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Ist die erhöhte Transparenz durch DCGK-Mustertabellen Segen oder Fluch?

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Mit der Zielsetzung, die Transparenz der Vorstandsbezüge zu erweitern, werden börsennotierte Gesellschaften seit zwei Jahren nach Ziff. 4.2.5 des Deutschen Corporate Governance Kodexes (DCGK) dazu angehalten, im Rahmen ihrer Vergütungsberichte standardisierte Mustertabellen zur Veröffentlichung der Vorstandsbezüge zu verwenden. Diese Empfehlung für die Darstellung der Vorstandsbezüge basiert auf dem Comply-or-explain-Prinzip. Eine Nichtbefolgung muss in die Entsprechenserklärung aufgenommen werden. Die Regierungskommission hat ergänzend dazu am 30. September 2014 im Bundesanzeiger präzisierte Erläuterungen zu den Mustertabellen veröffentlicht. Sie dienen zur Klarstellung, wie und wo bestimmte Angaben zur Vergütung, wie zum Beispiel Deferrals, in den Mustertabellen dargestellt werden sollen. Wie kommen Unternehmen damit klar?

 

Im Geschäftsjahr 2014 sahen sich viele Unternehmen erstmals vor der Herausforderung, auf Basis der Kodex-Empfehlungen die Aufbereitung der Informationen zur Vorstandsvergütung vereinheitlicht und standarisiert umzusetzen. Mittlerweile sind nahezu alle DAX- und MDAX-Unternehmen der Empfehlung des DCGK gefolgt und haben die Mustertabellen angewandt. Neben den für das Berichtsjahr gewährten Zuwendungen mitsamt den Nebenleistungen sollen im Rahmen der empfohlenen Transparenzvorschriften auch der Zuflusswert aller Vergütungskomponenten inklusive langfristiger variabler Vergütung sowie der Versorgungsaufwand für jedes Vorstandsmitglied veröffentlicht werden. Die Umsetzung der Transparenzrichtlinien des DCGK hat jedoch zu einer lebhaften Debatte über die pragmatische Verwendung der empfohlenen Mustertabellen in der Praxis geführt.

 

Über die erzielte Transparenz scheiden sich die Geister

 

Die zusätzlichen Angaben in Form von Mustertabellen würdigt die Wirtschaft als einen „entscheidenden Schritt in Richtung sinnvolle und umfassende Transparenz“1. Nicht nur wird die Vorstandsversorgung im Rahmen der Vereinheitlichung der Darstellung endgültig als ein wichtiger Vergütungsbestandteil anerkannt; auch die Angaben zu aktienbasierten, mehrperiodigen variablen Vergütungskomponenten werden transparenter gestaltet, indem sowohl die gewährten als auch die tatsächlich ausbezahlten Bezüge im Vergütungsbericht ausgewiesen werden. Auch das Forschungszentrum „Sustainable Architecture for Finance in Europe“ (SAFE) der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main findet die empfohlene, einheitliche Darstellung von Vergütungsangaben sinnvoll und begrüßt zudem den Versuch, „[…] unterschiedlich ausgestaltete Verträge vergleichbar und transparent darzustellen“2.

 

Die praxisnahe Zusammenfassung der Vergütungsangaben in Form von relativ schlank gehaltenen Tabellen erlaubt eine nachvollziehbare Übersicht der Vorstandsbezüge. Diese Übersichtlichkeit und Transparenz haben dabei als Kernziel, das „Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften“ zu fördern.3

 

Die standardisierte Offenlegung der Organbezüge für das Geschäftsjahr 2014 hat sich allerdings als nicht reibungslos erwiesen, nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Überführung der HGB-Welt in eine DCGK-affine Sicht. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hat bereits 2013 die DCGK-Empfehlungen aus einem anderen Blickwinkel bewertet und kam aufgrund der bestehenden Abweichungen bei der Darstellung der langfristigen Vergütung und der Pensionsaufwendungen zu den bisherigen Offenlegungspflichten der Vorstandsvergütung (insbesondere DSR 17) zu dem Fazit, dass der dadurch erweiterte Informationsgehalt es lediglich schaffen würde, „[…] den Abschlussadressaten (noch) mehr zu verwirren, als dies nach den bisherigen Angaben ohnehin der Fall sein kann.“4

