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Aufgaben ändern sich, Menschen auch

Vor dem Hintergrund der disruptiven Veränderungen in der VUCA-Wirtschaft, agiler Arbeitsformen und Organisationsstrukturen wird im Vergütungsmanagement ein Perspektivwechsel diskutiert: Sollen Beschäftigte nach den Anforderungen der Stelle oder nach ihren Fähigkeiten bezahlt werden?

In der Diskussion zur Vergütung nach Stellenanforderungen oder individuellen Fähigkeiten wird nicht selten argumentiert, dass es sich hier lediglich um zwei Seiten derselben Medaille handelt. Das kann man so sehen, aber es gibt auch relevante Unterschiede: In einem Fall wird die Anforderung einer Aufgabe bewertet, im anderen die Fähigkeiten einer Person. Wenn sich nun Anforderungen signifikant ändern, zieht das in der Regel eine Vergütungsänderung nach sich. Die Frage ist: Soll dieses Prinzip genauso gelten, wenn sich die Fähigkeiten der Person verändern?

Klarheit über die verwendeten Begriffe ist hilfreich

Im Fachdiskurs wird bei diesem Thema meist von Skill-based Pay und Competency-based-Pay gesprochen, wobei der Eindruck entsteht, dass die Verwendung englischer Begriffe von der Mühsal definitorischer Klärung entlasten soll. Nach herkömmlichem Verständnis sind Skills Kenntnisse und Fähigkeiten, die lern- und nachprüfbar sind, während Competencies deutlich weiter gefasst sind. Sie beinhalten oft auch Verhaltensweisen, Werthaltungen und Eigenschaften, die tiefer in der Persönlichkeitsstruktur verankert und daher auch weniger leicht veränderbar sind. Das ist ein durchaus relevanter Unterschied.

Skill-based-Pay – ein alter Hut

Für bestimmte Anforderungen im Rechnungswesen wurden seit jeher die Qualifikationen eines Bilanzbuchhalters gefordert und auch entsprechend bezahlt. Ebenso galt dies für die nachgewiesene Fähigkeit des Autogen-/Lichtbogenschweißens oder die Beherrschung bestimmter höherer Programmiersprachen. In der Produktion wurden immer schon die Fähigkeit und Bereitschaft, als sogenannter Springer mehrere Arbeitsplätze auszuüben, mit einer höheren Lohngruppe vergütet. All das ist Skill-based-Pay, das für Unternehmen und Arbeitnehmer ein sinnvolles Prinzip ist.

Neue Kompetenzen braucht das Land

Die Kompetenzen der Zukunft scheinen jedoch nicht nur aus praktischen Fähigkeiten, sondern auch aus Mindsets zu bestehen. Agilität, Ambiguitätstoleranz, Authentizität bei Führungskräften, aber auch Kundenorientierung und Konfliktbereitschaft sind einige der aktuell hoch gehandelten Kriterien. Diese meist überfachlichen Fähigkeiten lassen sich nicht leicht operationalisieren, nur schwer valide testen und kaum erfolgreich trainieren. Sind sie im betrieblichen Alltag überhaupt verlässlich zu bewerten und ist es sinnvoll, die Vergütung daran zu knüpfen?

Beurteilung ist ein hartes Brot

Stellenbewertung ist kein einfaches Geschäft, weil vielfältige Interessen eine Rolle spielen: betroffene Mitarbeiter, Führungskräfte, Sprecherausschuss, Betriebsrat, HR und die Unternehmensleitung – schließlich geht es um Geld. Das wird bei einer Beurteilung von individuellen Kompetenzen noch schwieriger, wenn diese nicht aus nachprüfbaren Fähigkeiten, sondern aus Verhaltensweisen und Eigenschaften bestehen (Soft Skills).
So ist es deutlich weniger konfliktträchtig, Mitarbeitern zu erläutern, warum ihre Stelle keine höhere vergütungsrelevante Einstufung hergibt, als zu begründen, warum sie als Person weniger „wert" sind. Und da die meisten Menschen – auch Führungskräfte – Konflikten tendenziell eher aus dem Weg gehen, sind kostenträchtige Zugeständnisse vorhersehbar.

