Vielfach angestoßen durch gesetzliche Neuregelungen sowie motiviert von einer immer intensiveren gesellschaftlichen Debatte um faire und diskriminierungsfreie Vergütung haben Unternehmen in den letzten Jahren verstärkt ihre Vergütungsrealität auf den Prüfstand gestellt. In derartigen Projekten sind Expertinnen und Experten aus dem Comp-&-Ben-Bereich natürlich besonders gefragt, denn eine belastbare Analyse setzt grundlegende Fach- und Statistikkenntnisse voraus. Aber das Thema ist auch ein übergreifendes und gibt allen HR-Verantwortlichen die Chance zu strategisch wichtiger Schnittstellenarbeit im Unternehmen. Im Folgenden werden fünf wesentliche Aspekte dargestellt, die Comp-&-Ben-Verantwortliche in Fair-Pay-Projekten beherrschen sollten und die sie erfolgreich machen – von der Identifikation der Handlungsfelder über die Entwicklung fairer Prozesse bis hin zur einer Fair-Pay-Zertifizierung.
1. Klare Ziele schaffen einen Fokus
Die Bereitschaft, Zeit und Mühe zu investieren, steigt bei allen Projektbeteiligten mit einer klaren Zielformulierung: Wir wollen fair vergüten – Punkt. Bis wann und wie dieses Ziel erreicht werden kann, wird auf Basis der anschließenden Analyse festgelegt.
Dem Comp-&-Ben-Management kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Auch wenn sich die erste Anfrage von Geschäftsleitungen häufig darauf beschränkt, eben mal einen Überblick beziehungsweise eine Einschätzung der Lage zu Fair Pay im Unternehmen zu erhalten, sollten die Betreffenden hier den Mut haben, groß zu denken. Stellen Sie das heraus, setzen Sie ein Projekt auf, holen Sie andere Abteilungen ins Boot – Sie werden sie brauchen.
2. Nicht ohne eine verlässliche Datengrundlage
Comp-&-Ben-Verantwortliche kennen ihre Daten, so sollte man meinen. Gerade in großen, international aufgestellten Unternehmen gibt es aber häufig kein umfassendes zentrales Datenmanagement. Durch verteilte Verantwortlichkeiten für unterschiedliche Unternehmensbereiche ist die Einsicht beziehungsweise der Zugriff häufig auf Betreuungsbereiche beschränkt. Das Thema muss also von oben angepackt werden,
um den Datenzugriff zu sichern. Operativ erschweren zudem unterschiedliche Systeme in verschiedenen Unternehmensbereichen die Arbeit. Damit lautet die erste Herausforderung: die Schaffung einer einheitlichen Datenbasis.
Wer schon zu Beginn eines Fair-Pay-Projektes seine Daten State of the Art hat, tut sich leichter. Geschlecht, Vergütungsdaten, Stellenwertigkeit und Stammdaten wie Alter und Betriebszugehörigkeit können Einfluss auf die Vergütungshöhe haben und sind meist verfügbar. Aber schon die Berufserfahrung, der Zeitpunkt der
letzten Beförderung oder die individuelle Performance sind oft nur schwer zu ermitteln.
Stellen Sie sicher, dass die richtigen Fachkräfte im Projektteam zusammenkommen, um das Thema von Anbeginn von allen Seiten beleuchten zu können. Eine realistische Einschätzung, welche Daten unternehmensweit verfügbar gemacht werden können, ist unbedingt erforderlich, um tragfähige Ergebnisse zu bekommen. Je mehr erklärende Einflussfaktoren in die Analyse eingehen, desto höher fällt typischerweise der Erklärungsanteil aus – oder anders gesprochen: Der Pay Gap, der nicht zu erklärende und damit potenziell auf
Diskriminierung zurückzuführende Vergütungsunterschied, wird kleiner.
3. Abgestimmte Definitionen nutzen: Welche Faktoren sind fair?
Aber Vorsicht: Sind die gewählten Einflussfaktoren wirklich alle fair? Diese Frage sollten sich Unternehmen nicht erst im Falle einer angestrebten Fair-Pay- Zertifizierung stellen. Ein Beispiel: Das Alter wird oft mangels Verfügbarkeit von Daten als Proxy für die Berufserfahrung herangezogen. Und mehr Berufserfahrung bedeutet oft mehr Gehalt, weil der Job besser ausgefüllt werden kann. Es geht nicht nur vorrangig um ein punktuelles Schließen von Vergütungslücken. Wer nachhaltige Veränderung ernst meint, entwickelt Maßnahmen, um faire Prozesse zu implementieren.
