Beförderungsschritte sind ein entscheidender Faktor bei der Einstufung der Gehaltshöhe. Bleiben sie aus, ist der Grundstein für ein Gender Pay Gap gelegt, das vor allem Frauen in Teilzeit trifft. Laut Statistischem Bundesamt ist fast die Hälfte der abhängig erwerbstätigen Frauen in Teilzeit (49,6 Prozent) beschäftigt. Bei den Männern ist es knapp jeder Zehnte (11,2 Prozent). Wie ein geschlechtsneutrales Vergütungssystem auch Frauen berücksichtigen kann, die in Teilzeit arbeiten, erläutert Anwalt und Vergütungsexperte Dr. Alexander Insam von GSK Stockmann.
Comp & Ben: Wo sehen Sie die Ursachen einer faktischen, mittelbaren Gehaltsbenachteiligung von Frauen?
Dr. Alexander Insam: Wir sollten zunächst differenzieren zwischen der mittelbaren und unmittelbaren Benachteiligung. Bei Gehältern von Männern und Frauen in vergleichbaren Tätigkeiten dürfte es in den meisten Unternehmen und Banken kein Pay Gap geben; dafür sorgen die Gehaltsabgleiche und Prüfprozesse. Die mittelbare Benachteiligung fällt erst auf, wenn wir über einen gewissen Zeitraum die Karriereverläufe von Frauen und Männern anschauen. Hier zeigen unsere Beobachtungen, dass Frauen und Männer unterschiedlich oft befördert werden. Vor dem Hintergrund, dass die Teilzeitquote von erwerbstätigen Frauen mit minderjährigen Kindern bei rund 67 Prozent liegt – und bei erwerbstätigen Männern bei 6,4 Prozent –, ist der Schluss erlaubt, dass bei Frauen, die nicht in Vollzeit arbeiten, Beförderungsschritte aufgeschoben werden oder ausbleiben.
Was bedeutet das für die berufliche Laufbahn von Frauen?
Dr. Alexander Insam: Männliche Kollegen, die die volle Wochenstundenzahl arbeiten, haben eher die Möglichkeit, die Karrierestufen zu erklimmen. Sie steigen in ihrem Grade auf, sodass eine höhere Bezahlung gerechtfertigt ist. Diejenigen Frauen, die einige oder viele Jahre in Teilzeit arbeiten, können im Hinblick auf die Lebenszeit-Total-Compensation diesen Rückstand nicht aufholen. Die Phasen der Teilzeit verschlechtern die Aussichten auf eine höhere Position und damit ein höheres Entgelt massiv. Auch wenn sie in der Familiengründungsphase nur drei bis vier Jahre mit reduzierter Stundenzahl arbeiten, um dann wieder voll einzusteigen, fehlt ein Karriereschritt, der zu einem mittelbaren Gender Pay Gap führt und nicht wieder aufzuholen ist.
Das heißt, wer Teilzeit arbeitet, kann keine Karriere machen?
Dr. Alexander Insam: Die meisten Organisationen lassen eine Karriere in Teilzeit (noch) nicht zu. Das ist wissenschaftlich belegt. Die Ursachen liegen in der noch vorherrschenden Präsenzkultur plus einer starken Vollzeitkultur. Möglichweise verändert die Homeoffice-Erfahrung die Einstellung zum Präsenzarbeiten. Aber die Haltung, dass Leistungsbereitschaft und Engagement an der Anzahl der Arbeitsstunden gemessen werden, wird dadurch noch nicht korrigiert. Karriereaufstiege funktionieren in der Regel erst ab 75 Prozent der Wochenarbeitszeit. Aber Frauen in der Familiengründungsphase können dieses Modell nicht realisieren und arbeiten oft maximal 50 Prozent.
Wie kann man erreichen, dass Männer und Frauen in der gleichen Anzahl von Jahren bei unterschiedlicher Arbeitszeit gleich viele Beförderungsschritte durchlaufen?
Dr. Alexander Insam: Wenn es Karrierewege für Teilzeitarbeitende gibt, werden wir sehen, dass der mittelbare Gender Pay Gap sinkt, weil Frauen dann mehr Chancen erhalten. Das heißt, Arbeitgeber sollten entsprechende Modelle aufsetzen, damit auch Beförderungsschritte möglich sind, wenn Frauen „nur“ 20, 25 oder 30 Stunden in der Woche arbeiten. Zum anderen wäre es wünschenswert, wenn Unternehmen ein Beförderungs-Benchmarking über einen Zeitraum zwischen drei und fünf Jahren durchführen.
Wie könnte ein Beförderungs-Benchmark aussehen?