Wird es noch dauerhafte Stellen geben?

Als Argumente für eine kompetenzbasierte Vergütung werden oft weniger Aufwand und eine zukunftsorientierte Vergütung genannt. Da sich Organisationsstrukturen und damit auch Stelleninhalte deutlich schneller verändern, müsse permanent nachbewertet werden. Es sei einfacher und auch im Hinblick auf zukünftige Arbeitsanforderungen zielführender, den Kompetenzwert einer Person für die Organisation zu ermitteln und sie entsprechend zu bezahlen – und einzusetzen.

Aber auch das Kompetenzprofil einer Person verändert sich in alle Richtungen, es entwickelt sich, stagniert oder verfällt, wird für die Organisation wertvoller oder wertloser, und damit werden ebenfalls kontinuierlich Neubewertungen erforderlich. Mitarbeiter werden vermutlich auch bei kleineren Veränderungen ihres Fähigkeitsprofils um eine Bewertungsprüfung bitten. Daher ist zu erwarten, dass es an dieser Front keine Entlastung bei der Notwendigkeit zur Bewertung gibt, sondern vielleicht sogar menschlich schwierigere Entscheidungen warten.

Unterschiedliche Ansätze sind schwer vermittelbar

Die meisten Funktionen an einer Montagelinie sind personenunabhängig, sie können nach einer kurzen Anlernzeit ausgeübt werden, von Personen ohne eine formale Ausbildung ebenso wie von einem promovierten Philosophen. Die Aufgaben einer HR-Leitung sind zwar sachlich beschreibbar, verschiedene Personen werden sie aber sehr unterschiedlich wahrnehmen und ihr damit auch einen sehr unterschiedlichen Wert in der Organisation geben. Die Wirkung der Person und ihrer erfolgsbestimmenden überfachlichen Fähigkeiten nimmt also mit steigender Hierarchiestufe deutlich zu – auch bei Expertenfunktionen und Rollen in einer agilen Organisation.

Wäre es also sinnvoll, stellenbezogen unterschiedliche Bewertungsprinzipen anzuwenden und im Tarifbereich weiterhin anforderungsorientiert und im AT-Bereich kompetenzorientiert zu vergüten? Derartig unterschiedliche Vorgehensweisen wären nicht leicht zu begründen und würden im Einzelfall zu unnötigen Diskussionen führen.

Vorhang zu und alle Fragen offen?

nach Stellenanforderungen beziehungsweise  individuellen Fähigkeiten stützen sich auf fast 40 Jahre Tätigkeit in Comp-&-Ben- und Personalabteilungen im In- und Ausland sowie Erfahrungen aus der Beratungspraxis – wobei die Frage eben nicht nur theoretisch diskutiert, sondern auch in der Anwendung evaluiert werden konnte. All dies resultiert in der Überzeugung, dass eine generelle Umstellung der Entgeltfindung vom Anforderungs- auf ein Kompetenzprinzip nicht zielführend ist. Sie wäre ebenfalls aufwendig, kommunikativ schwierig und vermutlich kostensteigernd.

Grundsätzlich zeigt sich: Für die meisten häufig in einer Organisation auch mehrfach besetzten Stellen bleibt die Anforderungsorientierung in der Vergütung die richtige Wahl. Bei singulären Funktionen, sowohl in der Experten- als auch der Führungslaufbahn, gibt es im AT-Bereich in der Regel breitere Gehaltsbänder, in denen eine auch kompetenzorientierte Differenzierung vorgenommen werden kann. Die Basis sollte aber auch hier eine stellenbezogene Wertigkeitseinschätzung bilden, die die Zuordnung zu einer der – hoffentlich nicht zu vielen – Managementebenen ermöglicht.

Und schließlich gibt es in der variablen Vergütung auch noch eine individuelle Leistungskomponente, in der die auf die Straße gebrachten Kompetenz-PS möglichst pragmatisch berücksichtigt werden können – falls diese nicht, einer aktuellen Mode folgend, in einen kollektiven Unternehmensbonus umgewandelt wurde.

Carsten Schlichtling
Seniorpartner
Unternehmensberatung hkp///group
carsten.schlichtling(*)hkp(.)com
www.hkp.com