Das Jahr 2019 verlief für die Community der betrieblichen Altersversorgung (bAV) im Hinblick auf die Erwartungen an erste Sozialpartnermodelle und reine Beitragszusagen sowie deren Praxiseinführung enttäuschend. Außer einem ersten Modell auf betrieblicher Ebene tat sich auf diesem Gebiet nichts. Stattdessen entstand an anderer Stelle Bewegung, wie die Studie „Betriebliche Altersversorgung im Mittelstand 2020“ von Generali Deutschland und dem F.A.Z.-Fachverlag zeigt.
So offenbarten sich neue Finanzierungslücken und neuer Reformbedarf bei Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV), vor allem bei Pensionskassen. Zugleich gab der zementierte Niedrigzins als „New Normal“ wenig Anlass, auf einen Run der Beschäftigten und Arbeitgeber auf die bAV zu hoffen – schon gar nicht im Mittelstand, in dem der Nachholbedarf am größten ist. Doch die bAV existiert weiterhin in ihrer Vielfalt an Gestaltungs- und Finanzierungsmöglichkeiten. Der Vorsorgebedarf der Arbeitnehmer ist nicht geringer geworden.
Die Berliner Marktforschungsgesellschaft forsa interviewte im Januar 2020 insgesamt 201 Personalverantwortliche mit der Zuständigkeit für die betriebliche Altersversorgung aus deutschen mittelständischen Unternehmen mit 50 bis 500 Mitarbeitern zu aktuellen Entwicklungen in der bAV. Das F.A.Z.-Institut, der F.A.Z.-Fachverlag und Generali Deutschland bauen mit den Ergebnisse dieser Studie und der früheren Studien seit 2011 Zeitreihen zur betrieblichen Altersversorgung im Mittelstand aus.
bAV-Marktdurchdringung legt zu
Auch wenn die Skepsis des Mittelstands gegenüber dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) wächst, steigt die Marktdurchdringung der bAV im Vergleich zum Vorjahr auf allen Hierarchieebenen. So fällt der Anteil der Teilnehmer an einem bAV-Angebot bei den Mitarbeitern unterhalb der Führungskräfteebene mit 45,7 Prozent höher aus als in den vier vorangegangenen Jahren. Der Anteil der Mitarbeiter ist in größeren Betrieben mit 250 bis 500 Mitarbeitern besonders hoch. Dort sorgt jeder zweite Beschäftigte betrieblich für das Alter vor (50 Prozent). In den kleineren Betrieben ist der Nachholbedarf bei der bAV am größten, und zwar sowohl bei Mitarbeitern als auch bei Führungskräften als auch bei Managern.
Kräftig ist die Marktdurchdringung der bAV im Topmanagement gestiegen. 58,6 Prozent bedeuten einen Zuwachs um mehr als 4 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Auch im mittleren Management ist der Anteil im Vorjahresvergleich um gut 2 Prozentpunkte auf 49,2 Prozent gestiegen. In den Branchen haben die Dienstleistungsgesellschaften auf allen Ebenen höhere Werte bei der Marktdurchdringung als Industrieunternehmen.
Vor allem gemischt finanzierte Pläne stoßen auf eine wachsende Nachfrage. Auch die Versicherungen bauen ihre Stellung in der bAV aus, während Pensionskassen und Kreditinstitute an Marktanteilen verlieren. Arbeitgeber wollen ihren Beschäftigten mehr Lösungen und Hilfen rund um die Gesundheit anbieten, um die Folgen des Wandels in der Arbeitswelt abzufedern.
Gemischt finanzierte bAV-Pläne stark nachgefragt
bAV-Modelle, die auf einer gemischten Finanzierung aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen basieren, wachsen im Vergleich zum Vorjahr am Markt kräftig. Ihr Wert bei der Frage nach den angebotenen Finanzierungsformen steigt um 4 Prozentpunkte auf 76 Prozent. Demgegenüber bleibt die rein arbeitnehmerfinanzierte Entgeltumwandlung stabil bei einem Anteil von 44 Prozent der befragten Betriebe. Die rein arbeitgeberfinanzierte Betriebsrente weist mit 29 Prozent erstmals seit drei Jahren wieder einen Zuwachs gegenüber dem Vorjahr auf (plus 3 Prozentpunkte).