 

Der Verband für Aufsichtsräte und Beiräte mittelgroßer börsennotierter und nicht börsennotierter Unternehmen mit Sitz in Deutschland (ArMiD) zweifelt mit ähnlicher logischer Argumentation an dem Erkenntnisgewinn der Aktionäre durch die zusätzlichen Angaben zur Vorstandsvergütung, da sie insbesondere für mittelständische Unternehmen „einen unverhältnismäßig hohen Aufwand und einen weiteren Kostenaspekt“5 darstellen würden. Die Analyse der Organvergütung, so der Verband, wird sogar dadurch erschwert, dass im Vergütungsbericht ab dem Geschäftsjahr 2014 weitere, von den HGB- und IFRS-Richtlinien abweichende Angaben zu den Vergütungssystemen der Unternehmen gemacht werden müssten. Ferner würden die standardisierten Zahlenangaben zur aktienbasierten, variablen Vergütung lediglich eine Scheinobjektivität suggerieren, da aus den Tabellen nicht zu entnehmen sei, welche damit verbundenen Regelungen für eine Auszahlung des gewährten Bonus, wie zum Beispiel Haltefristen oder Claw-back-Klauseln, zu berücksichtigen seien.

 

Um die Effizienz und Übersichtlichkeit der offengelegten Vergütungsdaten (nach IFRS, HGB und DCGK) zu erhöhen, legte das Forschungszentrum SAFE in seiner „Stellungnahme zu den Formulierungsvorschlägen für Änderungen am Deutschen Corporate Governance Kodex“6 der Regierungskommission des DCGK nahe, eine Bündelung der Corporate-Governance-Berichterstattung zu prüfen und zu fördern.

 

Mustertabellen – notwendiges Übel oder sinnvolle Ergänzung?

 

Neben der Einschätzung vieler Wirtschaftsexperten lautet die wichtigste Frage hierbei, wie die davon betroffenen Unternehmen die Offenlegungsempfehlungen einschätzen und ob sie diesen Zusatzaufwand eher als Segen oder Fluch im Sinne der erhöhten Transparenz bei gleichzeitiger Praxistauglichkeit bewerten. Im Corporate Governance Report 2014 des Berlin Center of Corporate Governance (BCCG)7 wurden das Akzeptanzniveau und die praktische Umsetzung aller DCGK-Empfehlungen anhand einer Stichprobe von 120 Unternehmen, deren Aktien an einer deutschen Börse gehandelt werden, unter die Lupe genommen. In dieser Untersuchung stellte sich heraus, dass, obwohl die Befolgungsquote der Kodexbestimmungen über alle Unternehmen hinweg bei 79,8 Prozent liegt, die meisten Unternehmen den Soll-Regelungen zur Vergütungstransparenz, einschließlich der Benutzung von Mustertabellen, kritisch gegenüberstehen. Im Rahmen dieser Studie lag die gegenwärtige Akzeptanz der Verwendung von Mustertabellen bei 24,1 Prozent. Jedoch gab die Mehrheit der untersuchten Unternehmen gleichzeitig an, die Mustertabellen zukünftig anwenden zu wollen (Akzeptanzwert: 79,3 Prozent). Da diese Corporate-Governance-Studie jedoch im April 2014 veröffentlicht wurde, die Empfehlungen zur Offenlegung der Vorstandsbezüge allerdings erst für die Geschäftsjahre nach dem 31. Dezember 2013 anzuwenden sind – das heißt, erstmalig für das Geschäftsjahr 2014 –, spiegeln diese Ergebnisse nur teilweise wider, inwiefern die davon betroffenen Unternehmen mit der Anwendung der Mustertabellen zurechtgekommen sind oder nicht.

