Banken bieten oft lukrative Prämien und günstige Konditionen für die Eröffnung neuer Konten – aber nicht für Bestandskunden. Wer monetär verwöhnt werden will, muss seine Hausbank verlassen und zu einem an-deren Institut wechseln. In einer ähnlichen Situation befinden sich Arbeitnehmer, vor allem Spezialisten und leitende Angestellten im AT- beziehungsweise übertariflichen Bereich: Externe Kandidaten werden nicht selten im selben Grade zu einem wesentlich höheren Gehalt eingestellt und überholen somit die internen Leistungsträger, deren Vergütung sich trotz langer Betriebszugehörigkeit nicht signifikant weiter nach oben schraubt. Selbstverständlich will und muss ein Arbeitgeber für externe Bewerber attraktive Anreize gestalten. Ein wesentliches Element ist die Vergütung, die aber ein Nullsummenspiel in Unternehmen ist, die nicht über endlose Ressourcen verfügen. Dürfen attraktive Einstiegsgehälter auf Kosten loyaler und leistungsbereiter Bestandsmitarbeiter gehen? Wann werden vergütungsstrategische Entscheidungen bei Berücksichtigung aller Effekte unökonomisch?
Interne Lohngerechtigkeit
Das Konzept der internen Gerechtigkeit spielt eine Schlüsselrolle im Vergütungsmanagement. Es besagt, dass Arbeitgeber dafür Sorge tragen sollen, dass die Variabilität der Gehälter innerhalb desselben Grades nicht zu hoch wird. Denn die üblichen Folgen fehlender interner Gerechtigkeit zeigen sich in Frustration, fehlender Motivation, innerer Kündigung und/oder Abwanderung der Bestandsmitarbeiter. Obwohl interne Gerechtigkeit in erster Linie ein theoretisches Konzept ist, da keine vollständigen und personenscharfen Informationen über die Gehälter außerhalb der Personalabteilung vorliegen, gibt es zumindest drei Gründe, weshalb es eine praktische Bedeutung hat:
- Transparenz: Mitarbeiter sprechen untereinander öfter über ihre Gehälter, als es Arbeitgeber vermuten. Einmal in Erfahrung gebracht, was die Kollegen verdienen, kann sich in der Belegschaft Unzufriedenheit entwickeln.
- Ökonomisch: Aus Sicht einer sinnvollen Steuerungslogik der Personalkosten ist eine zu große Variabilität in den Gehältern innerhalb desselben Gehaltsbandes, die strategisch nicht zu begründen ist, ein Zeichen für Inkonsistenz.
- Entgeltgerechtigkeit: Möchte ein Unternehmen, das sich als attraktiver Arbeitgeber sieht, einen hochkarätigen Kandidaten, dessen Wirken es noch nie erlebt hat, besser vergüten als die leistungsstarken und loyalen Bestandsmitarbeiter im selben Grade?
Comp-&-Ben-Verantwortliche sollten stets in der Lage sein, die überdurchschnittliche Variabilität in den Gehältern im selben Grade zu begründen, zum Beispiel mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit, Performance-Unterschieden, unterschiedlichen Marktpreisen für unterschiedliche Jobfamilien im selben Grade oder mit der herausragenden strategischen Relevanz der Stelle. Aber bei neueingestellten Talenten im selben Grade und vergleichbarer Jobfamilie ziehen diese Argumente nicht.
Die Gratwanderung
Arbeitgeber möchten hochkarätige Kandidaten ein-stellen können, ohne Bestandsmitarbeiter zu frustrieren und eine inflationäre Entwicklung der Gehälter in diesem Grade aufgrund des „Ich-will-auch-sonst-gehe-ich“-Phänomens in Kauf nehmen zu müssen. Diese Gratwanderung wird umso schwieriger, je niedriger die Vergütungsorientierung des Unternehmens im Vergleich zum Referenzmarkt ist.
Wenn die rekrutierende Organisation einen externen Bewerber mit einschlägiger Erfahrung und nachgewiesenem Erfolg für eine vergleichbare Position gewinnen möchte, könnte sie mit folgender Gehaltsvorstellung des Kandidaten konfrontiert werden:
- Bisheriges Gehalt plus Wechselprämie: Die Wechselprämie ergibt sich aus Sicht des Bewerbenden aus der Kompensation für die Unsicherheit der Veränderung, den Verzicht auf weitere Senioritätsvorteile beim alten Arbeitgeber, den Aufpreis für den lateralen Schritt eines erfahrenen Kandidaten, die Anstrengung der Anpassung an eine neue Arbeitsumgebung und anderen Faktoren. Zudem kann sein bisheriges Gehalt aus der Vergütungsorientierung seines bisherigen Arbeitgebers bestehen zuzüglich einer Leistungsprämie für seine gute Performance und den nachgewiesenen Erfolg. Was folgt daraus für sein Wunschgehalt?
