Hohe Inflationsraten hat es in verschiedenen Ländern weltweit schon immer gegeben, doch selten war eine so große Anzahl an Ländern gleichermaßen betroffen. Mit Blick auf die Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) lässt sich schnell feststellen, dass in den Jahren 2010 bis 2021 nur in wenigen Ländern in Europa zweistellige Inflationsraten existierten. Im Jahr 2022 hat sich das Bild stark verändert. Diese Entwicklung stellt für viele Compensation-&-Benefit-Expertinnen und -Experten eine Herausforderung dar.
Auch für das Management von Expatriate-Einsätzen stellen die verhältnismäßig sehr hohen Inflationsraten eine Problem dar. Als Folge wurden vielerorts Rufe nach einer Überprüfung und Anpassung des jeweiligen Vergütungsansatzes laut. Zu Recht?
Vergütungsansätze für Expatriates
Kurz zusammengefasst lassen sich die Vergütungsstrategien für Expat-Einsätze zwei Vorgehensweisen zuordnen: dem Home-based- oder dem Host-based-Ansatz. Ersterer ist gekennzeichnet durch den Grundsatz, dass die Mitarbeitenden während ihrer Auslandsentsendung nicht schlechter oder besser gestellt werden sollen als ihre lokalen Kolleginnen und Kollegen am Heimatlandstandort.
Der Host-based-Ansatz sieht hingegen eine Integration des Expats in das Gehaltssystem des Einsatzlandes vor, mit der Konsequenz, dass die bisherige Vergütung des Beschäftigten von den Leistungen während des internationalen Einsatzes stark abweichen kann. In der Unternehmenswelt ist eine Vielzahl an Ausprägungen der beiden Basisansätze anzutreffen, wie beispielsweise hybride Formen und Local plus.
Des Weiteren steigt die Anzahl der Unternehmen, die nicht nur einen Ansatz anwendet, sondern mehrere parallel nutzt. Gründe dafür sind unter anderem die zunehmende unternehmensinterne Differenzierung der Expat-Einsätze nach dem Motiv der Entsendung. Dient der Einsatz eher der Personalentwicklung? Oder sollen konkrete Geschäftsziele erreicht werden? Mit dem Fokus auf klassische Entsendungen, also einem sogenannten Long Term Assignment für die Dauer von zwei bis fünf Jahren, das im überwiegenden Interesse des Unternehmens stattfindet, lässt sich für Deutschland klar festhalten, dass der Home-based-Vergütungsansatz weiterhin überwiegend angewandt wird.
Der Home-based Balance Sheet Approach
Mit dem Home-based Balance Sheet Approach verfolgen Unternehmen das Ziel, die Mitarbeitenden während eines internationalen Expat-Einsatzes mit den Kolleginnen und Kollegen im Heimatland in Bezug auf den finanziellen Wohlstand gleichzustellen. Dies kann sowohl durch eine Netto- als auch eine Bruttozusage realisiert werden. Beide Zusagen folgen dem gleichen Schema: Als Basis dient das im Inland vor der Entsendung vereinbarte Bruttogehalt. Von diesem werden hypothetische Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abgezogen, die auf Grundlage oder zumindest in Anlehnung an die Gesetze und Regularien des Heimatlandes berechnet werden. Das errechnete hypothetische Netto-Inlandsgehalt wird dann wiederum in drei Bestandteile aufgesplittet: Ausgaben für Wohnen, für die Lebenshaltung und Rücklagen beispielsweise für die Altersabsicherung. Da Letztere durch einen zeitlich befristeten Auslandseinsatz annahmegemäß nicht tangiert werden, fokussieren Expertinnen und Experten auf die Wohn- und Lebenshaltungskosten: Mehr- und auch Minderkosten am Einsatzlandstandort gegenüber dem Heimatlandstandort werden mittels Gewährung oder Reduzierung von Zulagen ausbalanciert.
Dieser Ansatz hat in den letzten Jahrzehnten für Unternehmen mit einer Assignment-Population aus Niedrig-Inflationsländern in der Regel sehr gut funktioniert und wurde von den Beschäftigten mit der nötigen Kommunikation positiv aufgenommen und akzeptiert.
