Attraktive Karrieremodelle sind mehr als nur ein notwendiger Rahmen für Grading, Gehalts-Benchmarking und Erhöhungsrunden – sie sind ein zentraler Baustein der ganzheitlichen Vergütungsstrategie von Unternehmen.
Am Markt fordern Mitarbeitende mit gesuchten Skills überbordende Gehälter und bekommen sie schlussendlich auch gezahlt. Der Druck, der durch den Fachkräftemangel auf die Auslastung der Belegschaft entsteht, lässt viele Unternehmen und Entscheider nachgeben. So werden oftmals junge Experten ohne Berufserfahrung eingestellt, die aufgrund ihrer Forderungen und der starren Gehaltssysteme auf Managementebenen eingeordnet werden müssen, da Expertenlaufbahnen gänzlich fehlen. Im ungünstigsten Fall bekommen diese jungen Kollegen auch noch Führungsverantwortung, weil es die Regularien auf dem Level vorsehen. Damit ist der Skill Gap kurzfristig gelöst – aber gleichzeitig ist ein großer Teil der internen Mitarbeitenden frustriert und die Aussicht auf Erfolg der „Newbies“ ist fraglich.
Laut Mercers Global Talent Trends Studie (GTT, 2022) prognostizieren fast 80 Prozent der CEOs, dass künftiges Wachstum in ihrer Organisation durch Skill Gaps massiv gebremst wird. Die befragten Manager gehen davon aus, dass nur 45 Prozent ihrer jetzigen Beschäftigten den Anforderungen der neuen Arbeitswelt entsprechen.
Dem steht entgegen, dass 94 Prozent der befragten Mitarbeitenden länger für ein Unternehmen arbeiten wollen, wenn sie eine transparente, wertschätzende Entwicklung ihrer Skills und Kompetenzen erfahren. Was sollten Unternehmensleitung und HR-Verantwortliche tun, um die bestehende Workforce effektiver zu nutzen und die Produktivität zu steigern, ohne die Gehaltsschraube permanent nach oben zu drehen?
Das Framework ist die Basis für Grading, Gehalts-Benchmarks und Vergütungsstrategien, die sowohl die rein monetäre als auch die ganzheitliche Betrachtung beinhaltet. Klassischerweise finden wir in vielen Unternehmen die Philosophie, dass Mitarbeiter 1:1 einem Job zugeordnet werden. Dies ist die vorherrschende Logik der großen IT-Systeme und HR-Suiten, die die Personal- und Kostenplanungsperspektive sowie die Logik in der Stellenbesetzung und der Nachfolgeplanung steuern. Der Blick auf Skills und Tätigkeiten bedeutet zumindest in Deutschland einen echten Paradigmenwechsel. Und dringend notwendig ist er zumindest dort, wo heute schon vermehrt agiles Arbeiten stattfindet. Je agiler, desto mehr Projektarbeit und weniger Arbeitszeitmodelle im Ganztagsmodus. Stattdessen liegt der Fokus mehr auf notwendigen Skills für bestimmte Tätigkeiten in wechselnden Aufgaben und Projekten und nicht auf Jobs und Mitarbeitenden.
Die Mehrheit der deutschen Unternehmen sieht sich in Zukunft mit hybriden Modellen konfrontiert. Das heißt, Teile der Organisation sind noch traditionell als Linienorganisation aufgebaut, währenddessen andere Bereiche wie zum Beispiel IT, HR, Retail, Sales oder auch Recruiting und Development zu agilem Arbeiten übergehen. Hier gilt es Lösungen zu finden, die für beide Bereiche funktionieren: Sie verbinden die traditionelle und künftige Arbeitswelt sinnvoll, denn auch hier stoßen starre Karrieremodelle, Jobarchitekturen und unflexible Gehaltsmodelle an ihre Grenzen und verhindern ein Wachstum der Organisation.
Ganzheitliche Career Frameworks als Chance
Die Zukunft liegt darin, Vergütungsmodelle und Jobarchitekturen sowie Karrieremodelle neu zu denken – hin zu ganzheitlichen Career Frameworks. Ein solches Career Framework bietet einen Überblick über verfügbare Jobs und deren Vergütung, erforderliche Skills und Fähigkeiten und mögliche Karrierewege für Manager und Experten innerhalb eines Unternehmens. Es zahlt auf das Bedürfnis nach mehr Transparenz ein und dient als Grundlage und Rückgrat für alle HR-Prozesse, indem es eine klare Datenbasis sowie einen Planungs- und Entwicklungsrahmen bietet.
