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Strategisches Reward Management – unverzichtbar für HR

Welche Kompetenzen brauchen Comp-&-Ben-Manager heute mehr denn je? Wie gut ist die Anbindung an
HR und andere Schnittstellen? Ein Blick in die Vergütungszentralen mittelständischer Unternehmen. „Hinsichtlich knapperer Fachkräfteressourcen und eines anderen Wertesystems der Millennials können Unternehmen ohne ein strategisches Reward Management am Arbeitsmarkt nicht mehr mithalten.“ Davon ist Melanie Wagner, Senior Director Reward & Analytics bei der Sunrise GmbH, überzeugt. Gänzlich
anders sah die Situation Anfang des Jahrtausends aus: Als sie vor knapp 20 Jahren – nach einiger Berufserfahrung in Restrukturierung und Personalentwicklung – bei der Telekom Austria AG in ihre erste Comp-&-Ben-Funktion kam, setzte sich in globalen Unternehmen gerade ein neues Verständnis von HR durch. Die eingeübte, rein administrative Rolle des Personalmanagements wurde – angestoßen durch das von Dave Ulrich 1997 entwickelte HR-Business-Partner-Modell – durch ein strategisches und mitarbeiterorientiertes HR-Denken und -Handeln abgelöst.

Eine Folge der Reorganisation des Personalwesens:„HR fand am Vorstandstisch Gehör und musste sichtbar machen und nachweisen, dass es beim Thema Personalkosten einen Mehrwert bieten kann“, erläutert Melanie Wagner. Dies erforderte mehr als bloße Informationen über Basisgehälter und Boni, sodass sich die Disziplin Comp & Ben entwickelte. Mit der Finanzkrise 2008/9 erhielt sie einen weiteren Schub: Damals mussten Personalkosten gesenkt sowie Vergütungsmodelle überarbeitet werden, ohne dabei aus dem Blick zu verlieren, welche Talente das Unternehmen binden und für morgen gewinnen will.

Schnittstellen: von Finance bis ESG

Comp & Ben beziehungsweise Reward Management entwickelte sich allmählich zur Schnittstellenfunktion, die nicht losgelöst von Businesszielen, Workforce Planning, Personalentwicklung, Recruiting und strategischem Personalmanagement agieren kann. Melanie Wagner, Sunrise: „Der Reward Specialist von heute muss alle strategischen Komponenten der Kompensation bespielen können – vom Basissalär, der variablen Entlohnung, zugeschnittener Vertriebs-Incentivierung und Equity Plänen bis hin zu Benefits, Pensionskasse und Wellbeing.“ Dabei verfolgen die Verantwortlichen im Wesentlichen zwei Ziele: einerseits Strategien, Prozesse und Reward-Instrumente wertstiftend zu implementieren, damit die Personalkosten im Vergleich zum Business Value stimmen; andererseits müssen Unternehmen so attraktive Angebote bieten, dass die passenden Fach- und Führungskräfte an Bord kommen und bleiben.

Monetäre und nicht monetäre Benefits haben in den letzten Jahren aus Mitarbeitersicht an Relevanz gewonnen. Aber dass heute auch ESG-Kriterien bei der Wahl des Arbeitgebers eine Rolle spielen, ist noch eine relativ neue Entwicklung, die das Reward Management bei Sunrise bereits berücksichtigt. Melanie Wagner: „Die Bewerbenden fragen im Vorstellungsgespräch, wie wir uns im Bereich Environmental, Social und Governance engagieren, und erwarten auch, dass sie freie Tage für ihre E-&-S-Aktivitäten erhalten. Unser HR-Management gestaltet daher ein ganzheitliches Paket.“ Dies beinhalte eine marktkonforme Grund- und variable Vergütung sowie Benefits- &-Wellbeing-Angebote, die auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten sind. Gleichzeitig umfasst es auch Entwicklungsmöglichkeiten, flexible Arbeitsbedingungen, ein New-Way-of Working-Umfeld sowie die Positionierung und Verpflichtung des Unternehmens hinsichtlich der ESG-Kriterien.

Tools und Instrumente

Der Bereich Compensation war von Beginn an eine faktenbasierte und sehr analytische Aufgabe: Die Auswertung der internen sowie externen Daten und der qualitativen Informationen bildet von jeher die Grundlage, um mit dem Business die Strategie des Reward Managements festzuzurren. Doch der technologische Fortschritt und die Digitalisierung haben gänzlich neue Möglichkeiten eröffnet, sodass in den letzten fünf bis zehn Jahren der datenbasierte analytische Part der Vergütungsspezialisten noch größer geworden ist.

Martin Hofferberth, Senior Leiter Comp & Ben, Analytics und Global Mobility bei Drees & Sommer, fasst es so zusammen: „Wir arbeiten viel stärker mit Analytic Tools, zum Beispiel mit Business Intelligence. Unsere Software, ein KI-gestütztes System, erstellt Vorhersagemodelle. Diese ermöglichen es uns, Handlungsempfehlungen für das Business herauszuarbeiten und negativen Entwicklungen frühzeitig entgegenzusteuern. Der Vorteil: Wir können viel genauer Szenarien entwerfen, Modellrechnungen durchführen, Prognosen bewerten, sodass wir sehen können, ob wir beispielsweise im Bereich Mitarbeiterbindung und Recruiting für die Zukunft des Business gut aufgestellt sind.“

