Herr Franke und Frau Nobile, Sie haben gerade ein Buch über New Pay und alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle (ISBN 978-3-648-11725-5) veröffentlicht. Was ist so neu an New Pay?
Sven Franke: Für eine Antwort auf diese Frage müssen wir einen Schritt zurückgehen und fragen, warum wir eigentlich arbeiten, denn genau so sollte unser Buch ursprünglich heißen. Damit sind wir beim Konzept von New Work. Es geht ursprünglich auf den austro-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück. Zentrale Eckpfeiler von New Work sind Selbständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Bergmann verband Arbeit aus der Sicht des einzelnen Menschen zum einen mit der Erfüllung eines Zwecks wie etwa der Finanzierung des Lebensunterhalts und zum anderen mit der Sinnerfüllung. Heute hat sich der ursprüngliche Begriff New Work dahingehend entwickelt, dass er in einem allgemeineren Sinn für eine Veränderung der Arbeitswelt steht, die mit Begriffen wie selbstbestimmtem Handeln oder Netzwerken verbunden wird. Es geht um Kollaboration, Arbeiten auf Augenhöhe, Wissensteilung, Ermächtigung, verteilte Führung, ein positives Menschenbild, hohe Transparenz, Partizipation sowie um eine Struktur, die durch Zusammenarbeit in wechselnden Teams statt durch abgegrenzte Silos gekennzeichnet ist. Von Bergmanns ursprünglichen Ideen über New Work ist heute vor allem das freie selbstbestimmte Arbeiten übriggeblieben.
Wie beeinflusst und verändert New Work bestehende Vergütungsmodelle?
Nadine Nobile: Angesichts des Umbruchs in der Arbeitswelt müssen auch herkömmliche Vergütungsmodelle auf den Prüfstand gestellt werden. Zwar stellt die Vergütung immer noch ein zentrales Element in betrieblichen Anreizsystemen dar. Doch monetäre Anreize spielen nicht die einzige Rolle, denn auch nichtmonetäre Anreize sind sehr relevant, etwa die Arbeitsplatzgestaltung oder auch Weiterbildung. In Zeiten von New Work, von disruptiven Innovationen und neuen Werteentwicklungen benötigen das tarifliche und das außertarifliche Entgelt einen Relaunch. Deshalb haben wir den Begriff „New Pay“ geprägt. Er dient als Dachbegriff für unterschiedliche neue Vergütungsmodelle, die die Grundprinzipien von New Work widerspiegeln. Wir erfassen das Neue an New Pay am besten, indem wir uns mit Fragen nähern. Zum Beispiel: Wofür will ein Arbeitgeber seine Beschäftigten bezahlen? Für die erbrachte Leistung, Anwesenheit, Zielerreichung, Verantwortungsübernahme, Kreativität, Berufserfahrung, Stellenbewertung oder beispielsweise für das Lernen aus Fehlern? Auch sollte sich ein Management fragen, was es über ein Vergütungssystem verteilen will. Nur Geld? Oder ist der Zusammenhang deutlich größer im Sinne eines Total-Rewards- oder Total-Compensation-Ansatzes, in dem andere Zusatzleistungen wie Verfügbarkeit und Hoheit über die eigene Zeit oder steigende Selbstbestimmung eine immer größere Bedeutung erlangen?
Sven Franke: Auch stellt sich in immer mehr Unternehmen, die New Work leben, die Frage, wie sie die Vergütung verteilen. Bestimmt allein das Management, wer wie viel verdient? Oder sind auch die Mitarbeitenden in diese Entscheidung eingebunden? Wie sieht es mit Transparenz in der Vergütung aus? Und wie hoch soll der Grad der Transparenz sein? Nützt eine große Transparenz sowohl dem Unternehmen als auch den Beschäftigten? Oder schadet sie einem oder gar beiden? Überhaupt sollte sich eine Organisation darüber im Klaren werden, ob sie über die Vergütung weitere Anreize setzen will, wenn die Menschen in der Arbeit bereits ein hohes Maß an Sinnerfüllung erfahren und stark intrinsisch motiviert sind. Wir sind davon überzeugt, dass eine Organisation, die nach New Work funktioniert, nicht von einem Vergütungsmodell profitieren kann, das auf extrinsische Motivation abzielt.
Vergütung gemäß einem Tarifvertrag hat nicht viel mit dem einzelnen Betrieb zu tun. Das ist bei New Work und New Pay sicher anders.