- Im Kern beinhaltet das Career Framework stabile Rollenbeschreibungen, die einerseits einem Hierarchie- und Erfahrungslevel zugeordnet sind und andererseits einer Jobfamilie als fachlicher Ausrichtung.
- Das Framework ist die Basis für Grading, Gehalts-Benchmarks und Erhöhungsrunden. Im besten Fall beinhaltet die Vergütungsstrategie nicht nur die rein monetäre Vergütung, sondern eine ganzheitliche Benefits-Betrachtung. Denn insbesondere in den Expertenrollen sehen wir, dass Vergütung ein wichtiger Anreiz ist, insgesamt aber längst nicht mehr der alleinige.
- Laut GTT-Studien scheint für Beschäftigte die eigene Entwicklung, der Aufbau von Fähigkeiten und Skills die neue Währung zu werden, weil die Mehrheit der Befragten denjenigen Arbeitgebern treu bleiben will, die in Entwicklung und Skills-Aufbau investieren. Im Idealfall beantwortet das Career Framework alle relevanten Fragen der Mitarbeitenden: Wo befinde ich mich heute? Wie kann ich mich weiterentwickeln, und wie komme ich in Führungsrollen, eine Expertenlaufbahn oder in Produktverantwortung? Was bedeutet der Schritt gehaltlich, welche Fähigkeiten muss ich aufbauen, und welche Benefits stehen mir zu?
- Idealerweise ist das Career Framework auch die Planungsgrundlage für Geschäftsführung und Entscheidungsteams: Wie sehen unsere künftigen Rollen aus? Wo sind die Hebel für unsere Strategie und deren Umsetzung? Wo haben wir die notwendigen Skills und Kompetenzen, wo werden Gaps auftreten? Kann sich unsere Workforce dorthin entwickeln, oder müssen wir internes/externes Sourcing betreiben?
Das Career Framework, als Verbindungsstück zwischen Strategie, Ausrichtung der Workforce, Organisations- und insbesondere der Personalentwicklung, ist der Garant für die Strategieumsetzung. Die beinhaltet die Kosten- und Vergütungsperspektiven genauso wie Strategie, Purpose und neue Tätigkeiten.
Herausforderungen bei der Einführung
Unsere Studien zeigen, dass nur eines von zwei Unternehmen über ein Career Framework verfügt. Die Gründe des Fehlens sind vielfältig. So fehlt es an struktureller Unterstützung. In manchen Unternehmen agieren die Geschäftsbereiche unterschiedlich. Statt die Mikro- und Makroebene des Career Framewoks bewusst zu gestalten, werden reaktiv neue Joblevel oder Sprungbrettfunktionen hinzugefügt. Es liegt in der Verantwortung des Unternehmens, mit den Entscheiderebenen Karriereerfahrungen und -pfade zu gestalten, die sinnvolle Entwicklungen ermöglichen.
Es werden oftmals junge Experten ohne Berufserfahrung eingestellt, die aufgrund ihrer Forderungen und der starren Gehaltssysteme auf Managementebenen eingeordnet werden müssen. One-size-fits-all-Ansätze funktionieren nicht mehr: Unternehmen müssen die Erwartungen ihrer Mitarbeitenden kennen und mit ihnen zusammenarbeiten. Im Zeitalter des Individuums erwarten Talente nicht nur, dass sie selbst bestimmen können, wo, wann und wie sie arbeiten, sondern sie wollen auch umfassend über die Möglichkeiten ihrer Karriereentwicklung und des beruflichen Aufstiegs informiert sein.
Oft ist die Kultur der Show-Stopper. Ein echter Erfolgsfaktor ist der offene, transparente Umgang mit dem Career Framework – das heißt weg von Silodenken, Neidfaktoren und Besitzansprüchen von Entscheidern und Mitarbeitenden hin zu Eigenverantwortung, Flexibilität und Vertrauen. Die Einführung eines solchen neuen Modells braucht viel Kulturarbeit mit allen Beteiligten im Unternehmen – sonst bleiben viele gute Ansätze ohne echten Impact.
Fazit
Das Race to Skills hat bereits begonnen. Das wissen Unternehmen und müssen auf der Attraktivitätsskala der Mitarbeitenden deutlich weiter nach oben steigen. Ein Career Framework dient dabei nicht nur als notwendiger Rahmen für Grading, Gehalts-Benchmarking und Vergütungshöhe, sondern ist einer der zentralen Bausteine einer der ganzheitlichen Vergütungsstrategie.
Nicole Peichl
Partnerin, Career Europe, SME Talent & People Strategy
Mercer
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