Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

Auswirkungen der Inflation auf die bAV

Die aktuelle Inflationsprognose geht davon aus, dass der Anstieg des Verbraucherpreisindex (VPI) in Deutschland im Jahr 2022 bei sieben Prozent liegen wird. Dies ist ein deutlicher Anstieg gegenüber den Inflationsraten seit dem Jahr 2000, die mit nur wenigen Ausnahmen stets unter zwei Prozent im Jahr lagen. Darüber hinaus haben sich auch die künftigen langfristigen Inflationserwartungen erhöht.

Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Methoden zur Prognose künftiger Inflationsraten, und jeder Spezialist (und Aktuar) hat seine eigene Interpretation zur Herleitung der erwarteten Inflationsrate. Im Wesentlichen gibt es folgende Varianten: Es wird entweder die Differenz zwischen den Renditen von inflationsgebundenen Staatsanleihen und denen fester Anleihen gleicher Laufzeit analysiert, oder die Festlegung erfolgt auf Basis einer verfügbaren Swap-Kurve. Die prognostizierte Inflationserwartunge hat sich nach Deloitte-Analyse wie in der Abbildung entwickelt. Ferner wird die vom statistischen Bundesamt monatlich veröffentlichte historische Inflation ebenfalls gezeigt. In Bezug auf die Rechnungslegung (HGB, IAS 19, US-GAAP) verwendeten viele Unternehmen Anfang der 2000-er Jahre die angestrebte Inflationsrate der EZB von nahe bei, aber unter zwei Prozent p. a. als langfristige Inflationserwartung. Sie bildete die Grundlage, auf der Rentenerhöhungen und Gehaltserhöhungsrate festgelegt wurden. Allerdings wichen Arbeitgeber in der Folge davon ab, da die tatsächliche Inflation und die vom Markt abgeleitete erwartete Inflationsrate durchweg die EZB-Zielgröße nicht erreichten.

Inflation und Rechnungslegung

Alle genannten Rechnungslegungsstandards schreiben vor, dass die versicherungsmathematischen Annahmen (mit Ausnahme des HGB-Rechnungszinses, für den eine Durchschnittsbildung über zehn Jahre vorgeschrieben ist) auf Basis der Marktbedingungen am Bilanzstichtag abgeleitet werden müssen. Zwar wird die Verwendung der EZB-Zielinflation von den Prüfungsgesellschaften akzeptiert, aber gleichzeitig werden die in der Regel marktbasierten Inflationsraten bevorzugt.

Im International Accounting Standard IAS 19.75 wird explizit verlangt, dass versicherungsmathematische Annahmen unvoreingenommen und zueinander konsistent sein müssen. Vor diesem Hintergrund war die Verwendung einer nicht marktbasierten Inflationsrate (zum Beispiel der von der EZB angestrebten Inflationsrate) für Rentenanpassungen aus Sicht der Autoren nicht nachvollziehbar, da sie nicht mit den vom Markt abgeleiteten Annahmen vereinbar war.

Jetzt ist die Situation genau umgekehrt, denn die im Markt erwartete Inflation liegt deutlich über dem neu festgelegten EZB-Ziel von zwei Prozent.
Unserer Ansicht nach sollten Unternehmen, die ihre Bilanz im verbleibenden Teil des Kalenderjahres 2022 aufstellen, folgenden Ansatz verfolgen:

  1. Sie sollten den einmaligen Anstieg im Jahr 2023 oder  folgenden aufgrund der aktuellen Inflationsrate berücksichtigen, die höher ist, als bisher prognostiziert wurde. So müssen Unternehmen mit Bilanzstichtag 30. Juni 2022 die (etwa) 10-prozentige Rentenerhöhung berücksichtigen, die im Jahr 2023, 2024 oder 2025 aufgrund des üblichen Dreijahresturnus bei inflationsbedingten Betriebsrentenanpassungen ein-treten wird.
  2. Verwendung der vom Markt abgeleiteten Inflation zur Ableitung der längeren Rentenerhöhungsrate.

Bei nach HGB bilanzierenden Unternehmen wirkt sich dies unmittelbar auf die Gewinn- und Verlustrechnung des Jahres aus. Gemäß IAS19 wird der Effekt im Eigenkapital (OCI) als versicherungsmathematischer Verlust verbucht. Eine Änderung der Methode von der Marktinflation hin zur Verwendung der EZB-Zielinflation würde wahrscheinlich eine Änderung der rechnungslegungsbezogenen Schätzungen darstellen und im IAS 8 entsprechend berücksichtigt werden. Dies ist eine Grauzone, und auch eine Änderung der Rechnungslegungsmethode wäre denkbar, was dann zu wesentlich umfangreicheren Berichtsangaben führen würde.

