Lars Golatka, Zurich Gruppe
Personalwirtschaft: Der Talanx-Konzern hat nicht nur das bAV-Konsortium „Die Deutsche Betriebsrente“ zusammen mit Zurich initiiert, sondern wird nun auch der erste Kunde für das SPM. Das könnte man einen geschickten Schachzug nennen, weil bei Erfolg gleichzeitig das Vertrauen in das Versicherungswerk wächst. Was sind Ihre Motive?
Lars Golatka: Wir wünschen uns vor allem einen Zuwachs an Vertrauen in das Sozialpartnermodell. Wir stehen dahinter und wollen mutig vorangehen. Auch viele Arbeitgeber wünschen sich eine Versorgung nach dem SPM. Aber noch fehlen Vorbilder, sowohl für die Verhandlungen mit der Gewerkschaftsseite und Arbeitgeberverbänden als auch für die Bestätigung, dass sich die Zielrente für Arbeitnehmer rechnet. Wir wollen Vertrauen schaffen, dass Sicherheit auch ohne feste Garantien funktioniert. Gerade im Umfeld niedriger Zinsen verbessert der Verzicht auf Garantien den Zugang zum freien Kapitalmarkt und Arbeitnehmer können von attraktiven Renditechancen und höheren Zielrenten profitieren.
Wie können Sie da so sicher sein?
Aus zwei Gründen: Zum einen zeigt die Erfahrung ausländischer Märkte mit gesetzlichen und betrieblichen Altersvorsorgesystemen, dass ein höherer kapitalmarktorientierter Anteil zu steigenden Renten führt. Zum anderen hat man gelernt: Wenn die Modelle nicht mit Sicherungssystemen versehen sind, können die Renten auch deutlich schwanken. Und genau um dieses zu verhindern, gibt es im SPM die Möglichkeit der kollektiven Kapitalanlage. Im Ergebnis verspricht die reine Beitragszusage mehr Rente als klassische Garantieprodukte und weniger Haftungsrisiken für den Arbeitgeber. Ich bin überzeugt davon, dass das SPM das richtige Modell ist mit einem hohen Anteil an Kapitalmarktorientierung und einem zusätzlichen Maß an Sicherheit durch die Kollektivität.
Die Zurich plant auch, mit Verdi in die Verhandlungen für einen Haustarif zu gehen. Mit welcher Mitarbeiterbeteiligung – vorbehaltlich der Genehmigung des Bundesvorstands von Verdi und der Genehmigung der BaFin – rechnen Sie?
Wir erleben momentan bei Neueinstellungen, die in den Medien von unserem Vorhaben gelesen haben, dass sie nach einer bAV nach dem SPM nachfragen. Der Bedarf ist auf jeden Fall da. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der neuen Mitarbeiter sich dem neuen Modell anschließen würde. Wir brauchen die reine Beitragszusage, ob sie für jeden das Richtige ist, können die Mitarbeiter selber entscheiden. Für einige ist es das bessere Modell, weil die Renditechancen höher sein werden.
Wenn der Haustarifvertrag bei Zurich dann zum Tragen kommen würde, planen wir, den Pensionsfonds mit einer reinen Beitragszusage als eine weitere Option zu führen – neben der jetzigen Direktversicherung mit Garantie. Annähernd 90 Prozent der Zurich-Mitarbeiter haben eine bAV-Zusage mit Matching-Modell. Sie könnten – bis auf die mit ganz alten Zusagen – dann frei entscheiden, ob sie wechseln oder ihren Vertrag ruhend stellen wollen. Wir würden die sogenannte Zielrente bewusst nicht nur neuen Beschäftigten anbieten, sondern auch Bestandsmitarbeitern. Hier ist es schwer, Prognosen zu erstellen, ob und in welchem Umfang sie sich der neuen bAV-Welt anschließen werden.
Gehen Sie davon aus, dass der Talanx-Abschluss eine Signalwirkung für die gesamte bAV-Branche hat?
Wir erleben jetzt schon eine große positive Resonanz von vielen Seiten, auch von bAV-Verantwortlichen aus großen Unternehmen und von Arbeitgebern vieler verschiedener Branchen. Für die bAV-Branche selbst hat der erste Abschluss einen extrem wichtigen Effekt, weil verstanden wurde, dass die Kapitalmarktorientierung eine wichtige Alternative ist. Ich hoffe, dass der ein oder andere Verbands- oder Gewerkschaftsvertreter sich nun für das Thema öffnet und in die Gespräche mit Partnern einsteigt – auch weil es auf beiden Seiten durchaus berechtigte Fragestellungen gibt.
Ich wünsche mir, dass der erste Tarifvertrag nach dem SPM einen Impuls setzt, sich der neuen Welt zu öffnen.
Seit knapp zwei Jahren ist das BRSG in Kraft und aktuell verhandelt
Verdi den Haustarifvertrag für Talanx. Noch heißt es also warten auf den
ersten Tarifabschluss nach dem SPM. Wir sprachen über die Gründe mit
Nobert Reuter.