Nadine Nobile: Grundsätzlich sollte das Vergütungssystem zur jeweiligen Unternehmenskultur passen, denn nur so können beide Faktoren einander unterstützen und voll zur Wirkung kommen. Dabei spielen die Aspekte Zusammenarbeit und Führung wichtigere Rollen als etwa Boni. Organisationen, die nach den Prinzipien von New Work arbeiten, sollten passende Anreize setzen. Menschen, denen Eigenverantwortung, Kollaboration und ein übergeordneter Sinn der Arbeit wichtig sind, reagieren kaum auf die vielzitierte Karotte vor der Nase. Da mag mancher Vergütungsberater noch so auf den Bonus als Belohnung für unternehmerisches Handeln und Denken von Angestellten schwören. Einen ähnlichen Reinfall können Unternehmen erleben, die mit einem Teambonusmodell arbeiten. Das Modell kann dazu führen, dass ein Team sich nur auf sich selbst konzentriert und nicht mit anderen Teams kooperieren will. Solche Modelle setzen verfehlte Anreize über Boni. Die Instrumente dafür sind generell verfügbar, sie müssen aber auch richtig eingesetzt werden.
Sven Franke: Es muss uns gelingen, die Arbeitswelt als Ganzes zu gestalten. Nur so können Kollaboration und Gemeinschaftssinn nachhaltig gelingen. Dann geht es auch nicht mehr darum, Mitarbeiter für individuelle Leistungen oder Ziele zu belohnen. Eine monetäre Incentivierung individueller Leistungen droht, die Geheimniskrämerei innerhalb einer Organisation zu fördern. Doch das Gegenteil, nämlich mehr Kollaboration, bekomme ich nicht automatisch, indem ich einfach Ziele kollektiv ausrichte, Transparenz über Vergütung herstelle und möglichst das Team beim Thema Vergütung beteilige. Der Schlüsselbegriff für ein gelingendes Vergütungsmodell in einer Organisation lautet Fairness. Für den einzelnen Mitarbeiter muss sich seine Vergütung fair anfühlen. Natürlich wird Fairness unterschiedlich wahrgenommen. Auch Transparenz in der Vergütung ist kein Selbstläufer, sondern entscheidend ist die Transparenz darüber, wie die Gehälter entstehen und wie ein Gehaltssystem funktioniert. Ebenso müssen Einheiten und Sparten, die innerhalb einer Organisation selbst rekrutieren, über das Vergütungssystem Bescheid wissen.
Worauf kommt es bei Fairness an?
Nadine Nobile: Bei der Fairness spielen zwei Prinzipien eine wichtige Rolle, nämlich die Verteilungsgerechtigkeit und die Verfahrensgerechtigkeit. Bei der Verfahrensgerechtigkeit geht es unter anderem darum, das Verfahren, das der Gehaltsbestimmung und -entwicklung dient, konsistent und nachvollziehbar zu gestalten und sicherzustellen, dass für alle die gleichen Regeln gelten. Bei der Verteilungsgerechtigkeit geht es dann darum, die Kriterien so zu definieren, dass sich die Auf- und Verteilung ebenfalls möglichst fair anfühlt. Hier spielt mit rein: Was ist aus Sicht der Menschen innerhalb der Organisation fair? Unterschiedliche Arbeitszeiten und Arbeitsstunden? Verschiedene Ausbildungs- und Anforderungsprofile? In einer idealen Welt würde die Vergütung mit der Leistung oder dem gewünschten Beitrag des Einzelnen so korrespondieren, dass alle die Unterschiede als gerecht wahrnehmen. Doch das ist gar nicht so einfach, denn die heutigen Wertschöpfungsprozesse werden immer komplexer. In einem interdisziplinären Team, das an kreativen Lösungen arbeitet, lassen sich einzelne Wertbeiträge kaum noch aufschlüsseln. Hinzukommt, dass eine ungleiche Verteilung der Vergütung durch weitere Faktoren bestimmt wird. Zum einen sind Beschäftigte mit gleichen Qualifizierungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich selten auf dem Arbeitsmarkt und damit unterschiedlich teuer. Zum anderen hängt das Gehalt meist davon ab, wie gut jemand verhandeln kann. Wenn das allerdings transparent wird, empfinden das viele als ungerecht. Somit gilt für New Pay: Der Erfolg in der Akzeptanz neuer Vergütungssysteme hängt maßgeblich davon ab, in welchem Maße die Beschäftigten Verteilungsgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit beurteilen können und als angemessen wahrnehmen.