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Unternehmenspraxis kontra öffentliche Debatte – ­aktuelle Trends in der variablen Vergütung

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Aktuell ist Berichts- und Bonussaison. Was bringt uns das Jahr 2017 in diesem Zusammenhang?

 

Raffaela Stutz: Großes Thema ist die Vereinfachung variabler Vergütungsmodelle auf Topmanagement- und auf Mitarbeiterebene. Incentive-Modelle wurden zuletzt immer komplizierter, so dass Systeme häufig nur mehr begrenzt ihrer Anreizfunktion gerecht wurden. Insgesamt sehen wir am Markt durchaus konträre Trends. Viele Unternehmen befassen sich mit ihren Vergütungs- und Anreizsystemen sowie deren Bemessungsgrundlage. In der Vergangenheit waren hier oft Performance-Management-Systeme mit Fokus auf individuellen Leistungen der Ausgangspunkt. Manche Arbeitgeber entkoppeln ihre Vergütung von klassischen Performance-Management-Ansätzen, da starre Systeme nicht mehr in die heutige, sich rasch verändernde Arbeitswelt passen. Doch gleichzeitig soll Performance verstärkt honoriert, soll die Vergütung von Top-Performern differenziert werden. Der Wunsch nach einer Entkopplung von Incentive-Systemen von klassischen Performance-Management-Systemen wird häufig damit begründet, dass die Beschäftigten nach regelmäßigerem, zeitnahem Feedback verlangen und dass Leistung auch zeitnah honoriert werden kann. Der Zeitaufwand für Führungskräfte steigt jedoch, wenn sie Mitarbeitern häufiger eine Rückmeldung geben müssen. Da bringt die Entkopplung weniger Erleichterung. Allerdings gibt eine Entkoppelung von starren Systemen mehr Freiraum bei der Beurteilung der einzelnen Mitarbeiter und liefert somit mehr Flexibilität.

 

Beobachten Sie weitere Trends?

 

Raffaela Stutz: Wieder mehr Unternehmen interessieren sich für Profit-Sharing-Programme. Dieser Ansatz, bei dem Mitarbeiter direkt am geschäftlichen Erfolg des Unternehmens beteiligt werden, ist in der Regel mit einer einfachen Formel hinterlegt, so dass die Beschäftigten prozentual am Gewinn des Unternehmens partizipieren können. Zugleich möchten Arbeitgeber verstärkt das Wie der Leistungserbringung honorieren und greifen auch auf kreative, teils nichtmonetäre Formen der Vergütung zurück. Zusätzlich haben einige Unternehmen variable Vergütungskomponenten komplett eliminiert und zum Beispiel in das Grundgehalt verschoben. Aktuell zeigt der Markt keine einheitliche Richtungsänderung, sondern verfolgt individualisierte Ansätze, die den speziellen Unternehmens- und Mitarbeiteranforderungen entsprechen. Zu erwähnen ist, dass stark leistungsbezogene Ansätze sich häufiger auf der Ebene von Managern und Führungskräften finden lassen. Dahinter steckt die Notwendigkeit, hohe Boni und Long-Term-Incentives für Manager gegenüber den Eigentümern des Unternehmens zu rechtfertigen.

 

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Entwicklungen in Betrieben und den Diskussionen auf politischer Ebene?

 

Raffaela Stutz: Auf politischer Ebene und, davon hervorgerufen, auch auf Unternehmensebene steht das Thema Equal Pay im Fokus, vor allem aufgrund des neuen Entgelttransparenzgesetzes. Dieses wird den Unternehmen einen höheren administrativen Aufwand bescheren, denn die Gehaltsdaten müssen anders aufbereitet, analysiert und offengelegt werden. Trotzdem stellt sich die Frage, ob man Vergütung für beide Geschlechter angesichts grundsätzlicher Unterschiede in der Verteilung der Geschlechter auf Rollen, Hierarchieebenen und den gesamten Karriereverlauf vergleichen kann. Durchschnittswerte bilden die Realität nur begrenzt ab, da zu viele andere Themen mögliche Unterschiede in der Vergütung beeinflussen. Die erneute öffentliche Diskussion über die Höhe der Managergehälter und deren Begrenzung im Verhältnis zum Durchschnittsgehalt im Unternehmen oder die Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit der Managergehälter für Unternehmen haben mit dem Wahlkampf zu tun und lassen sich gut zu diesem Zweck aufgreifen.

