Den immer schärfer werdenden Wettbewerb um Fach- und Nachwuchskräfte spürt auch die Comp-&-Ben-Disziplin, die spezifisches Wissen und Know-how verlangt. Doch passende Ausbildungen im HR- oder Finance-Studium fehlen. Reward-Themen werden eher als Randthema in einzelnen Vorlesungen behandelt. Wie gelingt der Zugang zu einer Karriere im Vergütungsmanagement? Spezialisierte Unternehmensberatungen spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Jobs im Recruiting und Personalmarketing gelten bei Absolventen des Bachelorstudiums Personalwesen als außergewöhnlich interessant und attraktiv. Die Mehrzahl von ihnen drängt nach ihrem Abschluss in eine dieser beiden Materien. Dagegen zählen HR-IT, HR-Prozessmanagement, Comp & Ben sowie Personalcontrolling zu den ungeliebten Arbeitsgebieten. So lautet das Fazit der Befragung „Welche Berufsziele verfolgen Personal-Studierende?“ an der Hochschule HNU Neu-Ulm und der hwt Saarbrücken (nachzulesen in Personalwirtschaft 7/8, 2022).
Insgesamt erscheinen HR-Basistätigkeiten, die Hard Facts basierende Kompetenzen und Fachwissen voraussetzen, angehenden Personalverantwortlichen wenig attraktiv. Für den nach Talenten suchenden Vergütungsbereich sind diese Aussichten beunruhigend; zudem hat die Disziplin mit einer weiteren Schwierigkeit zu kämpfen: Es fehlt an der Vermittlung von Comp-&-Ben-Inhalten und -Methoden im Studium. Vertiefungsfächer und Schwerpunktausbildungen sucht man an Hochschulen, Universitäten oder Business Schools vergeblich.
Vergütungsmanagement: eine wissenschaftliche Leerstelle
„Es gibt wirtschaftliche Studiengänge, zum Beispiel solche mit Fokus auf Finance-, Corporate Governance-, HR-, Legal- oder Strategie-Schwerpunkten, die einige Aspekte von Comp & Ben beleuchten. Doch mir ist kein Studium bekannt, das konkret auf eine Tätigkeit im Bereich des Vergütungsmanagements vorbereitet“, stellt David Voggeser von hkp///group fest, der ergänzt: Auch nur wenige wissenschaftliche Institutionen würden einen Schwerpunkt in diese Richtung planen.
An einigen Universitäten haben Personalökonomen das Thema Vergütung und Performance Management in den Lehrplan integriert, ergänzt Björn Hinderlich von Mercer. Dieser umfasse häufig eine Kombination aus Theorie, empirischen Studien und Vorträgen durch Praktiker. „Das ist durchaus lobenswert, wenn auch noch nicht perfekt.“ In seinem eigenen Studium bekam er im Vertiefungsfach Personalmanagement noch keine Inhalte zu Vergütung und Performance Management vermittelt.
„Die akademische Ausbildung in Deutschland hinkt beim Reward Management stark hinterher“, kritisiert Nils Prüfer von Kienbaum Consultants. In der Schweiz, den Niederlanden und Belgien existierten an Hochschulen und Universitäten seit Jahren Compensation-&-Benefits-Studiengänge, die einen guten Überblick bieten und sich insbesondere an eher generalistische Personalerinnen und Personaler richten. Auch eine Business School, die ZHAW School of Management and Law in Schweiz, habe die Spezialausrichtung Compensation & Benefits im Portfolio.
Der deutsche Rückstand wird und muss sich ändern, denn „der immer schärfer werdende Wettbewerb um Fach- und Nachwuchskräfte lässt die Bedeutung von Comp & Ben als wichtigem und attraktivem Betätigungsfeld weiter wachsen“. Dies prognostiziert Frank Spieker, Head of Compensation & Benefits National and Executives bei Lufthansa Group, der aus der Praxis sehr genau weiß, wovon er spricht: Der Bedarf an Personen mit spezifischem Know-how und Erfahrung ist vorhanden, „nicht nur in der Erstausbildung für Studierende, sondern auch als gezielte Qualifikation für Berufserfahrene“.
