Kritik am Performance-Management (PM) ist mittlerweile andauernd. In der Tat gibt es viele Gründe, warum die traditionellen Modelle unter den veränderten Rahmenbedingungen (VUCA) nicht mehr zeitgemäß sind und ein Update verdient haben.
„Firma schafft Ratings ab“, „Vergütung und Performance müssen getrennt werden“, „Es geht nicht ohne kontinuierliches Feedback“ – diese Top-Themen nehmen Unternehmen in Angriff, um ihre PM-Systeme auf den neuesten Stand zu bringen. Manche Firmen haben sie schon umgesetzt, andere denken darüber nach. Die konkrete Umsetzung und die damit verbundenen Herausforderungen eignen sich nicht so gut für Headlines, können aber potentiell Kopfschmerzen verursachen: Wie können Unternehmen ihre Vergütung ohne Ratings noch leistungsgerecht gestalten? Welche Auswirkungen hat es, wenn Vergütung und Performance voneinander getrennt werden? Wie würde so eine Maßnahme zur Unternehmenskultur passen?
Viele Ideen zur Veränderung können nur mit Freuden begrüßt werden: mehr und diverseres Feedback, weniger Bürokratie und das Maßschneidern des PM auf die Bedürfnisse verschiedener Mitarbeitergruppen. Andere Themen verdienen es, differenzierter betrachtet zu werden. Hierzu zählen Ratings und ihre unerwünschten Nebenwirkungen und die Trennung von Vergütung und Performance. Welche Leistungskultur ein Unternehmen pflegen will und welches Ziel das PM erreichen soll – diese Fragen haben sich erfolgreiche Unternehmen gestellt, bevor sie ihre Systeme verändert haben.
Feedback verändert sich in zweierlei Hinsicht
Zum einen wird infrage gestellt, warum in vielen Firmen der Linienmanager die Hoheit über das Feedback hat, wo doch Mitarbeiter oft in wechselnden Projekten mit verschiedenen Kollegen oder mit Kunden arbeiten statt in stabilen Hierarchien. Das Konzept des 360-Grad-Feedbacks ist nicht neu, bekommt aber durch dynamischere und agilere Arbeitsbedingungen eine neue Popularität.
Zum anderen ist die Erkenntnis schon lange bekannt, dass Feedback am besten zeitnah funktioniert, aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem Apps und Software Unternehmen in die Lage versetzen, dieses Feedback unmittelbar und nutzerfreundlich zu dokumentieren und in die Prozesse zu integrieren.
Weniger Bürokratie
Das erklärte Ziel vieler Firmen, ihren bürokratischen Frosch namens Performance-Management wieder in einen Prinzen zu verwandeln, kann nur begrüßt werden. Deloitte hat geschätzt, dass ihr PM-Prozess circa zwei Millionen Stunden in Anspruch nahm (https://hbr.org/2015/04/reinventing-performance-management). Im Bestreben, jeden Schritt in einem Leitfaden zu regulieren, ist Performance-Management leider oft zu einer rigiden, sinnlosen Pflichtaufgabe geworden.
Allerdings bedeutet Vereinfachung der Prozesse für erfolgreiche Unternehmen immer auch eine Rückverlagerung der Verantwortung zu den Linienmanagern. Die Idee ist, durch zeitnahes Feedback und nutzerfreundliche Instrumente die Unterhaltung über gute oder schlechte Leistung wieder ins Tagesgeschäft einzubetten. Bedenken, dass viele Manager dafür nicht gut ausgerüstet sind, sind leider oft nicht von der Hand zu weisen. Deswegen ist die Vermittlung einer Toolbox für Manager wichtig für den Erfolg. Ein gemeinsames Verständnis von Leistung wird durch Training und durch Kalibrierung – beispielsweise innerhalb des Managementteams – erreicht. Manager haben im Guten wie auch im Schlechten einen enormen Einfluss auf die Leistung ihrer Teams. Betrachtet man die Aspekte, die High Performer von anderen Unternehmen unterscheiden, sieht man, dass sich das Teamklima für bis zu 30 Prozent der Unterschiede verantwortlich machen lässt.
Individualisierung
Ein weiterer Trend ist die Entwicklung passgenauer HR-Instrumente: Policies und Programme, die früher für alle einheitlich waren – zum Beispiel Arbeitszeiten, Sabbaticals, flexible Nebenleistungen, Vergütungsmodelle nach Lebensphasen – werden auf die Lebenssituation und die Bedürfnisse der Mitarbeiter angepasst. Auch im Performance-Management kann dies angewendet werden. Für Gruppen, die bei Motivation und Leistung anders ticken – beispielsweise der Vertrieb, Customer-Service oder agile Teams –, empfehlen wir ein maßgeschneidertes Performance-Management auch für solche Segmente. So profitieren agile Teams von diversen Feedbackquellen, während statischere oder hierarchischere Teile der Organisation gegebenenfalls beim traditionellen Manager-Feedback bleiben können. Ein KPI wie der Net Promoter Score kann im Customer-Service ein objektives Instrument zur Leistungsbeurteilung sein, ist aber vielleicht im Back-Office nicht maßgeblich.
Ratings – unerwünschte Nebenwirkungen
Insbesondere die neurowissenschaftliche Forschung liefert Erklärungen dafür, warum Ratings für Unbehagen sorgen: Sogenanntes Labelling, d. h. die Reduzierung der Leistung eines Mitarbeiters auf eine Zahl, hat negative und demotivierende Effekte (www.strategy-business.com/article/00275?gko=c442). Andere Studien haben gezeigt, dass Ratings im Allgemeinen mehr über den Rater aussagen als über den, der geratet wird (Scullen, S. E., Mount, M. K., & Goff, M.: Understanding the latent structure of job performance ratings. Journal of Applied Psychology, 85(6), (2000) 956-970).
