Das größte Geheimnis deutscher Unternehmen? Mitnichten Strategiepapiere, Baupläne oder sensible Geschäftszahlen, nein, das potenzielle Gehalt künftiger Mitarbeitender ist es, das viel zu viele Betriebe hüten wie einen Schatz. Wenn doch einmal in einer Stellenanzeige Geld erwähnt wird, dann in merkwürdig verdrucksten Formulierungen wie „branchenüblich“ oder „überdurchschnittlich“. Manch Unternehmen fabuliert dann noch von „attraktiven Bonuszahlungen“. Ausnahmen (der öffentliche Dienst, der grundsätzlich immer die Gehaltsgruppen nennt, bleibt einmal außen vor) bestätigen die Regel. Im deutschsprachigen Raum ist Österreich übrigens das einzige Land, in dem verpflichtend eine Gehaltsangabe in der Stellenausschreibung enthalten sein muss.
Doch langsam, aber sicher findet ein Umdenken statt. Mit einem überdurchschnittlichen, leistungsgerechten oder übertariflichen Gehalt werben Unternehmen immerhin in einer von fünf Anzeigen, wie eine Auswertung des Stepstone-Fachkräfteatlas zeigt, für den 1,2 Millionen Stellenanzeigen in Print- und Onlinemedien sowie auf Firmenwebsites ausgewertet wurden. Am ehesten, so heißt es, fänden sich solche Formulierungen in Stellenanzeigen für Young Professionals sowie in Ausschreibungen aus Hotellerie und Gastgewerbe.
Böses Blut vermeiden
Fragt man bei denjenigen Unternehmen nach, die sich vor einer klaren Gehaltsangabe scheuen, sind die Antworten vielschichtig. Die einen möchten in den Gehaltsverhandlungen flexibel bleiben, um so möglicherweise ein Schnäppchen zu machen. Die anderen wollen möglichst viele Bewerbende anlocken – eben auch jene, die bei einer exakten Angabe schon im Vorfeld abgesprungen wären. Und natürlich will man böses Blut in der bestehenden Belegschaft vermeiden, wenn Gehälter offengelegt werden: Wenn die „Neuen“ mehr bekommen als die „Alten“, treibt das Letztere ja möglicherweise in die Kündigung.
Diese Gründe erscheinen auf den ersten Blick verständlich, nur: Sie sind kurzsichtig und unangebracht. Gute Bewerberinnen und Bewerber sind in Zeiten des Fachkräftemangels rar, und für diese ist eben auch das Gehalt ein entscheidendes Kriterium bei der Stellensuche. Die Geheimniskrämerei wird zum Bumerang und schreckt potenzielle Fachkräfte eher ab, weil sie Zeit in die Bewerbung um eine Stelle investiert haben, deren Bezahlung für sie inakzeptabel ist. Spätestens im Bewerbungsgespräch oder danach bei den Gehaltsverhandlungen fliegt das Ganze sowieso auf. Wenn Jobsuchende wegen zu wenig Geld dann doch absagen, hat der Arbeitgeber oft schon einen langwierigen und aufwendigen Prozess hinter sich. Kosten, die man sich hätte sparen können. Gehaltstransparenz schafft letztlich eine Win-win-Situation, von der sowohl Arbeitnehmende als auch der Arbeitgeber profitieren. Erstere, weil sie die Besten für sich gewinnen, Letztere, weil sie sich zielgerichteter bewerben können.
Es ist daher gut, dass die Unternehmen in Sachen Gehaltstransparenz langsam (bisweilen zu langsam) umdenken. Möglicherweise greift sonst nämlich irgendwann der Gesetzgeber durch. Ein Beispiel, das unlängst durch die Presse ging, ist der US-Bundesstaat Kalifornien, der seine Firmen dazu verpflichtet hat, in Jobanzeigen künftig Gehaltsangaben zu machen. Spielefirmen wie Activision Blizzard, Electronic Arts, Riot Games und Warner Interactive Entertainment geben in ihren Stellenanzeigen mittlerweile Gehaltsspannen an. Vielleicht wäre das ja auch für deutsche Unternehmen ein guter Mittelweg zwischen Transparenz und Geheimniskrämerei.
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.