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Steht das Ende der individuellen Boni bevor?

Mehrere Münzstapel mit Würfeln zum Thema Bonus oben drauf
Bild: magele-picture/Fotolia.de

Leistungsbeurteilungen stärker an kollektiven Zielen zu orientieren, ohne dabei falsche Anreize zu setzen, ist eine altbekannte Aufgabe der strategischen Performancemessung. Die Entkoppelung der variablen Vergütung von der individuellen Zielerreichung hat insbesondere in den vergangenen Jahren immer mehr Fürsprecher gefunden und macht damit die viel diskutierte Trittbrettfahrerproblematik aktueller denn je. Überlegungen, auf Individualboni zu verzichten oder zumindest das Gewicht des Team- beziehungsweise Unternehmenserfolgs stärker zu betonen, sind in den Führungsetagen deutscher Konzerne weit verbreitet.

Während Infineon die Verknüpfung zwischen individueller Leistung und Bonus bereits 2010 abgeschafft hat, kündigte Bosch-Chef Dr. Volkmar Denner im Herbst 2015 das Ende des individuellen Bonus an. SAP hat die Koppelung von variabler Vergütung und „Performance Rating“ zunächst nur für seine „innovativen“ Arbeitskräfte aufgegeben, und auch die Deutsche Bahn hat individuelle Ziele aus der Bemessung der jährlichen Erfolgsbeteiligung ihrer Führungskräfte entfernt. Hauptargument hinter der Abschaffung von Boni, die auf der individuellen Leistung des Mitarbeiters basieren, ist die besondere Bedeutung von Innovation in der Arbeitswelt. Viele Unternehmen halten eine Fokussierung auf Einzelleistungen für nicht mehr zeitgemäß. Im heutigen Wettbewerbsumfeld erfordert unternehmerischer Erfolg mehr denn je einen stetigen, bereichsübergreifenden Wissensaustausch zwischen Mitarbeitern, sowie den Mut zum Experimentieren und Ausprobieren neuer Ideen. Eine an individueller Leistung orientierte variable Vergütung kann in diesem Setting kontraproduktiv sein.

Abschaffung individueller Ziele zur Förderung von Kooperation

In der heutigen, von Digitalisierung und Innovation geprägten Arbeitswelt, ändern sich fortwährend die Rahmenbedingungen in vielen Sektoren. Durch die Entstehung neuer Geschäftsmodelle und verändertem Konsumverhalten verlieren etablierte Unternehmen ihre Wettbewerbsvorteile an agile und innovative Unternehmen, die kreativ sind und flexibel reagieren. Um Innovation zu unterstützen, versuchen viele Unternehmen Rahmenbedingungen zu schaffen, die kreatives Arbeiten fördern. Mitarbeiter sollen Ideen ausprobieren und auch mal scheitern dürfen. In Unternehmen, in denen Kooperation eine bedeutende Rolle spielt, kann eine Verknüpfung der variablen Vergütung mit der Leistung des Einzelnen und die Fokussierung auf klar vergebene Individualziele nachteilig sein. Speziell Technologieunternehmen stehen angesichts des technologischen Wandels und einer Schar von höchst innovativen Wettbewerben besonders unter Zugzwang.

Neben der Stärkung eines kooperativen Umfelds können gemeinschaftliche Ziele zudem administrative Kosten reduzieren, da sie in der Durchführung häufig weniger aufwendig sind als individuelle Leistungsbeurteilungen. Zudem kann die Knüpfung der variablen Vergütung an individuelle Ziele negative Einflüsse auf den Feedbackprozess und damit auf die Mitarbeiterentwicklung ausüben. Es besteht die Gefahr, dass sich Feedbackgespräche lediglich um die Höhe des Bonus drehen.