Erklären lässt sich der Rückstand möglicherweise damit, dass „Deutschland ein sehr tarifgebundenes Land ist und marktorientierte Vergütung eher für Managerpositionen und Executives vorgesehen ist“, erklärt Ian Karcher, Vice President Compensation, Benefits & Mobility von Exyte. Im übrigen beurteilt er die Notwendigkeit einer starken Comp-&-Ben-Profession wie Frank Spieker. Gerade bei der Gewinnung von Top-Talenten müsse im internationalen Vergleich das Reward-Management schon im Studium mehr Aufmerksamkeit erfahren.
Auf diversen Berufslaufbahnen zum Vergütungsspezialisten
Die Karrierepfade ins Reward Management sind sehr unterschiedlich. Frank Spieker von Lufthansa Group studierte ursprünglich Psychologie mit Schwerpunkt Personal. Später absolvierte er berufsbegleitend ein Studium zum Diplom-Kaufmann. Danach arbeitete er in verschiedenen Bereichen unter anderem in der Personal- und Managemententwicklung und der operativen Personalbetreuung. Sein Weg hat ihn aber wiederholt in den Bereich personalpolitischer Grundsatzfragen geführt, in dem Vergütungsthemen ein wichtiger Bestandteil sind.Ich bin ihnen treu geblieben, da ich sie immer wieder als wichtig, vielfältig und herausfordernd erlebe.“
Je länger er sich mit Vergütungsthemen beschäftige, umso überzeugter sei er, dass Perspektiven und die Chance zur persönlichen Entwicklung eine zentrale Rolle bei der Motivation von Mitarbeitenden und der Attraktivität von Unternehmen spielen. „Ein ganzheitlicher Blick ist gefragt, gerade wenn man sich mit Comp & Ben beschäftigt“, betont Frank Spieker, der auch aus diesem Grund sein Profil mit einer Trainer- und zwei Coaching-Ausbildungen ergänzte. „Es gibt also viele Wege ins Comp-&-Ben-Management und ich will und kann auch keinen spezifischen empfehlen.“ Die Vielfältigkeit des Bereichs mache ihn interessant und offen für viele Qualifikationen und Erfahrungen.
Für David Voggeser von hkp///group war es das finanzorientierte Studium International Management, das sein Interesse für das Zusammenspiel von Finance, Strategie und HR weckte und bewirkte, dass er die Laufbahn in Richtung Comp & Ben einschlug. Als Absolvent war ihm klar, dass er zunächst unternehmensintern für aktuelle und generelle Spezialthemen weiter ausgebildet werden muss. Daher führte ihn sein Berufswunsch zum Vergütungsberater Michael H. Kramarsch, der mit seinem Grundlagenwerk zur Top-Management-Vergütung die umfassendste Expertise mitbrachte. „Generell scheint es kein schlechter Ansatz, als junger Mensch von erfahrenen Experten zu lernen und sich dabei kritisch mit ihnen und deren Aussagen auseinanderzusetzen.“
Ian Karcher von Exyte gelangte über seine IT-Fähigkeiten in den Bereich Comp & Ben. Nach der Entwicklung für eine Executive Survey in den USA und Data-Analytics-Anwendungen beschäftigte er sich immer mehr mit Reward-Themen. „Gerade Data Analytics werden Compensation und Benefits weitere Relevanz verleihen. Daher bringen auch Business Analysts als Ensteiger ins Reward Management gute Voraussetzung mit.“
Deutlich wird: Das Tätigkeitsfeld Vergütungsmanagement kann ganz unterschiedlich erschlossen werden. „Compensation hat eine Verhaltensfacette, die sowohl für Psychologen als auch für Volkswirte spannend ist“, sagt Nils Prüfer von Kienbaum. Natürlich sei Comp & Ben auch ein Bereich von HR, sodass sich ebenfalls ein HR-Werdegang anbiete. Gleichzeitig beinhalte das Reward Management viele quantitative Themen (wie zum Beispiel People Analytics), sodass auch methodisch ausgerichtete Ausbildungsprofile sehr gute Chancen haben.
Learning by Unternehmensberatung?
Beim Blick auf die CVs von „Head of Rewards, Salary Benchmarking & Benefit-Management“ drängt sich der Verdacht auf: Der Königsweg für eine erfolgreiche Laufbahn geht über eine spezialisierte Comp-&-Ben-Unternehmensberatung. Trügt der Eindruck?