Im Durchschnitt boten die Betriebe 2019 rund 1,5 bAV-Modelle an. Gerade die größeren Betriebe mit 250 bis 500 Mitarbeitern weisen deutlich mehr gemischt finanzierte Modelle auf als vor einem Jahr. Ein anderes Bild zeigt sich bei der rein arbeitnehmerfinanzierten Entgeltumwandlung. Hier liegen die mittleren Betriebe mit 52 Prozent vor den größeren (41 Prozent) und den kleineren Betrieben (38 Prozent). Bei den rein arbeitgeberfinanzierten Betriebsrenten weisen mittelgroße Betriebe (37 Prozent) und größere Betriebe (33 Prozent) vergleichbare Werte auf und liegen deutlich vor den kleineren Betrieben (15 Prozent).
Skepsis gegenüber BRSG und bAV ohne Garantien
Im Mittelstand ist Ernüchterung über die Möglichkeiten, die das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) eröffnet, eingekehrt. Zwar sieht fast jeder zweite bAV-Verantwortliche in den Betrieben größere finanzielle Reserven der Arbeitnehmer für die Altersvorsorge – das sind 4 Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr (48 Prozent versus 44 Prozent 2018). Doch die bAV-Verantwortlichen beurteilen die Möglichkeiten für positive Wirkungen des BRSG auf die Vorsorgeaktivitäten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern schlechter als vor einem Jahr. Zwar erkennen sie heute größere finanzielle Spielräume der Beschäftigten in der Vorsorge, aber auch ein geringeres Interesse der Mitarbeiter an selbst finanzierter Altersvorsorge. Das gilt vor allem für die Arbeitnehmer mit geringen Einkommen.
Die Befragten schätzen das grundsätzliche Interesse der Arbeitgeber, eine bAV anzubieten, leicht geringer ein (32 Prozent versus 36 Prozent 2018). Etwas optimistischer sind sie bei der Aussicht, in absehbarer Zeit erste Sozialpartnermodelle der Tarifparteien in einzelnen Branchen auf dem Markt zu sehen (17 Prozent versus 14 Prozent 2019). Geringe Chancen werden einer stärkeren Verbreitung von Opting-out-Regelungen eingeräumt (8 Prozent versus 12 Prozent 2018). Insgesamt sehen größere Betriebe sowie Dienstleistungsgesellschaften im BRSG mehr Potenzial als andere Unternehmen. Zugleich sagen lediglich 14 Prozent der Befragten ausdrücklich, dass das Gesetz auf die bAV im eigenen Betrieb keine positive Wirkung hat (9 Prozent 2018).
Besonders gering schätzen die bAV-Verantwortlichen im Mittelstand die Bereitschaft der Arbeitnehmer ein, in den nächsten fünf Jahren eine bAV ohne Garantien abzuschließen. Vor allem kleinere Betriebe äußern sich zu dieser Frage zurückhaltend. Lediglich 3 Prozent aller bAV-Verantwortlichen gehen davon aus, dass mehr als 50 Prozent der eigenen Belegschaft bAV-Produkte ohne Garantie nachfragen wird. 58 Prozent der Befragten schätzen, dass lediglich maximal 10 Prozent der eigenen Beschäftigten bAV-Produkte ohne Garantien kaufen wollen. Weitere 20 Prozent gehen von einem Potenzial zwischen 11 und 25 Prozent ihrer Belegschaft aus. 9 Prozent der Befragten rechnen mit einem Potenzial zwischen 26 und 50 Prozent der Belegschaft.
