Rund drei Viertel (76 Prozent) der Unternehmen erwarten, dass sich die Vergütung durch agile und neuartige Arbeitsformen stark wandeln wird. Doch hat weniger als ein Drittel der Unternehmen (29 Prozent) das eigene Stellenbewertungssystem gut für die aktuellen Anforderungen aufgestellt. Dies ergab eine Umfrage unter Teilnehmern der HR-Executive-Konferenz von Willis Towers Watson. Für die Zukunft sieht sich sogar nur ein Viertel (25 Prozent) gut aufgestellt. Dieser Beitrag zeigt, wie Unternehmen die notwendige neue Infrastruktur in sechs Schritten entwickeln können.
Infrastrukturen sind oft unsichtbar, jenseits unserer bewussten Wahrnehmung. Gleichzeitig gehören sie zu unserem Leben und prägen unser Denken und Handeln. Das gilt auch für die Infrastruktur, mit der Unternehmen Arbeit, Karriere und Vergütung strukturieren, organisieren und verknüpfen. Die gängigen Elemente dieser Infrastruktur sind:
- eine Stellenbewertung, die oft im Compensation & Benefits-Bereich beheimatet und Grundlage für eine konsistente und faire Vergütung ist,
- ein Stellenkatalog, der die Stellen eines Unternehmens Funktionsgruppen, Stellenfamilien und generischen Stellen zuordnet und meist für das Reporting oder das Workforce-Planning entwickelt wurde,
- und ein skaliertes oder unskaliertes Kompetenzmodell für unterschiedliche Mitarbeitergruppen, das typischerweise aus übergreifenden Kompetenzen für alle Mitarbeiter, Führungskompetenzen und ggf. Fachkompetenzen besteht und deren Owner der Talentbereich oder die Fachbereiche sind.
In vielen Unternehmen existieren diese Elemente unabhängig voneinander für unterschiedliche Personalanwendungen, was oft wenig effizient, effektiv und nutzerfreundlich ist. Spätestens dann, wenn diese Infrastruktur nicht mehr hinreichend funktioniert, wird sie schmerzlich wahrnehmbar, und Mitarbeiter, Führungskräfte, Betriebsräte und Topmanager stolpern darüber.
In den letzten Monaten der weltweiten Pandemie haben vor allem zwei Entwicklungen die Anforderungen an die Infrastruktur für Arbeit, Karriere und Vergütung verändert und eine Vernetzung und Weiterentwicklung der vorhandenen Infrastrukturelemente erforderlich gemacht.
Flexibilisierung der Arbeitsorganisation und des Personaleinsatzes erfordern Anpassung
Der wirtschaftliche Schock infolge der Pandemie sowie die Beschleunigung der Digitalisierung haben gezeigt, wie wichtig schnelle Anpassungsfähigkeit und Resilienz für das Überleben und den Erfolg der Unternehmen sind. Agile, kundenzentrierte Arbeitsformen, flexibler Mitarbeitereinsatz über Funktionen, Unternehmensbereiche und Unternehmensgrenzen hinweg sowie kontinuierliches Reskilling und Upskilling der Mitarbeiter sind hier die Mittel der Wahl.
Vorhandene Fähigkeiten müssen identifiziert und der anstehenden Arbeit zugeordnet werden. Traditionell erfolgt dies über Planstellen, aber vermehrt auch über zeitlich befristete Tätigkeiten, erweiterte Verantwortungsbereiche, Projekte oder agile Rollen. Hierfür benötigen wir eine Infrastruktur, die Arbeit und Stellen sinnvoll strukturiert und mit den benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten verknüpft und die uns gleichzeitig ermöglicht, Wertschöpfung anders zu denken und zu honorieren als nur über den Wert bzw. die Bewertung einer Stelle.
Autonomie in der Karrieregestaltung ermöglichen
In vorher undenkbarem Umfang und mit viel Pragmatismus und gutem Willen haben Mitarbeiter und Unternehmen in den letzten Monaten Erfahrung mit der Arbeit im Homeoffice gesammelt. Oft waren die Erfahrungen positiv, weshalb viele Unternehmen am Remote Working nach der Pandemie festhalten wollen, was die Bürolandschaft nachhaltig verändern wird.