Einflussgrößen auf Cost-of-Living Allowance
Indem der Heimatlandstandort als Bezugspunkt festgelegt wird, zeichnet sich bei der Berechnung von Zulagen ein komplexeres Bild ab als bei einem Host-based-Ansatz: Regelmäßig zu überprüfende Einflussgrößen sind die Preisentwicklung im entsendenden Land, dann am Ort des Einsatzes sowie der Wechselkurs. Mit den stabilen bis niedrigen Inflationsraten in Deutschland fiel eine der drei Einflussgrößen für Expatriates aus Deutschland bisher weniger ins Gewicht und damit auch aus der Wahrnehmung der Betroffenen. Anpassungen der Lebenshaltungskostenzulage (Cost-of-Living Allowance genannt) wurden in aller Regel durch Veränderungen im Wechselkurs zwischen der Heimatland- und Einsatzlandwährung und/oder durch Preisveränderungen am Einsatzlandstandort notwendig. Mit Blick auf die Inflationsraten in Deutschland und in den wichtigsten Ländern für Expat-Einsätze hat sich das Bild geändert. So liegen beispielsweise die Inflationsraten in 2022 für China deutlich unter denen für Deutschland.
Beschäftigte an Standorten mit geringeren, aber dennoch positiven Inflationsraten nehmen die Preissteigerungen am Einsatzlandstandort in der Regel vollständig wahr, während ihnen das Bild des Kaufkraftverlustes am Heimatlandstandort durch ihre Abwesenheit regelmäßig nicht ausreichend transparent ist. Als Folge besteht die Erwartung auf eine Erhöhung der Lebenshaltungskostenzulage.
Der Mechanismus des Home-based-Ansatzes bewirkt bei Assignment-Kombinationen zwischen Heimatlandstandorten mit hohen Inflationsraten und Einsatzlandstandorten mit geringeren Inflationsraten (bei annahmegemäß gleichbleibendem Wechselkurs) allerdings gerade ein Absenken der Lebenshaltungskostenzulage und somit einen Wohlstandsverlust durch eine sinkende Kaufkraft am Einsatzlandstandort. Gleiches trifft für die Kolleginnen und Kollegen am Heimatlandstandort zu, die den Auswirkungen der Preissteigerungen direkt ausgesetzt sind.
Die Erwartung vieler Expatriates, die Lebenshaltungskostenzulage zu erhöhen und damit den Verlust der Kaufkraft am Einsatzlandstandort zu „heilen“, ist jedoch nicht mit der Idee des Home-based-Ansatzes übereinzubringen und würde den Mechanismus einseitig aushebeln: Die Folge ist ein Better-off-Mechanismus, der in aller Regel mit der Vergütungspolitik der meisten Unternehmen nicht in Einklang zu bringen ist.
Host-based-Ansatz als Alternative?
In Anbetracht der oben genannten Situation kann durchaus die Frage gestellt werden, ob der Host-based-Ansatz eine geeignete Alternative darstellt. Diesem Ansatz folgend würden Mitarbeitende im Rahmen eines internationalen Expat-Einsatzes in die Vergütungsstruktur des Einsatzlandstandortes integriert werden. Gehaltsniveau und -veränderungen basieren beziehungsweise unterliegen demnach den Regelungen und der Logik im Einsatzland.
Eine der größten Herausforderungen dürfte hierbei sein, Beschäftigte von einem Einsatz zu überzeugen, wenn in diesem Land eine Vergütung gezahlt wird, die – entweder im direkten Vergleich oder im Rahmen eines Wohlstandsvergleiches – geringer ist als am Heimatlandstandort. Sollte die Vergütung am internationalen Standort attraktiver sein, ergibt sich spätestens im Rahmen der Reintegration in das Vergütungssystem am Heimatlandstandort die Herausforderung, die Erwartung des Mitarbeitenden auf Beibehaltung des Niveaus zu erfüllen. Eine Option zur Schaffung von Transparenz wäre die Weiterführung und -entwicklung sowie die Kommunikation eines Schattengehaltes – aber auch hier drohen trotz Transparenz nicht erfüllbare Erwartungen seitens der Beschäftigten auf das konkrete Vergütungsangebot zu treffen.
Konsequenzen für Global Mobility Experten
Auch in Zukunft ist aufgrund der Vorteile mit der überwiegenden Anwendung des Home-based-Ansatzes für längerfristige Auslandseinsätze zu rechnen. Gleichwohl haben die aktuellen Diskussionen mit betroffenen Arbeitnehmern gezeigt, dass neben der konsequenten Anwendung ebenso die Aufklärung und Kommunikation wichtig sind. Mitarbeitende sollten einerseits um die Vorteile des Ansatzes wissen und andererseits auch die Bedeutung von Preissteigerungen am Heimatlandstandort und Einsatzlandstandort sowie den Stellenwert der Wechselkurse genau verstehen. Nur so können sie in die Lage versetzt werden, sich bewusst und verantwortungsvoll um ihre eigene finanzielle Planung sowie Absicherung zu kümmern.
Autor
Markus Kurth
Managing Consultant, Team Lead Global Mobility, Mercer Deutschland GmbH
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