Aber ist es wirklich fair, dass eine Person, die 20 Jahre denselben Job macht, nur aufgrund ihres Alters mehr verdient als eine, die denselben Job erst drei Jahre lang ausübt? Es kommt besonders darauf an, sich als Unternehmen bewusst für Orientierungspunkte in der Vergütungsfindung zu entscheiden, sprich wofür der Arbeitgeber entlohnen will. Für Performance, so lautet vielfach die Antwort. Aber auch die Einbeziehung dieses Faktors ist ein zweischneidiges Schwert, sofern nicht sichergestellt ist, dass der Performance-Prozess zu einer diskriminierungsfreien Einschätzung führt.
Klar ist: Wenn die erklärenden Faktoren nicht diskriminierungsfrei sind, hat der resultierende Pay Gap keine Aussagekraft. Und spätestens an dieser Stelle wird die strategische Relevanz des Themas deutlich: Es geht nicht nur um Pay, sondern um Unternehmenskultur, um eine Haltung zum fairen Umgang mit Mitarbeitenden. Da braucht es die Unternehmensleitung an der Seite von Comp-&-Ben-Verantwortlichen, die die Grundlage schaffen, auf der Entscheidungen getroffen und Entwicklungen beurteilt werden können.
4. Den Mut zu Veränderungen haben
Eine Fair-Pay-Analyse gibt wertvolle Hinweise darauf, wo in puncto Vergütungsgerechtigkeit genauer hinzuschauen ist. Wer dazu nicht bereit ist, kann sich die Analyse sparen. Denn es geht nicht vorrangig um ein punktuelles Schließen von Vergütungslücken durch Ausgleichszahlungen. Wer nachhaltige Veränderung ernst meint, entwickelt Maßnahmen, um faire Prozesse zu implementieren. Darum darf Comp & Ben sich nicht darauf beschränken, das Benchmarking beizusteuern und Kosten zu berechnen, die ein potenzieller Ausgleich
der Vergütungslücke nach sich ziehen würde. Validieren Sie Ihre Gehaltsfindungs- und Performancemanagement-Prozesse auch im Hinblick auf eine Überprüfung unbewusster Diskriminierung, und implementieren Sie entsprechende Routinen.
5. Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg
Ergebnisse einer Fair-Pay-Analyse und abgeleitete Maßnahmen müssen professionell kommuniziert werden, auch oder gerade wenn der Pay Gap noch groß ist. Als Unternehmen transparent zu sein, Veränderungswillen zu zeigen und sich klare Ziele zu setzen, schafft Sympathien und Vertrauen – bei Mitarbeitenden, Bewerbenden und Investoren. Auch wenn eine Zertifizierung angestrebt wird, zum Beispiel beim Universal Fair Pay Check des fpi, spielt Kommunikation eine zentrale Rolle. „Über Geld spricht man nicht“, schon gar nicht über das eigene Gehalt und wenn, dann nicht im eigenen Unternehmen. Doch dieses in Deutschland spezifisch geltende Phänomen wird in absehbarer Zeit aufgebrochen werden, sowohl gesellschaftlich als auch gestützt von den regulatorischen Entwicklungen in Europa. Darauf sollten Comp-&-Ben-Verantwortliche vorbereitet sein und diese Entwicklung als Stärkung der eigenen Rolle begreifen – nicht zuletzt auch als Chance, bestehende Altlasten ausräumen zu können.
Fazit: Diskriminierungsfreie Vergütung ist eine Reise
Mit diesen Erfolgsfaktoren für gelungene Fair-Pay-Projekte wird deutlich: Vergütungsgerechtigkeit ist nicht mit einem Fingerschnippen hergestellt. Vielmehr ist das Ringen um Fair Pay eine Reise. Und für diese spezielle Reise gilt: Der Weg ist das Ziel. Denn jeder Schritt liefert Erkenntnisgewinne, und schon der Mut, sich auf den Weg zu machen, wird Anerkennung finden und – unter Berücksichtigung der skizzierten Faktoren – mit Erfolg
belohnt werden.
Jennifer S. Schulz
HR- und Vergütungsexpertin
Unternehmensberatung hkp///group
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