Die bAV-Versorgungslandschaft in Deutschland ist je nach Branche und Unternehmensgröße sehr divers. Innerhalb der einzelnen Branchen ergibt sich jedoch ein zunehmend einheitlicheres Bild. Unternehmen, die mit ihrer bAV im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter punkten möchten, sollten daher die aktuelle Marktpraxis genau kennen.
Die gesetzliche Rente sinkt, und damit wird die betriebliche Altersversorgung (bAV) umso wichtiger: für Arbeitnehmer zur Finanzierung des Ruhestands, für Unternehmen als Vorteil im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter. Je nach Branche und Unternehmensgröße sind die bAV-Praktiken in Deutschland dabei sehr unterschiedlich, wie der neu aufgelegte Deutsche bAV-Index von Willis Towers Watson belegt. Die Studie zeichnet ein repräsentatives Abbild der aktuellen arbeitgeberfinanzierten bAV in Deutschland. Sie bildet Strukturmerkmale, Leistungen und Kosten der Versorgungswerke von insgesamt 200 Unternehmen ab, wobei die Ergebnisse mit Gewichtungsfaktoren nach den Kriterien Branche, Umsatz in Deutschland und Anzahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter in Deutschland der tatsächlichen Unternehmensverteilung im deutschen Markt angepasst wurden. Durch eine regelmäßige Wiederauflage der Studie können die Veränderungen in der bAV-Praxis in Zukunft unmittelbar nachvollzogen werden.
Ein Spagat zwischen Risikominimierung und Attraktivität
Die bAV ist mit Risiken und Kosten verbunden – sei es in Form von Rückstellungen in der Bilanz oder in Form von Beiträgen an externe Versorgungsträger. Daher beeinflusst die aktuelle Situation am Kapitalmarkt die Gestaltung moderner Versorgungszusagen maßgeblich. Dabei wird stets das Risiko eines bAV-Gestaltungsmerkmals gegen seinen Nutzen – zum Beispiel die Wertschätzung durch die Mitarbeiter – abgewogen.
Da ein beitragsorientierter Versorgungsplan im Vergleich zu einem endgehaltsabhängigen Plan ein erheblich geringeres Risiko für das Unternehmen beinhaltet und den Vergütungscharakter der bAV in den Augen der Mitarbeiter hervorhebt, haben sich beitragsorientierte Zusagen im Markt durchgesetzt. Wie der Index zeigt, sehen nur noch 7 Prozent der betrachteten Unternehmen historisch gewachsene, endgehaltsabhängige Versorgungsordnungen für ihre neu eintretenden Mitarbeiter vor. Alle seit Anfang des Jahres 2012 neu eingeführten Zusagen in der Stichprobe sind beitragsorientiert gestaltet.
Mit Blick auf das derzeitige Niedrigzinsumfeld ist in Deutschland eine deutliche Abkehr von ehemals vorherrschenden Festzinszusagen hin zu kapitalmarktorientierten Zinsmodellen zu beobachten (siehe Abbildung 1). So werden bei bAV-Neugestaltungen nur noch selten feste Zinsgarantien vergeben. Laut dem Deutschen bAV-Index nutzen bereits 81 Prozent der betrachteten Unternehmen in Deutschland kapitalmarktorientierte Zinsmodelle, bei denen sich die Leistung in Abhängigkeit einer tatsächlichen oder fiktiven Kapitalanlage entwickelt. Die so gestalteten Zusagen können flexibel auf die Zinsschwankungen im Markt reagieren und bieten bei einer positiven Zinsentwicklung die Chance auf eine attraktive Rendite.
Mitarbeiter werden ihre bAV vor allem dann schätzen, wenn diese zu ihrem Altersversorgungsbedarf passt, und nur dann lässt sich die bAV als Instrument für Recruiting und Mitarbeiterbindung erfolgreich einsetzen. Im Hinblick auf die Auszahlungsoptionen der bAV-Leistungen ist Flexibilität daher das aktuelle Leitwort: Beim Eintritt in den Ruhestand bieten Unternehmen zunehmend die Auswahl zwischen Einmal-kapital, Raten oder einer lebenslangen Rente. Laut dem Deutschen bAV-Index sehen 95 Prozent der seit 2016 eingeführten Pläne alle Auszahlungsformen vor und überlassen es meist den Mitarbeitern, die für ihre Lebenssituation am besten geeignete Auszahlungsform zu wählen.
