Frau Dr. Tillmanns-Estorf, B. Braun ist ein traditionsreiches Familienunternehmen mit Sitz im nordhessischen Melsungen und zugleich ein weltweit agierender Hersteller von Medizintechnik- und Pharmaprodukten. Wie agil ist Ihr Unternehmen aufgestellt?
Bernadette Tillmanns-Estorf: Wir sind seit Februar 2017 dabei, einige Bereiche agil aufzustellen. Dazu zählen die Unternehmenskommunikation und das internationale HR-Ressort. Wir nutzen aber bereits seit einigen Jahren agile Methoden wie Scrum. Das begann in der Unternehmenskommunikation, als wir zusammen mit einem Dienstleister unser soziales Intranet eingerichtet haben. Das aktuelle Projekt „Tasks & Teams“ in den beiden genannten Bereichen ist der nächste Schritt. Dabei bieten wir unseren Führungskräften und Mitarbeitern an, angesichts des Umbruchs in der Arbeitswelt eigene Wege selbst zu finden und zu gestalten. Dazu gehört, dass wir für jede Aufgabe und jedes Projekt das jeweils beste Team zusammenstellen – und das unabhängig davon, welche Funktion und Position ein Mitarbeiter gerade einnimmt. Auch können sich Mitarbeiter selbst zur Mitarbeit an Themen melden, für die sie sich interessieren. So wollen wir unsere Ressourcen und Kompetenzen möglichst effizient und effektiv einsetzen. Die beiden Pilotbereiche lassen sich jetzt nicht mehr in Organigrammen, sondern in Kreisstrukturen abbilden.
Aus welchem Grund führt B. Braun derzeit agile Strukturen ein? Kommt der Antrieb aus dem Unternehmen selbst oder aus dem Markt?
Bernadette Tillmanns-Estorf: Für uns als Familienunternehmen ist Innovation ein Grundwert. Wir haben den Antrieb, uns immer wieder neu zu erfinden. Das ist kein Prinzip um seiner selbst willen, sondern wir wissen aus unserer langjährigen Erfahrung, dass ein aktueller Erfolg keine Selbstverständlichkeit für die Zukunft ist. Unsere Unternehmensgeschichte hat gezeigt, dass weiterentwickelte oder erneuerte Produkte danach noch erfolgreicher waren. Die Unternehmenskommunikation und HR sind in Sachen Agilität Pilotprojekte für B. Braun. Mit dem ersten Roll-out und mit der Unterstützung unseres Vorstands wollen wir Glaubwürdigkeit und Vertrauen in anderen Bereichen aufbauen. Derzeit entwickelt ein Projektteam einen Tool-Kit für agiles Arbeiten, den wir den übrigen Bereichen als Instrument an die Hand geben wollen. Wir verzeichnen zudem vermehrte Anfragen zur Agilität von verschiedenen Landesgesellschaften.
Welche Erfahrungen machen Sie, wenn Sie agile Methoden in ein traditionell organisiertes Familienunternehmen einführen?
Bernadette Tillmanns-Estorf: Für alle beteiligten Mitarbeiter in den beiden Bereichen ist es wichtig, dass das Projekt ein Testballon ist, bei dem es erlaubt ist zu scheitern und Fehler zu machen. Die Umstellung von hierarchiegetriebener Führung hin zu mehr Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit fällt nicht jedem leicht und verlangt die Bereitschaft, „accountable“ zu sein, das heißt, Verantwortung zu übernehmen. Ihre neue Rolle entlastet die Führungskräfte gleichzeitig von früheren Aufgaben, so dass ihnen mehr Zeit für anderes zur Verfügung steht. Auch machen wir in der Unternehmenskommunikation und in HR unterschiedliche Erfahrungen und entscheiden verschieden. Beispielsweise haben wir in der Kommunikation zunächst ein zentrales Projektbüro eingerichtet, um dort zu bewerten, ob Projekte den Zielen des Unternehmens dienen oder nicht. Dieses Büro haben wir auf Anraten der Mitarbeiter wieder abgeschafft, weil es für die Arbeit nicht effektiv war. Wir wollen keine Prozesse und Strukturen als Selbstzweck aufbauen. Gerade Führungskräfte müssen in einer agilen Organisation dazulernen, denn ihre Rolle verändert sich am stärksten. Wir haben in einem internen Regelwerk die neuen Aufgaben unserer Führungskräfte festgeschrieben. Demnach sind sie künftig mehr Coach als Vorgesetzter in einer Hierarchie. Ihre Hauptaufgabe ist, dem Mitarbeiter Möglichkeiten und einen Schutzraum zu geben, damit er sich entwickeln kann. Ihre neue Rolle entlastet die Führungskräfte, wie schon gesagt, gleichzeitig von früheren Aufgaben, so dass ihnen mehr Freiheit zur Verfügung steht. Große Teile der Organisation stehen heute auf einer breiteren Basis als früher, werden von mehr Schultern getragen. Anstatt alles zu kontrollieren, können Führungskräfte verstärkt kreativ tätig werden.