Gute Gründe also, Ratings abzuschaffen? Jein. Beim Performance-Management geht es um die Verbesserung und Steuerung der Leistung der Mitarbeiter. Ratings bieten eine gemeinsame Sprache, um Leistung der Mitarbeiter zu gruppieren und zu ranken. Ohne einen objektiven Blick kann man nicht feststellen, wer gute Leistung bringt oder wer im Vergleich zurückfällt. Deswegen greift das Ziel zu kurz, Ratings einfach loszuwerden. Die bessere Frage ist: Welche Methode zur objektiven Feststellung der Leistung passt am besten zum Unternehmen? So kann man mögliche Alternativen betrachten und klären, wie sie zum übergreifenden Zweck des PM passen.
Wenn der Schwerpunkt auf der Weiterentwicklung der Mitarbeiter liegt, ist es möglich, auf detaillierte Ratingsysteme zu verzichten (siehe Tabelle 1). Falls es darum geht, Leistung und Beitrag zu belohnen, kann es sein, dass ein konventionelles Rating trotzdem die beste Lösung ist – oder eine der Nuancen dazwischen.
Eine internationale Firma mit Sitz in Deutschland hat ihre Rewardstrategie und ihr Performance-Management komplett umgestellt. Zugrunde lag die Überzeugung, dass für langfristig gute Performance im Unternehmen zum einen die Kopplung von individuellen Zielen an die Vergütung nicht mehr zeitgemäß ist, sondern Teamarbeit und der Erfolg des Unternehmens als Ganzes im Vordergrund stehen sollten. Zum anderen sollte die Vergütung konsequent fair und transparent im Vergleich zum externen und internen Markt sein, damit Geld kein Thema mehr ist.
Das Projektteam aus Reward- und Talentmanagementexperten hat in sorgfältiger Vorbereitung mit Unterstützung der Firmenleitung ein Konzept ausgearbeitet und dazu auch den Change-Prozess konzipiert. Das Ratingsystem ist stark vereinfacht: Alle Mitarbeiter sind automatisch gute Performer, und nur extreme Fälle nach oben oder unten werden differenziert. Je nach Positionierung im Markt (Peers und extern) wird mit Hilfe einer Matrix über Gehaltserhöhungen entschieden. Wenn das Zielgehalt erreicht ist, gibt es keine signifikanten Anpassungen mehr.
Die Kalibrierung – die Entscheidung darüber, was außergewöhnliche Leistung ist – liegt in der Verantwortung der Manager, die innerhalb einer Business-Line oder eines Landes die Kalibrierung gemeinsam vornehmen. Dieser Wandel wurde durch konkretes Investment in ein gemeinsames Verständnis der Leistungskultur und der Unternehmensziele unterstützt, damit die Performance-Kultur im Unternehmen auch gelebt wird und nicht nur ein Prozess ist.
Die Verbindung von Reward und Performance muss in einem gewissen Maß bestehen bleiben – der Fairness wegen
Sogar Organisationen, die sehr stark auf die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter fokussiert sind, werden ihre Vergütung weiterhin zu einem gewissen Maß differenzieren müssen, damit die relative Leistung Einzelner und deren Wert für die Organisation reflektiert werden. Der Grund dafür ist Fairness. Wenn Mitarbeiter wahrnehmen, dass sie nicht fair behandelt werden, sind sie weniger engagiert oder sogar demotiviert. Das Konzept der Fairness ergibt sich in diesem Kontext aus dem wahrgenommenen Ungleichgewicht zwischen erbrachten und erhaltenen Leistungen im Vergleich mit anderen Mitarbeitern. Erfolgreiche Unternehmen setzen sich deutlich von der Norm ab, wie Auswertungen von Mitarbeiterbefragungen zeigen (siehe Tabelle 2):
Fazit: Wie sieht das optimale PM-System aus?
Die dargestellten Trends bieten viele Stellschrauben, um Systeme anzupassen. Als Startpunkt für ein Neudesign steht immer die Frage nach dem Warum. Ohne Klarheit über die Notwendigkeit des PM und ein konkretes Ziel kann man das System nicht effektiv gestalten, sondern verheddert sich in Detailfragen.
Unser Performance-Modell bietet einen Rahmen für eine strukturierte Auseinandersetzung. Zweck, Philosophie, Grundsätze und Kennzahlen sind die Dimensionen, die das Grundgerüst des Performance-Modells ergeben. Dabei geht es hauptsächlich darum, die richtigen Fragen zu stellen und abzuwägen, welche Elemente im Vergleich zu anderen am wichtigsten sind.
Es gibt keine Standardlösung. Je nach dem Unternehmen und seinen spezifischen Herausforderungen kann es sein, dass sogar innerhalb einer Firma verschiedene Ansätze zum Tragen kommen sollten. Wichtiger ist es, das Performance-Management im Einklang mit der Kultur und der Situation des Unternehmens zu gestalten. Ein suboptimales System, das durch kompetente Manager gut umgesetzt und gelebt wird, schlägt immer ein theoretisch perfektes System, das Manager und Mitarbeiter nicht verstehen oder nicht vertreten. Das Mitnehmen aller Beteiligten durch Training und Kommunikation kommt in solch einem Veränderungsprozess oft zu kurz.
Annette Goldhausen,
Senior Principal, Korn Ferry Hay Group
annette.goldhausen@kornferry.com
Nora Cathrin Diener,
Consultant, Korn Ferry Hay Group