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Vertriebsvergütung neu denken

Die Corona-Pandemie hat viele Unternehmen veranlasst, Bestehendes neu zu denken oder notwendige Veränderungen zu beschleunigen. Auch im Vertrieb gilt es, veränderten Anforderungen und neuen Herausforderungen zu begegnen, auch im Hinblick auf die Vergütungsprogramme.

Abgesehen von kurzfristigen Krisenreaktionen, lässt sich Anpassungsbedarf in der Vertriebsvergütung meist auf fünf Ursachen bzw. Zielsetzungen zurückführen.

1. Mehr Agilität in der Vertriebsvergütung

Organisationen benötigen Agilität in mehrerlei Hinsicht. Unerlässlich ist sie zum Beispiel im Einsatz der Vertriebsmitarbeiter. Unternehmen, die ihre Mitarbeiterzahl im Laufe des Jahres erhöhen, brauchen die Flexibilität, Kunden und/oder Gebiete neu zuzuordnen, wenn neue Mitarbeiter an Bord kommen. Die Vertriebsvergütung darf dem nicht im Wege stehen. Ein Beispiel, wie dies mit Hilfe von drei Maßnahmen umgesetzt werden kann, stammt von einem Unternehmen mit einer schnell wachsenden, globalen Vertriebsmannschaft:

  • Im ersten Schritt stellte das Unternehmen von einem Provisionssystem, bei welchem dem Verkäufer ein Prozentsatz des tatsächlichen Umsatzes gezahlt wird, auf ein zielbasiertes Bonussystem um, bei dem der Prozentsatz der Zielerreichung den Prozentsatz der Bonusauszahlung bestimmt. Dies ermöglichte, erfahrene Talente für einige kleinere, aber wachstumsstärkere Kunden und Märkte einzusetzen, ohne dass sich dies auf die Vergütung auswirkte.
  • Zweitens wurde die Zuordnung der Kunden/Gebiete in regelmäßigen Abständen überprüft und die Verkaufsziele entsprechend neu kalibriert.
  • Drittens verfolgte das Unternehmen eine weniger strenge Differenzierung des Pay-Mix nach Rollen und vereinheitlichte Unterschiede, um den Wechsel zwischen den verschiedenen Rollen zu erleichtern.

Wo Unternehmen in neue Märkte hinsichtlich Geographien, Segmenten oder Lösungen vordringen, ist die Marktnachfrage teilweise dynamisch und kann sich schnell ändern. In diesen Märkten ist es schwierig, die Nachfrage für ein ganzes Jahr zu prognostizieren. Bis sich die Planungsfähigkeit verbessert hat, wählen Unternehmen daher kürzere Planungshorizonte für die Festlegung von Zielen, etwa halbjährlich oder vierteljährlich. Gleichzeitig empfiehlt sich die Einführung von Kontrollmechanismen, um zu vermeiden, dass sich kurzzeitige Performancespitzen möglicherweise stärker auszahlen als eine konstante Leistung über denselben Zeitraum.

2. Individuelle Leistung im Kontext neuer Geschäftsmodelle messen

In unserer digitalisierten, datengesteuerten Welt besteht für Unternehmen der initiale Verkaufsabschluss immer öfter darin, Kunden für eine bestimmte Plattform, Lösung oder Dienstleistung zu gewinnen. Häufig gibt es im Vorfeld keine Abnahmezusage und daher zum Zeitpunkt des Abschlusses auch keinen definierten Auftragswert. Hieraus ergeben sich zwei Herausforderungen: die Ungewissheit über den Wert des Verkaufs zum Zeitpunkt des Abschlusses und die Ungewissheit darüber, inwieweit die Rolle des Verkäufers das Abnahmevolumen beeinflussen kann, das letztlich den Umsatz bestimmt.

Vor allem bei Hunter-Rollen, die auf Neugeschäft fokussiert sind, ringen Unternehmen mit der Frage, wie die Gewinnung von Neukunden zu bewerten ist, wenn das Umsatzvolumen dieser neuen Kundenbeziehung a) noch nicht bekannt ist, b) möglicherweise für viele Monate nicht bekannt ist, c) sich im Laufe der Zeit ändern kann und d) davon abhängen kann, wie gut andere Rollen – technisches Onboarding, Account-Management, Kundendienst usw. – mit dem Kunden zusammenarbeiten. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, können Unternehmen folgende Maßnahmen ergreifen:

  • Wenn der Kunde gewonnen ist – also bei Vertragsabschluss –, wird ein Bonus gezahlt, dessen Wert oft von weiteren Indikatoren bezüglich Qualität und erwarteten Umsatzes abhängt, zum Beispiel strategische Relevanz, Leistungsumfang, Art der Leistung etc.
  • Zusätzlich wird ein Umsatzziel für ein vorab definiertes Zeitfenster nach Vertragsabschluss festgelegt. Die Hunter-Rolle partizipiert dadurch auch am realisierten Umsatz. Allerdings erfordert dieser Ansatz die Möglichkeit, Umsätze für jeden Deal individuell nachzuverfolgen.

3. Vertriebskultur neu denken

Traditionelle Best Practices für die Gestaltung von Vertriebsvergütungsplänen besagen, dass Kennzahlen, wenn immer möglich, auf individueller Ebene definiert werden sollten. In bestimmten Situationen, Organisationen oder Geschäftsfeldern stößt dieser Ansatz allerdings an seine Grenzen.

Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Produktionskapazitäten begrenzt sind und es zur strategischen Entscheidung wird, welcher Kunde das Produkt zu welchem Preis erhält. Traditionelle, auf individuelle Leistung fokussierte Vertriebsvergütungspläne resultieren dann in einem ständigen Konkurrenzkampf zwischen Regionen und Vertriebsleuten. Stattdessen müssen Vergütungspläne so gestaltet sein, dass jeder ein Interesse daran hat, den Gesamtwert für das Unternehmen strategisch zu optimieren.

Um dies erfolgreich umzusetzen, reicht nicht nur der Blick auf die Vergütung. Vielmehr ist auch ein kultureller Wandel erforderlich: weg von der Selbstoptimierung, hin zu einer rollen- und regionenübergreifenden Zusammenarbeit. Die gemeinsame Verantwortung („wir gewinnen oder verlieren gemeinsam“) muss in den Fokus rücken, alle im Vertrieb müssen verstehen, wie sie gemeinsam zur Umsetzung der Strategie beitragen. Durch eine hohe Gewichtung von Teamzielen findet sich dieser Fokus auch in der Vergütung wieder.

4. Wenn einfach zu einfach ist

Ein weiteres Best-Practice-Mantra für das Design von Vertriebsvergütungsprogrammen lautet „keep it simple“. Generell ist dies ein sehr guter Rat. Zu viele Kennzahlen und Hürden führen dazu, dass der Fokus im Vertrieb verloren geht und die hohe Komplexität des Vergütungsplans das Engagement der Vertriebsmitarbeiter beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund steuern manche Unternehmen ihre Vertriebsvergütung nach einer einzigen Kennzahl, dem Umsatz. Dieser einseitige Fokus auf das Umsatzwachstum kann über Jahre hinweg gut funktionieren. Viele Unternehmen suchen allerdings nach Wegen, mehr strategischen Fokus in ihre Vertriebsvergütungspläne zu integrieren. Auch wenn dies im Einzelnen unterschiedlich aussehen kann, vereint alle das Ziel, den strategischen Wert des Geschäfts und nicht nur das reine Volumen in den Mittelpunkt zu rücken. Für manche Unternehmen bedeutet dies, den Schwerpunkt auf strategisch wichtige Kunden zu legen, anderen legen den Fokus auf den Verkauf strategischer Produkte, und bei wieder anderen geht es darum, höhere Margen zu erzielen.

5. Mit Digitalisierung und neuen Rollen im Vertrieb umgehen

Neben dem rasanten Wachstum des E-Commerce führt vor allem künstliche Intelligenz zu grundlegenden Veränderungen im Verkaufen. Durch technologiegestützten Kundenservice und weitgehende Self-Service-Möglichkeiten wird die Notwendigkeit für eine direkte Interaktion mit Verkäufern immer geringer. Dennoch können neue Rollen ohne direkte Verkaufsverantwortung den Kundenservice und die Kundenbindung signifikant beeinflussen. Sollten diese neuen Rollen ebenfalls für eine Vertriebsvergütung berechtigt sein? Grundsätzlich empfiehlt es sich, Vertriebsvergütungspläne weiterhin auf diejenigen Rollen zu beschränken, die direkt am Verkauf beteiligt sind. Jedoch können einige dieser neuen Rollen stärker am Erfolg der Vertriebsmannschaft partizipieren, wenn in der Auszahlung ihrer variablen Vergütungselemente die Ergebnisse des Vertriebs mitberücksichtigt werden.

Erfolgskritische Sales-Skills neu definieren

Wenn sich Geschäftsmodelle, Rollen und Vertriebskultur verändern, ist es zu kurz gesprungen, ausschließlich die Vergütungssystematik im Vertrieb zu verändern. Um in einem veränderten Umfeld erfolgreich zu sein, sind sehr wahrscheinlich neue oder andere Fähigkeiten und Skills erforderlich. Dann sind die erfolgreichsten Verkäufer von gestern nicht unbedingt die erfolgreichsten Verkäufer von morgen. Es bedarf eines neuen Vertriebsrollenprofils, das auf die neuen Anforderungen zugeschnitten ist. Psychometrische und interviewbasierte Tools können einen modernisierten Rekrutierungsprozess erfolgreich unterstützen.

Der Weg zu einem modernen Vertriebsvergütungsdesign

So wie sich unsere Welt verändert und Unternehmen sich strategisch neu ausrichten, ist es sinnvoll, zu überdenken, wie im Vertrieb gesteuert und vergütet wird. Ob in einem Unternehmen Handlungsbedarf besteht, um die Vertriebsvergütung moderner und effektiver zu gestalten, lässt sich anhand von drei einfachen Fragen identifizieren. Wenn

a) die Vertriebsvergütungsprogramme mehrere Jahre nicht überprüft wurden und möglicherweise nicht mehr die aktuellen Geschäftsrealitäten und -ziele reflektieren,

b) eine eingeschränkte Planungssicherheit und Planungsqualität die Honorierung von Leistung erschwert oder

c) die Digitalisierung im Vertrieb neue Rollen hervorgebracht hat und ein verändertes Skillset benötigt wird, um erfolgreich zu sein, dann lohnt es sich, genauer hinzusehen.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte und angepasste Fassung des Beitrags „6 Reasons to Rethink Sales Compensation Programs“ von Darren Tse und Jon Randall, WorldatWork.org, 2019. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von WorldatWork.

Sven Huber
Practice Lead Sales Effectiveness and Rewards Practice Westeuropa
Willis Towers Watson
sven.huber(*)willistowerswatson(.)com
www.willistowerswatson.com

Lisa Nassif
Senior Consultant Sales Effectiveness and Rewards
Willis Towers Watson
lisa.nassif(*)willistowerswatson(.)com
www.willistowerswatson.com