Dr. Alexander Insam: Organisationen können in den Personaldaten und im HRM-System ab- und auslesen, wie lange die durchschnittliche Beförderungszeit bei Frauen und Männern dauert. Das funktioniert auch anonymisiert. Aus dem Abgleich erfolgt eine Kennzahl, die innerhalb einer Organisation als Ganzes oder auf Abteilungsebene erhoben werden kann. Auch unternehmensübergreifende Vergleiche der Kennzahlen könnten Sinn machen. Wenn diese Zahlen transparent sind, würde sich der Gap verkleinern, weil ein neues Denken beginnt. Denn Führungskräfte entscheiden nach dem im Unternehmen gültigen Entscheidungsfilter. Ist zum Beispiel in Zielvereinbarungen vorgesehen, dass Beförderungszeiten von Männern und Frauen vergleichbar sein sollen, dann führt die Aufmerksamkeit zu veränderten Beförderungsprozessen – die gleichermaßen für HR-Verantwortliche als auch für die Fachbereiche relevant sind.
Sind heute denn Teilzeitpositionen so gestaltet, dass sie auch eine Beförderung und Gehaltserhöhung rechtfertigen?
Dr. Alexander Insam: Bislang scheitert es noch an strukturellen Fragen und einem sehr einseitigen Blick auf Teilzeit. Wir sprechen hier drei Aspekte an. Zum einen: Wie wird die Leistung einer Person, die in Teilzeit arbeitet, wahrgenommen? Ist sie ausreichend sichtbar? Gerade in der momentanen Situation, in der sich vieles im Homeoffice abspielt, wird die Performance von Teilzeitarbeitenden oft nicht gesehen. Das bedeutet, sie müssen ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg im Gegensatz zu Vollzeitarbeitenden viel stärker unter Beweis stellen. Zum anderen ist es heute noch üblich, dass Arbeitgeber Führungstätigkeiten automatisch mit einer Vollzeitposition verbinden. Die Alternative könnte sein, dass sie zunächst klären, ob eine leitende Position an eine Mitarbeiterin in Teilzeit vergeben wird oder ob es eines Führungstandems bedarf. Bei den Tandems finden sich sowohl Befürworter als auch Gegner. Letztere befürchten vor allem, dass der Abstimmungsaufwand zum Verlust von produktiver Arbeitszeit führt. Tatsächlich kann aber auch dagegen argumentiert werden, nämlich dass ein Führungstandem effektiver ist und bei guter Abstimmung mehr leisten kann als eine Einzelperson. Und zum dritten: Noch fehlt es an Teilzeitkarrieremodellen.
Wie könnten Beförderungsschritte in Teilzeit konkret gestaltet sein?
Dr. Alexander Insam: Die bisherige Praxis sieht vor, dass sich die Voraussetzungen für eine Beförderung bei Vollzeit- und Teilzeitarbeitenden nicht unterscheiden. Ein Beispiel: Mitarbeitende in Unternehmensberatungen oder Kanzleien benötigen in Vollzeit etwa acht Jahre bis zur Partnerbeförderung. Diese Zeit wird bei Teilzeitpositionen oft hochgerechnet, das heißt, bei einer 50-prozentigen Tätigkeit braucht es 16 Jahre. Die richtige Antwort wäre meines Erachtens, dass für eine 50-prozentige Partnerstelle ebenfalls nur acht Jahre in Teilzeit benötigt werden.
Wird eine strikte mathematische Berechnung den Beförderungsschritten gerecht?
Dr. Alexander Insam: Dagegen spricht, dass sich Arbeitszeiten im Karriereweg verändern können und sollten – je nach Lebenssituation. In der Praxis empfiehlt sich statt einer Formel eine zusammenfassende Beurteilung. Das Bestreben, Teilzeitkarrieren zu ermöglichen, sollte nicht von der Angst, „Rechenfehler“ zu begehen, verhindert werden. Im Übrigen bewegen wir uns in den meisten Berufen weg von einer Input-basierten Betrachtung hin zu einer Output-basierten Betrachtung. Also das Arbeitsergebnis zählt und nicht die Dauer der Arbeitszeit.
Häufig wird als Argument gegen Teilzeit hervorgebracht, sie sei teuer für den Arbeitgeber, weil er zweimal 20 Prozent Sozialversicherungsabgaben leisten muss. Scheitern daran Führungstandems?
Dr. Alexander Insam: Dies ist eines der Argumente, an das wir uns in der Vergangenheit gewöhnt haben. Es lässt aber außer Acht, welche Vorteile Arbeitgeber daraus ziehen. Sie könnten es auch als Investition betrachten. Die 20 Prozent mehr an Sozialversicherungsbeiträgen, die sie für Teilzeittandems zahlen, sparen sie ein, wenn die Frau oder der Mann wieder Vollzeit arbeitet. Dann müssen Arbeitgeber eben nicht Headhunter beauftragen, um die passende Person mit Unternehmens- und Berufserfahrung zu finden, die eine Know-how-kritische Position besetzen kann. Eine Mitarbeiterin, die in Teilzeit ge- und befördert wurde, wird – wenn sie wieder einen Gang hochschaltet – die ideale Besetzung sein.
Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.