 

Darüber hinaus war bei vielen Unternehmen, die im Rahmen der Kienbaum-DAX- und MDAX-Studien erfassten wurden, auffällig, dass die Tabellen für das Geschäftsjahr 2014 nicht von allen Unternehmen konsistent angewandt wurden und teilweise sogar widersprüchliche Informationen enthielten. Deshalb haben wir Anfang des Jahres 2015 mittels einer kurzen Umfrage alle DAX- und MDAX-Unternehmen zu ihrer Praxiserfahrung mit den Mustertabellen und Anmerkungen in Bezug auf Verständlichkeit und Handhabung befragt.

 

Die Datenerhebung erfolgte ausschließlich online im Zeitraum von Anfang April bis Ende Mai 2015. Für die Umfrage wurden alle Unternehmen aus der Zielgruppe – DAX- und MDAX-Unternehmen – angeschrieben. Der Fragebogen bestand insgesamt aus zehn qualitativen Fragen zum Thema „DCGK-Mustertabellen zur Veröffentlichung der Vorstandsbezüge – Verbreitung, Nutzung und Weiterentwicklung“.

 

Gemeinsamer Standard überzeugt noch nicht vollständig

 

In der Befragung wurde sowohl nach der allgemeinen Einstellung gegenüber den DCGK-Tabellen als auch nach spezifischen, praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung selbiger gefragt. Bereits bei der ersten Frage „Gab es beim Ausfüllen der DCGK-Mustertabellen in Ihrem Unternehmen Schwierigkeiten oder Unklarheiten?“, die insgesamt 62 Prozent der teilnehmenden Unternehmen mit Ja beantworteten, wurde deutlich, dass bei der praktischen Anwendbarkeit der Mustertabellen noch Verbesserungspotenzial besteht (siehe Grafik Seite 10). Eine deutliche Mehrheit (75 Prozent) gab außerdem etwas konkreter an, die größten Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen gewährter und zugeflossener Vergütung zu haben (siehe Grafik Seite 11). Lediglich 43 Prozent der Unternehmen hatten Unklarheiten bei der Bestimmung des mittleren Wahrscheinlichkeitsszenariowertes, das heißt, bei den sich vermutlich ergebenden gewährten Zuwendungen gemäß DCGK.

 

Des Weiteren haben wir gefragt, ob sich durch die Anwendung der Mustertabellen ein höherer Informationsgehalt zur Vorstandsvergütung gegenüber den bisherigen Offenlegungspflichten erzielen ließe. Obwohl genauso viele Teilnehmer eine eher positive („stimme eher zu“/„stimme zu“) wie eine eher negative Einstellung gegenüber der Frage hatten („stimme eher nicht zu“/„stimme nicht zu“), beantworteten 33 Prozent der Unternehmen die Frage eindeutig mit „stimme nicht zu“, während nur 25 Prozent der Ansicht waren, dass durch die Anwendung der DCGK-Tabellen der Informationsgehalt definitiv höher geworden sei (siehe Grafik Seite 12, Frage 1).

 

Bei der Frage „Ist Ihrer Meinung nach das Maß an Transparenz durch die Nutzung der Mustertabellen des DCGK höher als bislang?“ waren insgesamt 54 Prozent der Umfrageteilnehmer nicht bzw. eher nicht der Meinung, dass die durch die Soll-Vorschriften des DCGK erzielte Transparenz tatsächlich höher als die bisherige sei (siehe Grafik Seite 12, Frage 2). Ein zudem mit der erhöhten Transparenz eng verknüpftes Ziel ist die durch die Standardisierung angestrebte Vergleichbarkeit der Vorstandsvergütung zwischen den Unternehmen, insbesondere unabhängig von der Branche und Konjunktur. Interessanterweise fanden die befragten Unternehmen, dass dieses Ziel eher bei den gewährten Zuwendungen als bei den Zuflusswerten erreicht werde. In dieser Hinsicht wurden die Mustertabellen für die gewährten Zuwendungen durchschnittlich positiver bewertet als die Tabellen für die zugeflossene Vergütung (siehe Grafik Seite 12, Fragen 3 und 4).

 

Alles in allem fanden 69 Prozent der Teilnehmer, dass die zusätzlichen Erkenntnisse aus den Mustertabellen den Zusatzaufwand durch ihre Erstellung nicht rechtfertigten. Hierbei darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass das Geschäftsjahr 2014 für die meisten Unternehmen diesbezüglich eine Bewährungsprobe war. Insofern überrascht auch nicht, dass lediglich 8 Prozent der Teilnehmer der Meinung waren, die Mustertabellen sollten durch weitere Datenangaben ergänzt werden.

