Investoren und Stimmrechtsberater werden künftig das Thema „Nachhaltigkeit“ auch in der Vorstandsvergütung genauer betrachten. Unternehmen sollten frühzeitig definieren, wie sie die entsprechenden Kriterien integrieren.
Nachhaltigkeit bleibt ein Dauerthema: Die Europäische Union hat mit einem speziellen Aktionsplan den Übergang zu einer kohlenstoffärmeren, ressourcenschonenderen und nachhaltigeren Wirtschaft eingeleitet. Bereits durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtline (ARUG II) und auch durch die Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex im Jahr 2020 (DCGK 2020) wurden börsennotierte Unternehmen angehalten, die Vorstandsvergütungsstruktur auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten. Die geforderte Nachhaltigkeit in der Vorstandsvergütung wird dabei zunehmend mithilfe der sogenannten ESG-Kriterien bemessen. Diese umfassen zum Beispiel:
- Environment: verantwortungsvoller Umgang mit natürlichen Ressourcen, globale Erwärmung, Energieverbrauch und Umweltverschmutzung.
- Social: Umgang mit Arbeitskräften und Kunden, Diversität der Mitarbeiterschaft, Rücksichtnahme auf Gesundheit und Sicherheit und soziales Engagement.
- Governance: Geschäftsethik, Vorstandsstruktur und -unabhängigkeit und Vorstandsvergütung.
In Europa stehen vor allem Umweltkriterien im Fokus. In Nordamerika hingegen stärker soziale Kriterien und in der Region Asien-Pazifik eher Governance-Aspekte, wie eine Umfrage von Willis Towers Watson unter Vorständen und Senior Executives im Jahr 2020 zeigt. Beispielhaft für den Fokus auf Umweltkriterien steht die Initiative „Say on Climate“, die eine Abstimmung der Anteilseigner zu den „Klimawende“-Aktionsplänen von Unternehmen einfordert. Einige namhafte multinationale Unternehmen, wie zum Beispiel Nestlé, Royal Dutch Shell und Unilever, haben ihren Aktionären bereits einen entsprechenden Plan zur Abstimmung vorgelegt oder angekündigt, die zu tun.
ESG-Einfluss: von schwach bis stark
Ein großer Trend im Markt besteht darin, dass Unternehmen ESG-Ziele innerhalb der variablen Vergütung von Vorständen berücksichtigen. Die ESG-Metriken werden jedoch auf unterschiedliche Weise in die Vorstandsvergütung (siehe Abb. 1) integriert – je nachdem, wie groß der erwünschte Effekt der Incentivierung sein soll, beziehungsweise wie gut die ausgewählten Kriterien messbar oder quantifizierbar sind.
Beispielsweise kann durch eine Integration von ESG-Kriterien als Einstiegshürde ein vergleichsweise niedriger Einfluss auf die Auszahlung genommen werden. Einstiegshürde heißt in diesem Zusammenhang, dass ein bestimmter Level erreicht werden muss, um (einen Teil) einer Auszahlung, deren Höhe sich anhand anderer Metriken bemisst, zu ermöglichen.
Die Erfahrung zeigt, dass Stakeholder Stabilität und Transparenz bei der Auswahl der Ziele und Leistungskennzahlen honorieren.
Als Performance-Anpassungsfaktor wird das ESG-Kriterium dazu verwendet, die Auszahlung aufgrund einer individuell erreichten Leistung um einen bestimmten Prozentsatz nach oben oder unten anzupassen. Die Integration als Plananpassungsfaktor bedeutet, dass das ESG-Kriterium eines von mehreren ist, um die Zielerreichung eines Incentive-Plans nach oben oder unten anzupassen.
Des Weiteren kann ein ESG-Ziel als allein stehende Messgröße in die kurzfristigen oder auch langfristigen variablen Vergütungskomponenten integriert werden. Alternativ können ESG-Ziele auch in Form eines für sich allein stehenden Plans in die Vorstandsvergütung integriert werden, genauer: in Form einer Komponente, die sich ausschließlich an der Zielerreichung einer ESG-Metrik orientiert.