Mögliche Folgen für die betriebliche Altersvorsorge

Was die Rentenerhöhungen betrifft, so sind Unternehmen in Deutschland nach § 16 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) verpflichtet, die Rentenzahlungen alle drei Jahre zu überprüfen und die Renten entsprechend der Entwicklung des Verbraucherpreisindex (VPI) oder der Lohnentwicklung einer vergleichbaren Mitarbeitergruppe zu erhöhen – wenn die Finanzlage des Unternehmens dies zulässt und keine garantierte Rentenerhöhung gemäß § 16 Abs. 3 BetrAVG vereinbart wurde.

Auch wenn die Inflation kurz- bis mittelfristig deutlich höher liegen wird, ist es fraglich, ob Unternehmen oder beispielsweise auch Pensionskassen mehr Mittel für die Finanzierung zur Verfügung haben werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Stagflationsszenario (geringes Wachstum, hohe Inflation) eintritt. Da die Rentabilität der Unternehmen durch Lohnerhöhungen und andere Kosten unter Druck gerät, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mit Blick auf die wirtschaftliche Lage gemäß § 16 Abs 1 BetrAVG Rentenerhöhungen nur eingeschränkt gewährt werden können.

Wirkung auf Pensionskassen

Bei Pensionskassenzusagen könnte die Situation eintreten, dass viele Unternehmen verstärkt damit konfrontiert werden, Rentenerhöhungen, die von den Pensionskassen nicht geleistet werden können, aus eigenen Mitteln bezahlen zu müssen. Dies gilt in den Fällen, in denen der Arbeitgeber aufgrund der subsidiären Einstandspflicht nach §1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG dazu verpflichtet ist.  Für Pensionskassen, die bereits vorher finanzielle Schwierigkeiten hatten und nicht in der Lage waren, Rentenerhöhungen zu zahlen, wird der Anstieg der Inflation die Lage verschärfen. Der Grund: Sie können von dem Anstieg der Anleiherenditen sie nicht genug profitieren, um den Preisanstieg auszugleichen.

Es ist zu erwarten, dass eine zunehmende Kluft zwischen faktischer Inflation und den angenommenen Rentenerhöhungen verknüpft mit tatsächlich ausgesetzten Rentenerhöhungen zu einer steigenden Anzahl von Klagen auf Rentenerhöhungen führt.

Gleichwohl ist nach unserer Erfahrung die Zahl der tatsächlichen Klagen in diesem Bereich in der Vergangenheit nicht so hoch, wie man es hätte vermuten können. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Rentner ihre Rechte in diesem Bereich nicht kennen und/oder ihr nominaler Anspruch verhältnismäßig niedrig ist und daher viele eine Klage als nicht lohnend einschätzen. Darüber hinaus haben Rentner in der Regel keine Interessensvertretung im Unternehmen (insbesondere werden ihre Interessen nicht vom Betriebsrat vertreten) und sind darauf angewiesen, sich eigenständig über ihre rechtliche Lage zu informieren und gegebenenfalls Rechtsbeistand einzuschalten. Eine höhere Inflation, die zu höheren Löhnen führt, führt auch zu überproportional höheren Kosten für diejenigen Unternehmen, die noch endgehaltsabhängige Versorgungszusagen anbieten; auch bei beitragsorientierten Pensionsplänen steigen die Kosten, der prozentuale Anteil an den Lohnkosten ändert sich nicht.

Konsequenzen für Arbeitnehmer

Soweit aus einer hohen Inflation oder einer möglichen Stagflation negative Realzinsen resultieren, erhöht dies die Notwendigkeit von verstärkten oder zusätzlichen Vorsorgemaßnahmen für das Alterseinkommen. Das ist vielleicht die größte Herausforderung der aktuellen Marktveränderungen (neben dem langfristigen demografischen Trend der Überalterung der Gesellschaft). Die derzeitigen Rentner, die reale Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, könnten darauf angewiesen sein, dass der Staat die Differenz durch höhere gesetzliche Renten oder Sozialleistungen ausgleicht.

Rentner, die eine Betriebsrente beziehen, sollten die geleisteten Rentenerhöhungen im Auge behalten und beim Versorgungsträger nachfragen, wenn die Erhöhung nicht wie von ihnen erwartet ausfällt.

Peter Devlin
Partner Benefits & Compensation
Deloitte Consulting GmbH
pdevlin(*)deloitte(.)de
www.deloitte.de

Vinayaka Pandit
Senior Manager, Aktuar DAV
Deloitte Consulting GmbH
vipadnit(*)deloitte(.)de
www.deloitte.de