Staatsanleihen, überwiegend von Euro-Ländern. Dabei existieren rund 10.000 Depots mit einem gesamten Fondvermögen von circa 85 Millionen Euro. Der LEA-Fonds DWS konzentriert sein Aktienportfolio ausschließlich auf europäische Werte. Der Fokus liegt auf den 50 im STOXX Europe vertretenen europäischen Unternehmen. Dieser Fonds ist für Anleger mit höherer Risikoneigung gedacht. Für ihn existieren circa 1.300 Depots mit einem gesamten Fondvermögen von rund 18 Millionen Euro.
Dr. Guido Birkner
verantwortlicher Redakteur Human Resources
FRANKFURT BUSINESS MEDIA – Der F.A.Z.-Fachverlag
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