Mit welchen Vergütungskomponenten hält der Mittelstand seine Mitarbeiter im Unternehmen?
Konrad F. Deiters: Gerade inhabergeführte Familienunternehmen sind oft durch ein hohes Maß an Bescheidenheit der Geschäftsführung gekennzeichnet. Der Dienstwagen des Inhabers muss nicht unbedingt ein Luxusmodell der Oberklasse sein, auch wenn dieses laut Benchmark angemessen wäre. Hier nimmt sich das Topmanagement häufig bewusst zurück und lebt diese Haltung den Beschäftigten vor. Das beeinflusst natürlich die Ausgestaltung der Rewards-Struktur in einem Familienbetrieb. Die Arbeitgeber nehmen ihre soziale Verantwortung vielfach in der Form wahr, dass sie in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter sowie in die lokale Infrastruktur investieren, etwa in Kindergärten, in die Kantine oder in Jobtickets. Dadurch erhöhen sie für ihre Mitarbeiter die Attraktivität des Standorts und eröffnen ihnen Karriereperspektiven in Verbindung mit der erforderlichen Work-Life Balance. Viele Arbeitgeber locken zudem mit Betriebsrenten. Hingegen ist der Anteil der Dienstwagenberechtigten im Mittelstand, abgesehen von Topmanagern und Funktionsfahrern, nicht so hoch wie in Großkonzernen.
Welche Kanäle und Quellen haben Mittelständler, um ihre Vergütungsstrukturen untereinander zu vergleichen?
Konrad F. Deiters: Im Mittelstand sind die Geschäftsführer einer Branche oft eng miteinander vernetzt und tauschen sich aus. Begünstigt wird der Austausch dadurch, dass die Zahl der großen Player in vielen Branchen überschaubar ist. Oft gehen die Parallelen innerhalb einer Branche weit über die Vergütung hinaus und gelten beispielsweise auch für die Ausbildung hochspezialisierter Fachkräfte. Es ist zu beobachten, dass mancher Mittelständler seine Vergütungsstruktur in Zukunft unabhängiger von den Rahmenvorgaben der Tarifverträge gestalten will. Einige Unternehmen überlegen den Ausstieg aus dem Tarifvertrag, um durch einen Haustarifvertrag vor dem Hintergrund des steigenden Kostendrucks auf Kundenseite eine wettbewerbsfähige Position zu halten. Hinter solchen Plänen steckt häufig ein hoher Kostendruck, seien es Produktionskosten oder Gewinnerwartungen der Familiengesellschafter. Darüber hinaus nehmen Mittelstandsunternehmen an Gehaltsbenchmarks teil, um einen Überblick über die Wettbewerbsfähigkeit von Gehältern von außertariflichen Mitarbeitern und der Geschäftsführung zu erhalten.
Fahren Mittelständler außerhalb der Tarifvertragssysteme besser?
Konrad F. Deiters: Das kann man nicht pauschal bejahen, aber der hohe Regulierungsgrad der Tarifverträge vor allem im produzierenden Gewerbe ist zu kritisieren. Diese Betriebe müssen stets die Ergebniskennzahlen im Auge behalten. Wenn ein Tarifvertrag eine flächendeckende Gehaltserhöhung von 3,5 Prozent vorschreibt, können diese Mehrkosten den Cashflow eines Unternehmens gerade in konjunkturell schwerem Fahrwasser beschädigen.
Eine autonomere Vergütungspolitik in Unternehmen verlangt nach dem Know-how von Vergütungsexperten. Verfügt der Mittelstand über solche Fachkräfte?
Konrad F. Deiters: In mittelständischen Betrieben treffen Sie vor allem HR-Generalisten an. Diese übernehmen die Administration der Vergütung zusammen mit vielen anderen Aufgaben im Personalmanagement. Je größer ein Unternehmen ist, desto eher existieren administrative Strukturen, die denen von DAX-Konzernen ähneln, also Fachabteilungen für Vergütung. Doch auch große Mittelständler weisen ein Merkmal auf, das den gesamten Mittelstand kennzeichnet, nämlich die Integration von Planung und Umsetzung in einer Hand. Ursache und Wirkung einer Maßnahme liegen nahe beieinander, und der Zusammenhang zwischen beiden ist schnell erkennbar.
Woran zeigt sich die Verknüpfung von Verwalten und Gestalten in Vergütungsfragen konkret?
Konrad F. Deiters: Nehmen Sie das Talent-Management! Konzerne leisten sich dafür separate Fachbereiche. In Mittelstandsunternehmen ist die Anzahl der Toptalente, gemessen an der Unternehmensgröße, vergleichbar gering. Der existierende Talentpool muss gezielt angesprochen und gefördert werden. Die HR-Generalisten in einem mittelständischen Unternehmen haben also die Aufgabe, passende Konzepte für das Talent-Management zu entwickeln, um es danach selbst umzusetzen. Dadurch und aufgrund der kurzen Wege innerhalb ihrer Betriebe können sie flexibler reagieren.
Konrad F. Deiters, Leiter des Geschäftsbereichs Talent, Mercer Deutschland GmbH