Wird die variable Vergütung dagegen von der individuellen Leistungsbeurteilung entkoppelt, können Feedbackgespräche zu Coaching-Gesprächen werden, die die Entwicklung und Ambitionen des Mitarbeiters in den Mittelpunkt stellen. Unter anderem Infineon verwies bei der Umstellung des Vergütungssystems auf die Problematik der subjektiven Leistungsbeurteilung. Um Konflikte zu vermeiden bevorzugen Vorgesetzte, die Erwartungen ihrer Mitarbeiter an Individualboni zu erfüllen, und bescheinigen eine hohe Zielerreichung. Da Mitarbeiter ihre Vergütung in der Regel in Abhängigkeit von Referenzpunkten, wie ihrer Vorjahresvergütung bewerten, kann dieses Problem zu einer Art Sperrklinkeneffekt führen, durch den die Vergütung des Mitarbeiters im Zeitverlauf immer weiter ansteigt, ohne dass die gewünschte Anreizwirkung erzielt wird.

Die komplette Abschaffung individueller Ziele als reine Vermeidungsstrategie individueller Beurteilungen darf jedoch nicht das ausschlaggebende Argument bei der Umstellung von Vergütungsstrukturen sein. Nur wenn die richtigen Voraussetzungen für eine stärkere Orientierung an kollektiven Zielen gegeben sind, kann die Abschaffung individueller Leistungskennzahlen eine performancesteigernde Wirkung entfalten.

Vorsicht bei der überstürzten Abschaffung individueller Ziele

Bei der Abwägung, individuelle Ziele abzuschaffen, sollten potenzielle negative Effekte auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter berücksichtigt werden. Insbesondere in kompetitiven Arbeitsumfeldern kann die Leistung der Mitarbeiter durch individuelle Vorgaben mit gezielten Anreizen unterstützt werden. Gerade zur Motivation von Leistungsträgern sind individuelle Ziele in einem solchen Umfeld wichtig. Die Abschaffung individueller Ziele kann dazu führen, dass Leistungsträger nicht mehr in der Lage sind, sich von anderen Mitarbeitern abzusetzen, und als Konsequenz das Unternehmen verlassen. Häufig geht daher eine Ausrichtung an kollektiven Zielen mit überdurchschnittlichen Vergütungshöhen einher, um Mitarbeiterabgänge zu vermeiden und eine verbesserte Anwerbung von Leistungsträgern zu ermöglichen.

Erfahrungswerte aus den USA belegen diese Entwicklung und zeigen, dass vor allem Unternehmen mit einer überdurchschnittlichen Profitabilität Vergütungsstrukturen implementieren, die sich stärker an kollektiven Zielen ausrichten. Die Vergütungshöhen für Mitarbeiter in diesen Unternehmen sind vergleichsweise höher. Somit spielt auch die Marktpositionierung des Unternehmens bei der möglichen Abschaffung individueller Ziele eine bedeutende Rolle.

Neben Marktpositionierung und Vergütungshöhen sind auch die Messbarkeit der Leistung und die Beeinflussung gemeinschaftlicher Erfolgskennzahlen, bei der Zielfestlegung zu beachten.

Leistungsanreize können bei der alleinigen Orientierung der variablen Vergütung am Gesamterfolg des Unternehmens leiden, wenn auf unteren Hierarchieebenen kein direkter Einfluss der eigenen Leistung auf unternehmensweite Kennzahlen zu erkennen ist. Eine variable Vergütung, die sich effektiv nicht beeinflussen lässt, verwässert Anreize und kann im Ergebnis zu Frustration führen.

Bei einer kompletten Abschaffung individueller Bonuszahlungen beraubt man sich zudem der Möglichkeit, Leistungsträger gezielt zu belohnen, was insbesondere dort von Bedeutung ist, wo der Fachkräftemangel die Anwerbung und Bindung talentierter Mitarbeiter erschwert. Einige Unternehmen behelfen sich deshalb mit der Einführung von Sonderzahlungen, bei denen einzelne Mitarbeiter zu unregelmäßigen Zeitpunkten vertraglich nicht festgelegte Boni für besondere Leistungen erhalten. Solche Sonderzahlungen gewinnen immer stärker an Beliebtheit und wurden unter anderem bei SAP, Daimler und Metro eingeführt.