Verändert die agile Organisation auch HR-Prozesse? Fallen womöglich Aufgaben weg oder werden verlagert?
Bernadette Tillmanns-Estorf: Mit der Frage wollen wir uns in diesem Jahr beschäftigen. Allerdings waren die Strukturen in HR bei B. Braun schon immer schlank. HR muss globale Prozesse zur Verfügung stellen, die die Zusammenarbeit fördern und kurzfristiges Feedback ermöglichen. Das wichtigste Führungsinstrument ist und bleibt das regelmäßige, offene, persönliche Gespräch.
In wie weit berührt Agilität auch das Vergütungsmodell?
Bernadette Tillmanns-Estorf: Bei uns stehen diese beiden Themen bislang unabhängig nebeneinander. Wir werden 2018 die variable Vergütung unserer Führungskräfte unterhalb des Vorstands dahingehend umstellen, dass wir die individuelle Komponente im Bonus streichen werden. Künftig hängt die Höhe des Bonus allein vom Ergebnis des Gesamtunternehmens und des jeweiligen Bereichs ab. Die entscheidenden KPIs sind dann die Entwicklung des Umsatzes und des EBITAs. Generell sind unsere Grundsätze für das Vergütungsmodell transparent und allen Mitarbeitern bekannt.
Warum verabschiedet sich B. Braun vom individuellen Bonus?
Bernadette Tillmanns-Estorf: Wir halten die Verknüpfung von individuellen Zielen mit dem Bonus nicht für sinnvoll. Werte wie Vertrauten, Transparenz und Wertschätzung sind für uns in der Mitarbeiterführung zentral. Deshalb soll jeder Mitarbeiter unser Vergütungsmodell verstehen können, auch dessen Kriterien, die sich aus der Strategie ergeben. Transparenz in der Vergütung ist schon deshalb wichtig, weil wir unseren Mitarbeitern und unseren Bewerbern eine Entwicklungsperspektive aufzeigen wollen. Auch hier wollen wir besser werden, indem wir Entwicklungspfade innerhalb der Gruppe transparenter aufzeigen wollen.
Wie will B. Braun künftig herausragende individuelle oder Teamleistungen honorieren, wenn sich das nicht im Bonus niederschlägt?
Bernadette Tillmanns-Estorf: Das bilden wir zunächst über Anpassungen im Festgehalt ab. Zudem haben Führungskräfte die Möglichkeit, Mitarbeitern bei entsprechenden Leistungen Sonderboni zu gewähren. Weiterhin kann der Vorstand bestimmten Führungsebenen Flexiboni gewähren. Damit verabschieden wir uns zum einen von der bisherigen individuellen Vergütung und dem aufwendigen Verfahren dahinter. Zum anderen orientieren wir uns weiterhin an Zahlen, bleiben dabei aber transparent. Und über die Sonderboni haben unsere Manager die Flexibilität, dort zu honorieren, wo es angemessen ist. Wir von HR müssen unseren Kunden, also den Fachbereichen, wirksame Instrumente für ihre Arbeit zur Verfügung stellen und die Entscheider enablen, die Instrumente auch richtig einzusetzen.
Das Interview führte Dr. Guido Birkner.