Agil wird als eine Art Sammelbegriff für eine Vielzahl von Konzepten, Prinzipien und Methoden in der Organisationstheorie verwendet. Die Welt wird als zunehmend volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig („VUCA-World“) wahrgenommen, und die Antwort darauf ist eine schnelle und adäquate Adaption an neue Technologien und die damit einhergehenden Veränderungen. Aber was sind eigentlich agile Organisationen?
Organisationale Konzepte, die mit Agilität in Verbindung gebracht werden, sind zum Beispiel Entwicklungspartnerschaften, Aufbrechen von Silostrukturen, multidisziplinäre Teams, Bottom-up-Entwicklungstechniken, flache Hierarchien sowie Ansätze aus dem Lean Management. Einige dieser Themen betreffen das Design von Rollen oder Stellen und die Art und Weise, wie diese Stellen in ihrem Umfang zu bemessen sind. Beispielsweise können flache Hierarchien und Bottom-up-Entwicklung dazu führen, dass Fachfunktionen in ihrem Stellenumfang zunehmen, das Aufbrechen von Silostrukturen dazu, dass die Grenzen zwischen Stellen weniger klar sind.
Aus der Vielzahl von Themen und Konzepten, die unter dem Begriff Agilität subsummiert werden, haben wir diejenigen Prinzipien herausgefiltert, die aus unserer Sicht einen engen Bezug zum Design und zur Bewertung von Stellen haben (siehe Abbildung 1).
Organisationale Agilität hat ihre Wurzeln in der Softwareentwicklung und ist dort nach wie vor weit verbreitet. Die Prinzipien, Strukturen und Arbeitsmethoden sind jedoch auch in vielen anderen Branchen und Funktionsbereichen anwendbar. So kann man in größeren Organisationen neben den Bereichen mit traditionellen Organisationsformen zunehmend Einheiten mit agilen Strukturen finden. Start-up-Unternehmen organisieren sich besonders häufig nach agilen Prinzipien.
Im Hochrisikoumfeld wie zum Beispiel bei Kernkraftwerken, wo klare Verantwortlichkeiten, strikte Hierarchien, detaillierte Planungen und Prozesse benötigt werden, ist das Konzept der Agilität wenig geeignet. Dies trifft im Kern auch für Bereiche zu, in denen Effizienz über standardisierte Tätigkeiten und Prozesse erreicht wird, wie beispielsweise Produktion oder Call-Center. Selbst wenn dort nicht alle Aspekte von Agilität umgesetzt werden können, gibt es doch einige Ansätze, die in nahezu allen Organisationen anwendbar sind, etwa temporäre Projektteams zur Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen, die Einbeziehung verschiedener Abteilungen und die regelmäßige Diskussion von Projektfortschritten.
Auswirkungen auf das Jobdesign
In klassischen hierarchischen Organisationen sind Stellen klar definiert. Ein Tester testet die Software am Ende des Entwicklungsprozesses. In einer agilen Organisation ist der Tester am gesamten Entwicklungsprozess beteiligt. Umgekehrt wird aber auch der Entwickler stärker an den Tests beteiligt sein. Verstärkt wird dies dadurch, dass alle Mitglieder der Squad am selben Ort arbeiten und sich regelmäßig treffen. Die Konsequenz ist, dass es die Spezialisierungen auch in einem agilen Umfeld immer noch gibt, die Jobs aber weniger scharf voneinander abgegrenzt sind. Das hat Auswirkungen auf das Stellendesign und die Stellenbeschreibungen. In einem agilen Umfeld ersetzen breitere Beschreibungen wie etwa Squad-Mitglied die alten, stärker individualisierten Stellenbeschreibungen wie Entwickler und Tester.
Konsequenzen für die Stellenbewertung
Die Abbildung 2 zeigt das Echtbeispiel einer agilen Organisation. Analyst, Specialist und Expert sind im Grunde ein einziger, breiter Job, den alle Mitglieder einer Squad (Tester, Entwickler, Business Analysts usw.) haben. Doch es war in diesem konkreten Fall der Wunsch des Unternehmens, die drei Jobs voneinander abzugrenzen, auch deshalb, um den Mitarbeitern nach wie vor Beförderungsperspektiven zu bieten. Die drei Rollen überlappen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass man als Analyst einen höheren Senioritätsgrad erreichen kann, eine Beförderung zum Specialist aber verdient werden muss.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass auch in agilen Organisationen Stellen nach wie vor bewertet werden können, allerdings nicht mehr in genau der gleichen Weise wie in der nicht-agilen Welt. Immer noch gibt es auch in einem agilen Umfeld unterschiedlich qualifizierte und unterschiedlich spezialisierte Mitarbeiter vom Hochschulabsolventen bis zum hochkarätigen Spezialisten mit unterschiedlichen Rollen, die sich beschreiben und bewerten lassen.