Für Mitarbeiter bedeutet dies mehr Autonomie und Selbststeuerung, auch mit Blick auf ihre berufliche Entwicklung und Karriere. Dazu brauchen sie Zugriff auf relevante Informationen. Es bedarf einer leicht zugänglichen, intuitiven Karriereinfrastruktur „aus einem Guss“, in der Mitarbeiter, Führungskräfte, selbstorganisierte Teams, Mentoren, Career Coaches etc., also alle, die mit dem Thema „Karriere“ befasst sind, selbständig, dezentral und on Demand navigieren können.
Weiterentwicklung mit Blick auf Employee-Experience
Dreh- und Angelpunkt für die Überprüfung und Weiterentwicklung der Infrastruktur ist die Employee-Experience, also die Summe aller erlebten Berührungspunkte der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen. Aus dieser Perspektive soll die Infrastruktur soll eine gute Employee-Experience ermöglichen, was wiederum dem Unternehmen gut tut, wie unsere Untersuchungen zur High-Performance-Employee-Experience zeigen.
Eine Infrastruktur lässt sich dabei in sechs Schritten weiterentwickeln:
- Die existierenden Infrastrukturelemente mit Blick darauf erheben und analysieren, wie gut sie einen flexiblen Personaleinsatz und eine autonome Karrieregestaltung unterstützen: Was gibt es schon? Was funktioniert? Für welche HR-Prozesse? Wo drückt der Schuh? Was fehlt aus Anwendersicht? Wie steht es um die User-Experience?
- Eine Infrastruktur-Roadmap definieren, um einen flexiblen Personaleinsatz und eine autonome Karrieregestaltung zu ermöglichen: Welche dringenden Anforderungen gibt es seitens Mitarbeiter und Unternehmen? Wofür ist das besonders kritisch – zum Beispiel für digitale Jobs, die Projektlaufbahn und agile Rollen? Welche Infrastrukturelemente müssen weiterentwickelt werden (etwa Rollenprofile, Zuordnung von Skills und Experiences, Transparenz über Entwicklungsschwerpunkte auf Stellen oder in Rollen, weniger granulare Karrierestufen, Sinn-/Gemeinwohlbeitrag der Stelle)? Welche Vernetzung (zum Beispiel Vergütung, Karriere, Workforce Planning, Organisations- und Stellendesign) ist erfolgskritisch?
- Einen Prototypen für die Infrastruktur entwickeln als gemeinsamen Nenner für alle Mitarbeitergruppen, bestehend aus Karrierebändern und Karrierestufen (etwa Fach, Führung, Projekt, Prozess), Stellenfamilien, Stellen, Rollen, Kompetenzen, Skills etc.
- Den Prototypen für ein erfolgskritisches Segment konkretisieren (zum Beispiel digitale Rollen, R & D) und gemeinsam mit dem Fachbereich Karrierematrizen für dieses Segment entwickeln. Eine Karrierematrix macht transparent, wie sich eine Stelle oder Aufgabe über unterschiedliche Karrierestufen (Grades, Levels) mit Blick auf Tätigkeiten, Anforderungen, Verantwortungsumfang, Beitrag, Kompetenzen, Skills, Erfahrungen, Lernmöglichkeiten, Karrierepfade etc. entwickelt.
- Die Karriereinfrastruktur sowie die Karrierematrizen visualisieren, kommunizieren und implementieren, idealerweise mit Hilfe einer interaktiven App oder eines Karriereportals.
- Mit anderen Segmenten fortfahren und fortlaufend das Nutzerfeedback berücksichtigen.
Wenn Unternehmen ihre Infrastruktur für Arbeit, Karriere und Vergütung wie skizziert weiterentwickeln, profitieren sie unter dem Strich von einer leistungsstarken und engagierten Mitarbeiterschaft. Und darauf kommt es nicht nur in wirtschaftlich kritischen Zeiten an.
Anja Pempelfort
Director, Talent & Rewards
Willis Towers Watson
anja.pempelfort(*)willistowerswatson(.)com
www.willistowerswatson.com/de-DE