 

Wo stehen wir derzeit in der Debatte über Managergehälter?

 

Raffaela Stutz: Grundsätzlich kommt es hier auf die Sichtweise der verschiedenen Stakeholder an. In den vergangenen Jahren wurde dieses Thema stark aus der Finanzbranche heraus mit Fokus auf die variable Komponente getrieben. Dort ist mittlerweile laut CRD-IV-Guidelines auf europäischer Ebene die maximal mögliche Höhe der variablen Vergütung bei 100 Prozent der Festgehälter gedeckelt, in Sonderfällen bei 200 Prozent, sofern Anteilseigner zustimmen. Jahrelang bekamen Banker und Bankangestellte ein Mehrfaches ihres Grundgehalts über variable Vergütungskomponenten zugeteilt, was nun drastisch eingeschränkt wurde, auch wenn Banken versucht haben, dieses Thema zu umschiffen. Aus meiner Sicht ist die Deckelung der variablen Vergütung kritisch zu hinterfragen, denn die wirklich guten Talente sind längst international mobil. Große europäische Banken stehen somit im Wettbewerb mit anderen Talentmärkten, die nach wie vor mehr oder minder unbegrenzt vergüten können. Damit wird der in Deutschland verfügbare Talentpool eingeschränkt.

 

Beobachten Sie bereits jetzt einen Engpass an Topmanagern aufgrund von Gehaltsbeschränkungen?

 

Raffaela Stutz: Bislang nehmen wir dies nicht als besonders akzentuiertes Problem in Unternehmenskreisen wahr. Jedoch sind Toptalente von jeher eher begrenzt verfügbar und normalerweise schwierig zu rekrutieren. Die Diskussion darüber, wie ein neues Gesetz zur Begrenzung der Managergehälter aussehen könnte, verfolgen wir mit Spannung.

 

Ein weiteres Thema in der aktuellen Diskussion könnte eine zwangsweise Ausweitung der Tarifbindung werden.

 

Raffaela Stutz: Tarifverträge zwängen manche Unternehmen in mehr oder minder starre Gehaltsstrukturen. Unternehmen, die zeitweise finanzielle Schwierigkeiten durchlaufen, aber aufgrund eines Tarifvertrags dazu gezwungen werden, Gehaltsrunden durchzuführen, können stark geschwächt und teils gezwungen werden, anders Kosten zu sparen. Unternehmen sollten in der Lage sein, sowohl fixe als auch variable Kosten so zu steuern, dass es sie nicht unnötig belastet und die Strategie bestmöglich unterstützt. Natürlich sollte die Belegschaft fair vergütet und am Unternehmenserfolg beteiligt werden, gerade dann, wenn Vorstand oder Geschäftsführung großzügig für geschäftlichen Erfolg entgolten werden. Für dieses schwierige Thema gibt es keine pauschale Lösung.

 

Unternehmen wie Infineon beginnen damit, das Bonussystem aus dem AT-Bereich, das sich am Unternehmenserfolg orientiert, auch auf den Tarifbereich auszudehnen.

 

Raffaela Stutz: Einige große Unternehmen entkoppeln ihre variable Vergütung im AT-Bereich von der individuellen Performance. Kritiker bemängeln daran, dass Pay for Performance dann nicht mehr gegeben ist. Ich vertrete den Standpunkt, dass Unternehmen bei der Ausgestaltung von Bonusmodellen erwägen sollten, zwischen Plänen für das Management und den Mitarbeitern im Tarifbereich zu differenzieren. Der einzelne Mitarbeiter hat eine durchaus andere Line of Sight auf den Gesamtunternehmenserfolg als etwa ein Topmanager.

 

Das Interview führte Dr. Guido Birkner.