Diese Rollen sind im doppelten Sinne breiter als Standardrollen. Konkrete Tätigkeiten lassen sich oft nur in einem stärkeren Abstraktionsgrad darstellen, und auf einer Rolle kann es unterschiedliche Qualifikations- und Senioritätslevel geben. Diese Level kann man entweder als unterschiedliche Subrollen oder als Ausprägungen einer einzigen Rolle verstehen. Geschieht Letzteres, so hat dies unmittelbare Konsequenzen für die Vergütung: Die Vergütungsbänder für eine Rolle müssen breiter werden.
Konsequenzen für Performance-Management und Vergütung
Die Geschwindigkeit im agilen Umfeld ist hoch. Nach jedem Sprint gibt es eine Sprintretrospektive. Evaluierungen können auch in Sprintperioden eingeplant werden. Diese sollten auch Feedbacks bezogen auf die individuelle Performance umfassen und bei jährlich stattfindenden Performance-Reviews berücksichtigt werden. Die intensive Zusammenarbeit und hohe Sichtbarkeit des Einzelnen in agilen Teams führen außerdem dazu, dass die Verantwortung im Rahmen eines Performance-Managements zunehmend weg von Vorgesetzten oder HR-Funktionen hinein in die Teams verlagert wird. Recognition-Systeme, Peer-Reviews und 360-Grad-Feedbacks werden hier vergleichsweise häufig genutzt.
Die vernetzte Struktur und die kooperative Arbeitsweise im agilen Umfeld haben ferner die Konsequenz, dass weniger die Leistung des Einzelnen, sondern der Erfolg des Teams im Vordergrund steht. Dementsprechend basiert eine variable Vergütung, sofern nicht ganz auf die Komponente verzichtet wird, in agilen Organisationen primär auf kollektiven Zielen oder dem Erfolg der gesamten Organisation.
Korrespondierend zur sinkenden Relevanz der variablen Vergütung, insbesondere individueller Bonuszahlungen, steigt die Bedeutung der Fixvergütung und damit der Stellenbewertung im agilen Kontext. Hier liegt der Fokus auf Verfahrensgerechtigkeit, Transparenz und im Ergebnis fairen, marktgerechten, kommunizierbaren Grundvergütungen. Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Kontext ist die Verbindung zwischen Rollen, zum Beispiel dem Product-Owner, und der Vergütung. Je nach Art des Projekts können Product-Owner-Rollen hochrangig und sogar höher angesiedelt sein als die Funktion eines Squad-Mitglieds. In solchen Situationen hat man die Wahl, diesen eine höhere Stellenwertigkeit einzuräumen oder ihnen alternativ eine Sonderzahlung zu gewähren.
Fazit
Agile Organisationsformen haben massive Auswirkungen auf die Rollen, die es in ihnen gibt. Generell kann man sagen, dass die Aufgabeninhalte unterschiedlicher Rollen breiter und weniger scharf voneinander abgrenzbar sind. Dennoch stellt auch eine agile Organisation eine Struktur dar, in der es beschreib- und bewertbare Rollen gibt, denen die Mitarbeiter mit ihren unterschiedlichen Qualifikationen, Erfahrungen und Kompetenzen zugeordnet werden müssen.
Auch in der Vergütung und im Performance-Management erfordern agile Organisationsformen Änderungen und Anpassungen. Grundgehaltsbänder werden tendenziell breiter, variable Vergütung orientiert sich weniger an der individuellen Leistung und stärker am Erfolg des Teams oder der Organisation insgesamt.
Agile Organisationen sind in den allermeisten Fällen nicht überall im Unternehmen zu finden, sondern nur in bestimmten Teilen der Organisation. In traditionellen Bereichen wie etwa der Produktion oder dem Vertrieb sind klassische, hierarchische Organisationsformen nach wie vor Standard. Die Herausforderung besteht darin, das Nebeneinander unterschiedlicher Agilitätsgrade in einem Unternehmen zu beherrschen und trotz der Unterschiedlichkeit ein einheitliches Personalmanagement in allen Facetten (Vergütung, Performance-Management, Karriereplanung usw.) sicherzustellen.
Dr. Thomas Haussmann,
Senior Client Partner
KornFerry
Thomas.Haussmann@KornFerry.com
Dr. Maria Ramona Schawilye,
Associate Client Partner
KornFerry