 

Fazit: Mehr Transparenz ist essentiell – aber auf beiden Seiten

 

Zweifelsohne ist die Zielsetzung der DCGK-Regierungskommission, die Organbezüge in Deutschland transparent und nachvollziehbar zu machen, sinnvoll und erstrebenswert. Dadurch wird nicht nur das Vertrauen aller Stakeholder eines Unternehmens gefördert, sondern darüber hinaus werden die häufig sehr komplexen Vergütungsstrukturen verständlich dargestellt und erklärt. Begrüßenswert ist auch, dass bis dato nicht berücksichtigte Vergütungskomponenten, wie der Versorgungsaufwand, auch als solche anerkannt und offengelegt werden.

 

Um dieses herausfordernde, für eine vorbildliche Corporate Governance unabdingbare Transparenzziel jedoch erreichen zu können, ist es unerlässlich, dass die Soll-Vorschriften in ähnlicher Weise deutlich wie auch transparent kommuniziert und vor allem aus der gelebten Praxis hergeleitet sowie dadurch legitimiert werden. Nur auf diese Weise wird es möglich sein, das Akzeptanzniveau der zusätzlichen Angaben bei vielen börsennotierten Unternehmen zu steigern und das Aufwand-Nutzen-Verhältnis ins Positive zu rücken.

 

Folgt man den Aussagen der Unternehmen, die an der Umfrage teilgenommen haben, ist es außerdem entscheidend, die Mustertabellen nicht als eine weitere Insellösung mit sich überwiegend wiederholenden Angaben zu positionieren. Vielmehr sollte das Ziel sein, eine auf Basis der bestehenden Rechnungslegungsstandards konsolidierte Lösung zu entwickeln. Nur Vorgaben, die sich für beide Seiten als praktikabel und sinnvoll erweisen, werden die Unternehmen dazu motivieren, diesen auch proaktiv zu begegnen

 

 

 

1  „DAX-Vorstandsvergütung 2014: Zeitenwende in der Transparenz, Rekord in der ­Höhe“, Presseinformation hkp/// group, 25. März 2015, S. 4.

 

2  „Stellungnahme zu den Formulierungsvorschlägen für Änderungen am Deutschen Corporate Governance Kodex für börsennotierte deutsche Aktiengesellschaften aus der Plenarsitzung der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance ­Kodex vom 9. Januar und 31. Januar 2013“, Forschungszentrum SAFE, Kapitel I, Abs. 4, 14. März 2013.

 

3  Deutscher Corporate Governance Kodex, Präambel.

 

4  „Noch mehr Angaben zur Vorstandsvergütung durch den geänderten Deutschen Corporate Governance Kodex – Vergleichbarkeit verbessert oder verwässert?“ KPMG, Accounting News, Ausgabe Juli / August 2013.

 

5  „Stellungnahme bzgl. Änderungen DCGK“, ArMiD; „Zu Ziffer 4.2.5 Abs. 2 in Verbindung mit den Mustertabellen“, Abs. 1, März 2013.

 

6  „Stellungnahme zu den Formulierungsvorschlägen für Änderungen am Deutschen Corporate Governance Kodex für börsennotierte deutsche Aktiengesellschaften aus der Plenarsitzung der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex vom 9. Januar und 31. Januar 2013“, Forschungszentrum SAFE, Kapitel II, Abs. 4, 14. März 2013.

 

7. „Corporate Governance Report 2014: Erklärte Akzeptanz des Kodex und tatsächliche Anwendung bei Vorstandsvergütung und Unabhängigkeit des Aufsichtsrats“, Prof. Dr. Axel von Werder und Dipl.-Kffr. Jenny Bartz, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre und Organisation, Technische Universität Berlin, 25. April 2014.

 

 

 

Dr. Maya Olivares,

Senior Consultant,

Kienbaum Management Consultants GmbH

maya.olivares@kienbaum.de

www.kienbaum.de