Herausfordernd bleibe die Balance zwischen Marktübersicht, Szenarien, Modellrechnungen und Kommunikation in Richtung Führungskräfte. „Sie müssen unsere Vergütungspolitik leben und richtig anwenden. Hierzu zählen zum Beispiel der effiziente Einsatz von Vergütungsbändern, um die Marktorientierung umzusetzen, und die systemische Verknüpfung mit modernen Systemen der Leistungsbeurteilung.“

Da immer mehr Arbeitgebern ins Bewusstsein rückt, dass in den HR-Informationssystemen viele Mitarbeiterdaten vorhanden sind, die sie nutzen können, wächst die Nachfrage nach „intelligenten“ Produkten. Das beobachtet Melanie Wagner von Sunrise: „Die Wissenspotenziale, die über Businesswarehouse, Business Intelligence, People Analytics und AI (Artificial Intelligence) erschlossen werden können, sind immens.“ Der Markt biete entsprechende Software, die durchaus kostenintensiv sei. Bei Sunrise evaluiert man derzeit, welche Tools zusätzlich eingesetzt werden sollen. Bei AI-gestützten Lösungen sieht die Reward Managerin kleinere Anbieter, die spezifische Apps mit Schnittstellen für die wichtigen HR-Softwareplattformen entwickelt haben, im Kommen. „Es wird nie die eine HRIT- Plattform für alle Personalthemen geben, sondern eher ein HR-Core-Management-System und kleine zugeschnittene
Lösungen.“

Stellenwert des Reward Managements heute

Bei größeren erfolgreichen Unternehmen ist die Reward-Rolle etabliert und hat an Bedeutung gewonnen. Meistens geht diese Entwicklung damit einher, „dass auch analytische Themen vorangetrieben werden, wie beispielsweise People Analytics und das strategische Workforce Management“, sagt Melanie Wagner von Sunrise.
Doch auch mittelständische Unternehmen haben die Wichtigkeit der Comp-&-Ben-Funktion erkannt. Bei Drees & Sommer, einem international tätigen Beratungsunternehmen für den Bau- und Immobiliensektor mit 5000 Mitarbeitern, hat das Reward Management eine sehr hohe Relevanz. Einer der Gründe: Das Gros der Beschäftigten sind Ingenieure, Architekten und Statiker. Nicht besetzte Stellen für Ingenieure auf dem deutschen Arbeitsmarkt – teilweise im sechsstelligen Bereich – sind seit vielen Jahrzehnten ein chronisches Problem – auch als der Begriff Fachkräftemangel noch sehr exotisch klang. „Um das hochbegehrte Klientel zu gewinnen und zu binden, müssen wir als Arbeitgeber immer State of the Art und wettbewerbsfähig sein“, sagt Martin Hofferberth. Da auf dem Arbeitsmarkt Unternehmen Ingenieure und MINT-Kräfte nicht selten mit hohen Gehältern abwerben wollen, „steuern wir mit einer strukturierten Vergütungspolitik dagegen, wobei die variable Vergütung eine entscheidende Rolle spielt“.

Der Senior Leiter Comp & Ben, Analytics und Mobility mit mehr als 20 Jahren Erfahrung im Vergütungsbereich beobachtet, dass der Stellenwert von HR und Reward Management permanent an Gewicht gewinnt. „Heute wird HR bei Topabstimmungenmit den Partnern einbezogen, das gab es vor einigen Jahren noch nicht.“ Auch die Comp-&-Ben-Funktion, bei Drees & Sommer bei HR angegliedert, arbeite eng mit dem Vorstand zusammen. Insgesamt beobachtet Martin Hofferberth bei Kolleginnen und Kollegen in den Fachnetzwerken, dass die „Line of Sights“ der Funktion, die früher als reine „Zahlenmaschine“ wahrgenommen wurde, immer stärker entwickelt werde: „Unternehmens-, HR- und die Comp-&-Ben-Strategie werden miteinander diskutiert und abgestimmt. Wir verfolgen die gleichen Ziele, um eine Vergütungspolitik aus einem Guss auf die Schiene zu bringen.“

Anforderungen von heute und morgen

Das Aufgabenportfolio des Reward Managements umfasst nicht nur, die Basis für Vergütungsentscheidungen zu schaffen und Risiken zu bewerten. „Der Vorstand erwartet über die reine Zahlenwelt hinaus Handlungsempfehlungen. Also nicht mehr nur Zahlen, Daten und Fakten, sondern das Aufzeigen des nächsten Schritts und das Antizipieren von Entwicklungen, die Einfluss auf die Vergütungspolitik nehmen könnten“, betont Martin Hofferberth von Drees & Sommer. Die steigende Inflation im Januar dieses Jahres war nicht vorauszusehen, anders dagegen seit einiger Zeit das Thema Wertewandel bei der Generation Z. „Da die rein monetäre Vergütung und die klassischen Karrierewege in dieser Zielgruppe an Stellenwert verlieren, planen wir zusammen mit HR andere Angebote, die Motivationscharakter haben.“

Ob Entwicklungen wie die digitale Transformation, Change-Prozesse, Merger-&-Aquisition-Aktivitäten oder die Reaktion auf die diversen Krisen in den letzten drei Jahren: Das Comp-&-Ben-Management mit seinem Team muss noch flexibler und agiler handeln, sowie ein hohes Tempo bei der Lösungsfindung an den Tag legen. Gleichzeitig ist die Disziplin aufgerufen, so Martin Hofferberth, Reward-Prozesse noch stärker zu visualisieren, um mehr Transparenz zu schaffen und so komplexe Sachverhalte immer besser kommunizieren zu können.

Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.