Assekuranz wächst auf dem bAV-Markt weiter
Die Versicherungsbranche untermauert ihre Führungsrolle unter den bAV-Anbietern im Mittelstand und legt im Vergleich zum Vorjahr zu. 83 Prozent der bAV-Verantwortlichen geben an, dass ihr Unternehmen mit der Versicherungsbranche zusammenarbeitet – 2 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Die Versicherer dominieren den Markt auch in praktisch allen Einzelgruppen.
Pensionskassen verlieren Marktanteile und erzielen mit 41 Prozent ihren bislang schwächsten Wert in dieser Studienreihe seit 2011. Trotzdem behaupten sie den zweiten Platz unter den Dienstleistern. An dritter Stelle liegen die Versicherungsmakler und sind ebenfalls leicht verschlechtert gegenüber dem Vorjahr. Tendenziell kooperieren Versicherungsmakler häufiger mit Industrieunternehmen als mit Dienstleistungsgesellschaften.
Die branchen- bzw. tarifvertraglichen Versorgungswerke folgen mit Abstand auf dem vierten Platz. Sie haben sich gegenüber den beiden zurückliegenden Jahren verbessert und sind vor allem bei größeren Betrieben häufiger zu finden. Negativ entwickeln sich Kreditinstitute, die nach 15 Prozent vor einem Jahr jetzt auf 9 Prozent abrutschen. Dahinter folgen Beratungsgesellschaften und Versorgungswerke anderer Unternehmen.
Neue Arbeitswelt erfordert mehr Gesundheitsvorsorge
Die Digitalisierung der Arbeitswelt und die digitale Transformation in den Unternehmen verändern die Arbeitssituation jedes einzelnen Beschäftigten. Das zwingt die Arbeitgeber dazu, sich mehr Gedanken über die Gesunderhaltung ihrer Beschäftigten zu machen. Damit gewinnt das betriebliche Gesundheitsmanagement für den Mittelstand erheblich an Relevanz. Fast neun von zehn bAV-Verantwortlichen stimmen der These zu, Arbeitgeber seien angesichts sich ändernder Arbeitsbedingungen gezwungen, mehr gesundheitsfördernde Maßnahmen anzubieten, um die Arbeitsfähigkeit der Belegschaft zu erhalten.
Auch die bAV ist im digitalen Wandel begriffen. Drei Viertel der bAV-Verantwortlichen stimmen der These zu, die Anbieter sollten ganzheitliche digitale Lösungen bereitstellen, um der Komplexität der bAV und den Kundenwünschen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gerecht zu werden. Somit wächst das Interesse des Mittelstands an digitalen Lösungen, auch wenn er sich immer wieder den Vorwurf gefallen lassen muss, die digitale Transformation nicht intensiv umzusetzen.
Um sich im Wettbewerb um Fach- und Führungskräfte besser zu positionieren, wollen mittelständische Arbeitgeber die bAV um Gesundheitszusatzleistungen ergänzen. Die überwiegende Zahl der bAV-Verantwortlichen ist an einer Teilübernahme der Kosten bei Gesundheitskursen und für Fitnessanlagen interessiert, ebenso an ergonomischer Arbeitsplatzausstattung und an betrieblichem Eingliederungsmanagement (BEM).
Im Einzelnen sind vor allem größere Betriebe stärker an Gesundheitszusatzleistungen interessiert als mittelgroße und kleinere. Trotzdem zeigen sich auch drei Viertel der kleineren Betriebe offen für eine Teilfinanzierung von Kursen und Fitness. Den Handlungsbedarf des Mittelstands in Sachen Gesundheit verrät der Blick auf die Zufriedenheit mit dem eigenen betrieblichen Gesundheitsmanagement. Lediglich jeder fünfte bAV-Verantwortliche ist mit dem eigenen BGM sehr zufrieden, weitere 50 Prozent zufrieden.
Michael Reinelt
Abteilungsdirektor
Generali Deutschland AG
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Dr. Guido Birkner
verantwortlicher Redakteur Human Resources
FRANKFURT BUSINESS MEDIA – Der F.A.Z.-Fachverlag
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