„Ohne Frage ist das eine hervorragende Möglichkeit, sich eine breite und tiefe Kompetenz im Bereich Vergütung von Benchmark-Analysen über Gradingsysteme bis zu besonderen Fragestellungen von Long-Term-Incentive-Programmen zu erarbeiten“, sagt Frank Spieker. Aber als Muss würde er den Weg nicht bezeichnen.
Vielmehr sei für ein erfolgreiches Umsetzen von Reward-Lösungen in Unternehmen nicht nur methodisches Wissen notwendig,; mindestens die Hälfte bestehe aus Kommunikation, Diskussion und Politik mit zahlreichen Schnittstellen vom Vorstand über Mitbestimmungsgremien und Fachbereichen bis hin zur Administration. „Wichtig ist vor allem auch die Fähigkeit, die Dinge zum Laufen zu bringen: Ein neues Bonussystem nicht nur zu erarbeiten und durch die Mühle der Abstimmung zu schieben, sondern es auch mit der Payroll in die Systeme zu bringen und die administrativen Prozesse auszuarbeiten.“ Wer dafür Motivation und Kompetenz mitbringe, verfüge über eine sehr gute Basis. Dies sei am Ende entscheidender, als sich „in den Untiefen der verschiedenen Typen von Aktienprogrammen“ auszukennen. Die Kompetenzen in den spezifischen Themen und Methoden könnten und müssten sich Verantwortliche erarbeiten – bis zu einem gewissen Grad und nicht in allen Themenbereichen gleichermaßen. Denn wenn es sehr in die Tiefe gehe, wählen Unternehmen oft den Weg, sich diese Kompetenzen für ein Projekt einzukaufen.
Für Ian Karcher von Exyte ist ein Berufseinstieg in der Industrie am sinnvollsten. Dort lernten Absolventen das operative Geschäft kennen. „Der Mehrwert einer Ausbildung in einer Comp-&-Ben-Beratung hilft zu verstehen, wie es andere Firmen machen. Dort erlangen Nachwuchskräfte Kenntnisse über verschiedene Ansätze. Doch sie können sie erst richtig einordnen, nachdem sie das Grundhandwerk in einem Konzern erworben haben.“
Fachwissen aufbauen
Die Ausbildung in einer auf Comp & Ben spezialisierten Unternehmensberatung ist kein Muss, aber ein sehr großer Vorteil“, merkt dagegen Björn Hinderlich von Mercer an. Dort habe man die Möglichkeit, in verschiedenen Branchen und für eine Vielzahl von Kunden das gesamte Spektrum an Comp-&-Ben-Fragestellungen kennenzulernen. „Diese Möglichkeit bieten Industrieunternehmen in der Regel nicht, und zudem ist man hier häufig in Unternehmenspolitik gefangen, was die Bearbeitung und Durchsetzung von Konzepten sehr erschwert.“ Vor allem aber empfiehlt er interessierten Studierenden Praktika im Vergütungsbereich, um herauszufinden, ob dieses Tätigkeitsfeld zu ihnen passt.
Aus Karriereperspektive ist die Unternehmensberatung ein „einzigartiges Sprungbrett für die berufliche Entwicklung“, aber sie ist nur ein Weg neben vielen, bekräftigt David Voggeser von hkp///group. „Wahrscheinlich gibt es in keinem anderen Umfeld eine vergleichbare Möglichkeit, in kürzester Zeit so viel Fachwissen aufzubauen, Erfahrungen in unterschiedlichsten Industrien und Themen zu sammeln und auch Netzwerke zu knüpfen.“ Die Lernkurve sei gerade in den ersten Jahren nach dem Berufseinstieg selten so steil wie in einer Unternehmensberatung.
Fazit: Geregelte Zugangswege in das Comp-&-Ben-Management gibt es nicht. HR-Studiengänge sollten ihre Curricula überarbeiten, wenn sie den Bedarfen der Wirtschaft nach Vergütungsspezialisten entgegenkommen wollen. Der Vorteil einer fehlenden Standardisierung einer Ausbildung: Der Bereich ist offen für viele unterschiedliche Profile. Mitbringen müssen sie analytisches Denken, Zahlenaffinität, Finance-Know-how, HR-Kenntnisse und die Fähigkeit, divergierende Interessen zu moderieren.
Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.