Auch durch eine gemischte Finanzierung lässt sich die bAV bedarfsgerechter gestalten. Insgesamt eignen sich Matchingmodelle, bei denen die Eigenleistung des Arbeitnehmers belohnt wird und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer Beiträge zur bAV leisten können, dazu, die Wertschätzung der gesamten bAV signifikant zu steigern wie auch die Teilnahmequote an der Entgeltumwandlung zu erhöhen. Dabei ist eine zielgruppengerechte, verständliche und leicht zugängliche Kommunikation in Bezug auf die bAV-Regelung unerlässlich. Derzeit lassen 86 Prozent der Unternehmen mit einer beitragsorientierten Versorgungszusage eine Eigenbeteiligung der Arbeitnehmer innerhalb des arbeitgeberfinanzierten Systems zu, 84 Prozent belohnen dies mit einem Matching.
Eine weitere Möglichkeit, die Attraktivität einer bAV für den Mitarbeiter mit einem vergleichsweise überschaubaren Risiko für den Arbeitgeber und einer hohen Wirkung für den Einzelnen zu steigern, bieten Risikoleistungen. Nahezu alle betrachteten beitragsorientierten bAV-Zusagen (99 Prozent) sehen eine Leistung an Hinterbliebene vor, und 97 Prozent decken zusätzlich auch die Berufsunfähigkeit oder Invalidität mit ab. Die konkrete Ausgestaltung der Risikoleistungen ist dabei sehr vielseitig – wie auch die Bedeutung, welche die einzelnen Unternehmen der Risikoabsicherung beimessen.
Leistungsniveau und Kosten: hoher Wettbewerbsdruck innerhalb der Branchen
Ein Tarifmitarbeiter (Musterperson) bekommt nach einer 42-jährigen Dienstzeit im Median eine Altersleistung in Höhe von 4,6 Prozent des letzten Grundgehalts als Ausgleich für das wegfallende Erwerbseinkommen. Ein außertariflicher Mitarbeiter erreicht einen ähnlichen Versorgungsgrad in Höhe von 4,4 Prozent im Median – und das mit einer um zehn Jahre kürzeren Laufzeit aufgrund eines späteren Karrierebeginns.
Trotz eines sehr späten Karrierebeginns mit 45 Jahren hat die Musterführungskraft mit 4,8 Prozent der Grundvergütung im Median den höchsten Versorgungsgrad. Die Kosten der Versorgungswerke bildet der Deutsche bAV-Index anhand einer fiktiven bAV-Prämie ab. Diese Prämie liegt für die drei Musterpersonen im Median zwischen 3,0 Prozent der Grundvergütung im Tarifbereich und 7,2 Prozent bei der Muster-Führungskraft.
Auffällig sind die großen Niveauunterschiede in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße und der Branche – sowohl in Bezug auf die Leistungshöhe als auch auf die damit verbundenen Kosten. Tendenziell gilt: Je größer das Unternehmen ist, desto höher ist die gewährte bAV-Leistung. Die Diversität zwischen den Branchen erlaubt keine einheitliche Aussage über die Angemessenheit eines Leistungsniveaus. Was für die eine Branche als sehr großzügig gewertet werden kann, liegt für eine andere Branche eventuell schon unterhalb eines marktüblichen Niveaus. Dabei wird das Niveau innerhalb fest definierter Gruppen jedoch immer homogener: Neu eingeführte Zusagen orientieren sich am Median der direkten Vergleichsgruppe. Durch das sich angleichende Kostenniveau besteht zunehmend die Chance, bei einer (Neu-)Gestaltung der bAV klare Akzente zu setzen und sich von den Wettbewerbern abzuheben. Es besteht aber auch das Risiko, durch unzureichende Information am Markt vorbei zu agieren.
Ausblick
Neben der Betrachtung der Marktüblichkeit stellt sich die Frage, ob die bAV in ihrer jetzigen Form ihrem gesellschaftspolitischen Anspruch als zweite Säule der Alterssicherung gerecht werden kann. Das ermittelte marktübliche Niveau der bAV reicht kaum aus, um die aufgrund der demographischen Entwicklung sinkende Tendenz der gesetzlichen Rente aufzufangen, geschweige denn, das Auskommen im Alter darüber hinaus zu verbessern. Bisher stand vorrangig die Verbreitung der bAV im Fokus des Gesetzgebers, beispielsweise in dem am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Betriebsrentenstärkungsgesetz. Die Ergebnisse des Deutschen bAV-Index legen nahe, dass auch die Frage nach der Höhe der bAV verstärkt adressiert werden sollte.
Wilhelm-Friedrich Puschinski,
Leiter General Consulting,
Willis Towers Watson
wilhelm-friedrich.puschinski@willistowerswatson.com
Natalie Lingenfelser,
Consultant,
Willis Towers Watson
natalie.lingenfelser@willistowerswatson.com