Mehr als zwei Drittel aller gelisteten europäischen Top-Unternehmen haben bereits mindestens ein ESG-Kriterium in die variablen Vergütung integriert, wie eine Analyse von Willis Towers Watson auf der Basis publizierter Jahresberichte im November 2020 bestätigt. Obwohl dabei die Präferenz eindeutig auf der kurzfristigen variablen Vergütung liegt, zeigt sich in der Beratungspraxis ein verstärkte Trend bei vor allem großen gelisteten Unternehmen, ESG-Kriterien in die langfristige variable Vergütung zu integrieren.
Metrik: unternehmensindividuell oder gemäß Marktpraxis
Zu den am häufigsten genannten Herausforderungen bei der Integration von ESG-Metriken zählen das Festlegen von Zielen und das Definieren von messbaren Kennzahlen.
- Beim Festlegen von Zielen sollten Unternehmen bewerten, wie ihr Geschäftszweck und ihre Strategie von ESG-Überlegungen beeinflusst und vorangetrieben werden und wie ESG letztendlich zur langfristigen Wertschöpfung und Risikominderung beitragen kann. Ein aktueller Trend unter großen europäischen Unternehmen ist die Berücksichtigung sozialer Metriken. Bezüglich der Definition gibt es unterschiedliche und teils widersprüchliche Ansichten: Ein Ansatz ist es, Metriken aus der strategischen Agenda des Unternehmens abzuleiten. Wichtig ist hier, eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Metriken das Unternehmen tatsächlich beeinflussen kann und welches Kriterium aus dieser Sicht sinnvoll ist.
- Alternativ existiert der Ansatz, dass Vergleichbarkeit gewährt sein sollte: Die gewählten Metriken sollten – wenn immer möglich – der gängigen Marktpraxis entsprechen, wie sie beispielsweise durch unabhängige Vergütungsberatungen bereitgestellt werden können. Auch die berechtigten Interessen von Investoren und Stimmrechtsberatern sollten berücksichtigt werden. So kann beispielsweise fehlende Transparenz bei der Offenlegung zu Bedenken bei Stimmrechtsberatern und Investoren führen. Angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten zur Definition von Metriken gilt es, durch volle Transparenz – ähnlich zur Offenlegung im Nachhaltigkeitsbericht diese Bedenken zu zerstreuen.
Typischerweise messen Unternehmen die erzielte variable Leistung nach Ablauf einer festgelegten Zeitspanne. Erste Unternehmen erwägen nun das Gegenteil: ein festes Ziel zu incentivieren, und dabei die Auszahlung an die dafür nötige Zeit zu koppeln. Beispielsweise könnte eine Reduktion von CO2-Emissionen um zehn Prozent nach zwei Jahren zu einer höheren Auszahlung führen als das Erreichen des gleichen Ziels nach fünf Jahren.
Der Aufsichtsrat des Unternehmens sollte bereits frühzeitig definieren, wie diese Ziele und Leistungskennzahlen im Rahmen des Vergütungsberichts und des Vergütungssystems dargestellt werden. Die Erfahrung zeigt, dass Stakeholder Stabilität und Transparenz bei der Auswahl der Ziele und Leistungskennzahlen honorieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die geforderte Nachhaltigkeit in der Vorstandsvergütung durch die Integration von ESG-Kriterien umgesetzt werden kann. Dazu sollten Unternehmen klären, welche Nachhaltigkeitsziele zu ihrer Unternehmensstrategie passen.
Konkretere Anforderungen von Investoren und Stimmrechtsberatern
Mittelfristig dürften sich die Erwartungen von Investoren und Stimmrechtsberatern im Hinblick auf Ausgestaltung und Evaluation von Nachhaltigkeitszielen weiter konkretisieren. Dementsprechend sollten Unternehmen die Chance nutzen, eine solide Nachhaltigkeitskultur im Unternehmen zu etablieren – zumal die Integration von ESG-Kriterien einen positiven Beitrag zur langfristigen Wertschöpfung und zur Risikominderung leisten kann.
Florian Frank
Head of Talent & Rewards Germany/ Austria
Willis Tower Watson
florian.frank(*)willistowerwatson(.)com
www.willistowerwatson.com
Dr. Philipp Geiler
Associate Director Executive Compensation
Willis Tower Watson
philipp.geiler(*)willistowerwatson(.)com
www.willistowerwatson.com