© Foto: privat
Norbert Reuter, Verdi
Personalwirtschaft: Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Hemmnisse, um das Sozialpartnermodell umzusetzen?
Norbert Reuter: Ein Sozialpartnermodell gibt es derzeit noch in keiner Gewerkschaft. Für Verdi mit rund 25 000 Tarifverträgen stellt die Konstruktion eine große Hürde dar, da sich die Sozialpartner, also Arbeitgeber und Gewerkschaften, wie es das Gesetz vorsieht, an der Durchführung und Steuerung der Anlagen beteiligen müssen. Das grundlegende und nach wie vor ungelöste Problem ist, dass ein großer Flächentarifvertrag zur Umsetzung eines SPM mit einer entsprechend großen Zahl an Versorgungsberechtigten, die oberhalb einer notwendigen kritischen Masse für das effiziente Betreiben eines Versorgungswerks liegt, nicht absehbar ist. Andererseits kann Verdi keine Vielzahl von SPM im Rahmen von Haustarifverträgen verwalten und betreiben. Deshalb ringen wir immer noch um eine Konstruktion, die es ermöglicht, viele Haustarifverträge, sozusagen in einem stetig wachsenden SPM, zusammenschließen zu können, für das dann eine effiziente Durchführung und Steuerung zu gewährleisten wäre.
Als weitere Hürde hat sich auch erwiesen, dass Arbeitgeber oftmals nicht bereit sind, jenseits der Weitergabe der eingesparten Sozialversicherungsbeiträge einen eigenen Beitrag zur bAV ihrer Beschäftigten zu leisten. Für Verdi ist es aber zentral, dass die Beschäftigten ihre Betriebsrente nicht alleine und ohne Beteiligung des Arbeitgebers finanzieren.
Nach der Verabschiedung des Gesetzes hat Verdi ein eigenes Versorgungswerk in Aussicht gestellt. Wie ist der Stand?
Ein solches Versorgungswerk hat Verdi – entgegen einzelner Pressemeldungen – nie in Aussicht gestellt.
Sollte es zu einer Lösung der Zusammenfassung einzelner SPM kommen, würde man auf einen bestehenden externen Dienstleister (Anbieter für SPM) zurückgreifen.
Im Oktober 2019 wurde das erste Sozialpartnermodell mit dem Versorgungswerk „Die Deutsche Betriebsrente“, Verdi und Talanx AG beschlossen. Bereits Anfang 2019 wurde angekündigt, dass eine tarifvertragliche Vereinbarung kurz vor dem Abschluss stehe. Warum zieht sich eine Realisierung so in die Länge?
Im Zusammenhang mit dem SPM sind eine Reihe komplexer Fragen zwischen den Sozialpartnern zu regeln. Es geht dabei nicht nur um klassische tarifvertragliche Fragen, wie etwa die Höhe der einzuzahlenden Beiträge und die Beteiligung des Arbeitgebers, sondern darum, die Grundlagen des neuen Versorgungswerkes zu vereinbaren. Beispielsweise um die Frage, wie die Kontrolle und Steuerung der Einrichtung durch die Sozialpartner gewährleistet wird oder welche Kriterien an die Kapitalanlagen angelegt werden. Tarifvertragspartner betreten bei diesen Fragen Neuland.
Wie hoch sind aus Sicht von Verdi die Hürden, Arbeitnehmern eine reine Beitragszusage anzubieten?
Es bestehen grundsätzliche Vorbehalte innerhalb der Gewerkschaften gegen die neue Art der reinen Beitragszusage, da sie völlig von der Entwicklung der Kapitalmärkte abhängt und gleichzeitig keinerlei Garantien über die zukünftige Rentenhöhe beinhalten darf. Deshalb ist es zentral, dass die Sozialpartner an der Durchführung und Steuerung beteiligt sind. Zudem muss sichergestellt sein, dass die kapitalgedeckte Betriebsrente nicht zum Ersatz für die gesetzliche, auf dem Generationenvertrag beruhende Rente wird, sondern sie nur ergänzt.
Hat Verdi Wünsche an die Politik in Sachen SPM und BRSG?
Laut BRSG wird der bAV-Förderbetrag nur bis zu einem monatlichen Einkommen in Höhe von maximal 2200 Euro gezahlt. Dieser Betrag sollte auf mindestens 2500 Euro erhöht und müsste dynamisiert werden, damit nicht bei jeder Lohnerhöhung Versicherte plötzlich aus der Förderung fallen. Auch müsste der Förderbeitrag angehoben werden. Zudem sieht das BRSG vor, dass im Falle der reinen Beitragszusage im Tarifvertrag ein zusätzlicher steuerfreier Sicherungsbeitrag des Arbeitgebers vereinbart werden „soll“. Das „soll“ müsste durch „muss“ ersetzt werden, um über einen durch den Zusatzbeitrag gefüllten Puffer die Volatilität der reinen Beitragszusage zu mindern.
Die Interviews sind ein Vorabdruck aus unserem Sonderheft bAV, welches am 23. Dezember erscheint.
Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.