- Zusammengerechnet können die Leistungs- und Wechselprämie die Gehaltsvorstellungen des Kandidaten auf 20 bis 25 Prozent über den entsprechen-den Marktwert treiben, wenn die Vergütungsorientierung des bisherigen Arbeitgebers des Kandidaten mindestens diesem entspricht. Theoretisch wird dies auf jeden Fall in der Hälfte der Fälle zutreffen.Was folgt daraus? Wenn die Vergütungspolitik des einstellenden Unternehmens in dem entsprechen-den Grade marktwertorientiert ist (also der intendierte Median des entsprechenden Gehaltsbandes mit dem Median des Referenzmarktes verknüpft ist, die Gehälter normal verteilt sind und die Ober-grenze des Gehaltsbandes bei 20 Prozent über dem Marktmedian liegt), dann würde der externe Kandidat, der noch keinen einzigen Tag im einstellenden Unternehmen gearbeitet hat, rund vierzehn Prozent mehr verdienen als die loyalen Leistungsträger des Unternehmens im selben Grade. Falls der einstellende Arbeitgeber mit seiner Vergütungsorientierung unterhalb des Marktniveaus liegt, wiederholt sich das oben genannte Muster – aber mit einer noch dramatischeren Schieflage. Bei einer solchen Vergütungsorientierung ist es zudem fast sicher, dass die Gehaltsvorstellung des Kandidaten sogar über der Obergrenze des Gehaltsbandes liegen wird.
Externe Kandidaten teuer einkaufen?
Dies führt einerseits zu der beschriebenen Problematik in Bezug auf die interne Gerechtigkeit und das finanzielle- Risiko, im Laufe der Zeit die Gehälter der Bestands-Mitarbeiter anheben zu müssen. Oder aber Unternehmen müssen die Kosten der Nachbesetzungsprozesse (wegen Abwanderung) tragen und weniger Produktivität (wegen fehlender Motivation) in Kauf nehmen. Es gibt weitere Gründe, weshalb es nicht unproblematisch ist, externe Kandidaten zu teuer einzukaufen.
- Nüchtern und plakativ formuliert: Trotz aller Empfehlungsschreiben und Heldengeschichten im Vorstellungsgespräch – es handelt sich um eine Person, die dem Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbekannt ist.• Erfolg im Unternehmen ist trotz der Fähigkeiten des Einzelnen oft das Ergebnis von Teamarbeit und Kooperation, erlaubter Handlungsfreiheiten, der Unternehmenskultur und anderer exogener Faktoren. Die Tatsache, dass ein Bewerber in der Firma A erfolgreich war, bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Person auch in der Firma B erfolgreich sein wird.• Erfolg in einer neuen Situation und Umgebung stellt sich erst mit der Zeit ein. Auch für erfahrene und karrierehungrige High-Performer gilt die 100-Tage-Regel. Aus dieser Sicht wird der Arbeitgeber erst nach einigen Monaten einen adäquaten Return on Investment sehen – vorausgesetzt, das hochkarätige Talent bleibt auch lange genug im Unternehmen.
- Wenn die Leistungsträger länger im Unternehmen bleiben, stellt sich die Frage, wie ihre Vergütungsentwicklung in Zukunft aussehen soll, nachdem sie schon knapp unter der Obergrenze eingestiegen sind. Wer sitzt bei der Vergütungsverhandlung am längeren Hebel, nachdem das Unternehmen sich durch die entstandene Abhängigkeit vom Arbeitnehmer erpressbar gemacht hat?
Alternative Konzepte anwenden
Wie also können Arbeitgeber einen wechselwilligen, „teuren“ Kandidaten gewinnen, ohne Kollateralschäden durch zu hohe Einstiegsgehälter zu riskieren? Im Folgenden werden fünf Lösungsansätze vorgestellt. Diese können entweder einzeln oder zusammen eingesetzt werden.
- Rekrutierungsstrategie anpassen: Wenn Unter-nehmen auf dem Markt hochkarätige Fachkräfte rekrutieren möchten, aber zu hohe Einstiegsgehälter befürchten, können sie gezielt nach Talenten in niedrigeren Positionen als der Zielposition suchen. Sie sollten ihren Blick auf Kandidaten ein, zwei oder sogar auch drei Grades (in einem Narrow-Banding-Grading-System) niedriger werfen. Diese Lösung ist attraktiv, da für den externen Kandidaten der Wechsel gleichzeitig eine große Beförderung darstellt und sein bisheriges Einkommen als Referenzgehalt in der Vertragsverhandlung wesentlich niedriger ausfällt. Der Nachteil dieses Ansatzes: Der Arbeitgeber bekommt einen Mitarbeiter, der noch aufgebaut werden muss, da er seine neue Aufgabe trotz Potenzial noch nicht vollkommen erfüllen kann. Dieses Vorgehen kann trotzdem sinnvoller sein, als einen internen Kandidaten aufzubauen, dem grundsätzliche Skills für die Stelle fehlen.