Um ihren außergewöhnlichen Charakter zu wahren, sollten Sonderzahlungen jedoch nur sehr gezielt zum Einsatz kommen. Dies wiederum macht sie zu einem limitierten Instrument und birgt die Gefahr einer niedrigen Anreizwirkung, aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit des einzelnen Mitarbeiters den Bonus zu erhalten. In der Regel werden daher eher Beförderungen und Erhöhungen der Festvergütung eingesetzt, um Mitarbeiter nach Leistung zu differenzieren. Hier sind den Unternehmen jedoch natürliche Grenzen gesetzt.

Die richtige Balance ist entscheidend

Kürzlich veröffentlichte Studien zeigen sehr unterschiedliche Ergebnisse bei der Untersuchung der Anreizwirkung von Individualzielen. Während auf unteren Hierarchieebenen mehr Differenzierung bei der Festlegung persönlicher Boni demotivierend wirken kann, sind Performancesteigerungen durch die Verstärkung von individuellen Zielen, speziell auf höheren Hierarchieebenen bei Mitarbeitern mit Führungsverantwortung zu beobachten.

Auch diese empirischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass keine „One-Size-Fits-All“ Lösung existiert. Insgesamt lässt sich festhalten, die passende Balance aus Individual-, Team- und Unternehmenszielen hängt von der Tätigkeit und der Position des Mitarbeiters, der Wettbewerbssituation des Unternehmens und der Unternehmenskultur ab. Objektive Bemessungsgrundlagen sind in der Regel eher für Führungskräfte sowie Vertriebsmitarbeiter verfügbar, die daher stärker am individuellen Erfolg gemessen werden können. In Unternehmen, in denen die Kooperation und der ständige Wissensaustausch hingegen entscheidend für den Unternehmenserfolg sind, ist es wesentlich schwieriger, den Wertbeitrag des einzelnen Mitarbeiters klar zu isolieren. Daher ist die besondere Betonung kollektiver Ziele in diesen Unternehmen häufiger zu beobachten. Eine stärkere Orientierung an kollektiven Zielen als Teil des Vergütungsansatzes kann jedoch nur ganzheitlich betrachten werden und sollte in die allgemeine Unternehmensstrategie eingebettet sein. Eine explizit ausformulierte HR-Strategie, mit der richtigen Balance zwischen kollektiven und individuellen Zielen, ist dabei zwingend notwendig.

Umstellung zu einer kooperativen Unternehmenskultur

Individuelle Ziele insbesondere für Vertriebsmitarbeiter und Führungskräfte in kompetitiven Unternehmensfeldern werden bestehen bleiben. Die steigende Bedeutung von Innovationen wird jedoch den relativen Vorteil von gemeinschaftlichen Performancezielen zukünftig weiter erhöhen. Die Abkehr von individuellen Zielen ist dabei aber keine Maßnahme, die isoliert betrachtet werden sollte, sie muss als Baustein einer ganzheitlichen, strategisch geprägten Umstellung zu einer kooperativen Unternehmenskultur verstanden werden.

Eine stärkere Orientierung an individuellen Zielen ist sinnvoll, wenn…
• … die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Leistungsträgern eine wichtige Rolle spielt
• … Wertbeiträge und Leistungen einzelner Mitarbeiter klar und objektiv messbar sind (bspw. Vertriebs- und Führungskräfte)
• … der Mitarbeiter spürbar Einfluss auf die gesetzten Ziele nehmen kann
Eine stärkere Orientierung an kollektiven Zielen ist sinnvoll, wenn…
• … Kooperation und Informationsaustausch zwischen den Mitarbeitern
entscheidend für den Unternehmenserfolg ist (bspw. um Innovation zu
fördern)
• … individuelle Wertbeiträge schwer zu messen sind
• …
das Unternehmen eine überdurchschnittliche Profitabilität aufweist und
daher in der Lage ist überdurchschnittliche Vergütungshöhen anzubieten

Dr. Daniel Herbold, Senior Consultant, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, daniel.herbold@de.ey.com

Dr. Johannes Ziesecke, Senior Consultant, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, johannes.ziesecke@de.ey.com

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