HR steht vor einem fundamentalen Wandel. Megatrends wie die Globalisierung, die Digitalisierung sowie ein verändertes Werteverständnis forcieren den Wandel. Durch die Transformation stoßen Bewertungsstrukturen an ihre Grenzen: Unternehmen stellen sich agil auf und lösen Hierarchien auf. Vor diesem Hintergrund müssen sich Unternehmen fragen, wie sich die Veränderungen der Arbeitswelt auf Jobarchitekturen und Jobgrading auswirken und ob Jobgrading als Basis für ein Vergütungsmodell noch geeignet ist.
Dabei müssen die Organisationen auch berücksichtigen, dass verschiedene Arbeitswelten – klassische Hierarchie sowie agile Unternehmenseinheiten – parallel nebeneinander unter einem Dach existieren können. Es gibt also weiterhin Elemente der alten Arbeitswelt mit einer klaren Hierarchie, in der Entscheidungen zentral getroffen, Aufgaben delegiert werden und klassische Stellenbeschreibungen gelten.
Daneben gibt es die neue Arbeitswelt, in der sich Stellen zu Rollen gewandelt haben. In dieser Welt gibt es flache Hierarchien; Projekte und Entscheidungen treffen selbstbestimmte und selbstorganisierte Teams. Die Rollen sind dabei von Menschen, ihren Eigenschaften, Skills und Fähigkeiten geprägt.
Auswirkungen auf Gehälter
Das wirkt sich auf die Gehaltsstrukturen aus. Wenn Mitarbeiter Verantwortung für Projekte übernehmen, wie es Project Owner beispielsweise in agilen Unternehmen tun, muss sich das in den Gehältern widerspiegeln.
Organisationen sind also gehalten, ihre Strukturen zu überprüfen und die Wertigkeit von solchen neuen Konstrukten, die Komplexität von Aufgaben, Führung und Wertschöpfungsbeitrag zu hinterfragen. Bei Rollen sollten sich Unternehmen fragen, ob sie Kompetenzen und Skills bewerten möchten oder sich an den klassischen Werten orientieren wollen.
„Es gibt kein klares Bild, was das eine passende Rezept für die Zukunft ist. Die neue Welt ersetzt nicht komplett die alte Welt, sondern wird oft daneben gesetzt“, stellt Thomas Thurm, Senior Manager bei Kienbaum, fest. Somit sollten Unternehmen die neuen Entwicklungen abbilden, aber gleichzeitig auch die alten Strukturen berücksichtigen. Das Dilemma dabei ist, dass die bisherigen Stellenbewertungen oft an ihre Grenzen stoßen.
Modernes Grading blickt auf die Gesamtorganisation
Modernes Grading muss einen Blick auf die Gesamtorganisation werfen. Die Anforderungen an modernes Grading sind hoch und lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Modernes Grading bezieht die fachspezifischen Kenntnisse und Erfahrungen mit ein, die besonders bei Expertenfunktionen ins Gewicht fallen.
- Es definiert Managementverantwortung nicht nur nach der Anzahl der zu führenden Mitarbeiter. Auch Funktionen ohne Führung können über Koordination und Interaktion punkten (fachliche Führung).
- Es definiert Verantwortung nicht als feste, unveränderliche Größe, sondern betrachtet sie als sich dem Kontext entsprechend veränderliche Größe (fluktuierende Verantwortung).
- Es berücksichtigt flexible Rollen und die Möglichkeit, mehrere Rollen (Multirollen) in einem Unternehmen zu übernehmen.
- Es betrachtet den Einfluss auf die Wertschöpfung nicht nur nach Finanzkennziffern, sondern auch den Einfluss auf die Wertschöpfungsgröße oder qualitativ durch die Beiträge der Funktion.
- Es besitzt eine innere Verzahnung der Bewertungskriterien, die bestimmte Bewertungskombinationen ausschließt.
- Es betrachtet den Strategiebezug auf Basis der Komplexitätsstufe der Funktion und richtet sich nicht nur nach der Unternehmensstrategie.
Grading-Ansätze sollten pragmatisch sein
Stellenbewertungssysteme müssen pragmatische und nachvollziehbare Ansätze haben und zugleich auf methodischem Fundament aufbauen. Zudem müssen moderne Grading- und HR-Managementsysteme zur Organisation und deren Bedürfnissen passen. So können Rollen beispielsweise anhand festgelegter Kriterien abgebildet und mit dem Operating-Modell des Unternehmens verbunden werden. Das Grading der Rollen kann eine Organisation dabei anhand von zwei Fragestellungen vornehmen:
- Welchen Einfluss hat die Rolle auf den Organisationserfolg?
- Welche Anforderungen hat die Rolle an den Rolleninhaber?
Die Rolle wird aus diesen beiden Blickwinkeln betrachtet, und die Blickwinkel werden miteinander abgeglichen. Die Bewertung muss in sich stimmig und nachvollziehbar sein. Der Fokus liegt nicht darauf, eine Vielzahl von Kriterien zu sammeln und diese aufzuschichten. Das ist ein wichtiger Aspekt, denn viele Unternehmen wünschen sich pragmatische Bewertungen mit wenigen Kriterien.
Die Punktwerte der Kriterien werden zu einer Gesamtbewertung addiert. Anhand derer erfolgt die Einordnung in Projektkategorien. Projekte sind flexibel, daher sollten Organisationen die Bewertung regelmäßig überprüfen. Eine Kombination aus der Projektkategorie und der Projektrolle entscheidet schließlich über die Zulagenhöhe. Die Zulage wird ausschließlich für die Dauer des Projekts gewährt. Die durch die Bewertung entstehenden Grades können zudem mit Marktbandbreiten und anderen Marktdaten wie Tarifverträgen verknüpft werden.
Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersversorgung. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das F.A.Z.-Personaljournal. Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.