- Tatsächliche Relevanz definieren: Das Problem der internen Gerechtigkeit bezieht sich nicht auf wenige Einzelfälle, sondern auf ein breites Phänomen, und kann möglicherweise zu einer Zweiklassengesellschaft in der Vergütung führen. Richtig ist aber auch: Eine Belegschaft kann Ungerechtigkeit, wenn sie minimal ausfällt, verkraften. Damit jedoch Arbeitgeber die Nachteile und Risiken gering halten, müssen sie im Vorfeld sorgfältig differenzieren, welche der zu besetzenden Stellen wirklich strategisch relevant sind. Nur bei solchen Positionen sollten Unternehmen die möglichen Risiken überhoher Einstiegsgehälter in Kauf nehmen. Allerdings müssen nicht unbedingt für jede Spezialistenstelle oder Führungsposition Hochkaräter rekrutiert werden, auch wenn diese Stellen in der Regel in hohen Grades eingestuft werden. Manchmal erfüllen auch durchschnittliche Arbeitnehmer die Anforderungen der Position.
- Kappungsgrenze implementieren: Das Governance-Prinzip ist keine Lösung für den Einstellungserfolg, sondern ein Quality-Management-Mechanismus, der sicherstellt, dass sich laufende Vergütungsentscheidungen nicht in Richtung einer Zweiklassenbelegschaft entwickelt. Die Prämisse dahinter: Die einstellenden Fachbereiche und die prozesssteuernde Personalabteilung verstehen und akzeptieren, dass nicht jeder Deal realisiert werden kann und soll. Je nach Vergütungspolitik und -orientierung sowie der Verteilung der Gehälter im Band können rote Linien in den Vergütungsrichtlinien verbindlich definiert und festlegt werden: zum Beispiel die maximal erlaubte Differenz zwischen dem Einstiegsgehalt externer Talente und dem durchschnittlichen Gehalt der Bestandsmitarbeiter in diesem Gehaltsband. Zu diesem Lösungsansatz gehören auch Monitoring-verfahren sowie vereinbarte „Sanktionen“, falls davon unbegründet und unnötig abgewichen wird.
- Dynamisches Zulagenvergütungsmodell: Zielführend kann auch die Verlagerung vom Grundgehalt in eine variable Vergütung sein – gepaart mit der Möglichkeit, ein höheres Grundgehalt in Abhängigkeit von längerer Bindungsdauer und Leistung zu vereinbaren. Dies sorgt gleichzeitig auch für mehr Akzeptanz der Bestandsmitarbeiter. Ein solches Modell administrativ zu verwalten, ist aufwendig, kann aber sehr wirksam sein. Neben Grundgehalt und Bonusberechtigung wird eine Zulage angeboten, die die Differenz zwischen dem Soll (Talentsicht) und dem Ist (Unternehmenssicht) überbrückt. Je-des Jahr, abhängig von Bindung und Leistung, wird ein Anteil der Zulage als Einmalzahlung ausgezahlt und gleichzeitig ein Anteil der Zulage dauerhaft in Grundgehalt umgewandelt.
- Endlastiger Vergütungsverlauf: Dieser Lösungsansatz stellt die mittelfristige Bindung des Mitarbeiters und seine Leistung sicher. Der Neueingestellte erhält über einen Zeitraum von beispielsweise vier Jahren seine Wunscheinnahmen, aber in einer anderen Reihenfolge: in den ersten zwei Jahren weniger, in den darauffolgenden zwei Jahren mehr als gefordert. Dieser Plan könnte als riskant bewertet werden, da die Personalkosten bei solchen Deals in der Zukunft schlagartig in die Höhe gehen. Aber wenn der Arbeitgeber die bei solchen Kandidaten ohnehin an-stehende Beförderung und somit auch den Transfer in ein höheres Gehaltsband in das Modell integriert, kann er sowohl den Einkauf hochkarätiger Talente zu guten Konditionen, die Minimierung der Risiken und gleichzeitig auch eine elegante Nachfolgeplanung unter einen Hut bringen.
Im Gesamtkontext sollte Unternehmen immer präsent sein: Im Nullsummenspiel, das die Vergütung oft darstellt, kann die Gehaltsattraktivität für neue Talente gleichzeitig Bestandsmitarbeiter demotivieren.
Assaf Greisman
Leiter Reward Management and International Executive Regulations, DB Cargo AG assaf.greisman(*)deutschebahn(.)com
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