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Agile Funktionen aus Vergütungs- und HR-Sicht

HR- und Reward-Management stehen weiterhin vor der Aufgabe, die Wertigkeit von Funktionen sowie Berufsbildern vor dem Hintergrund agiler und flexibler Arbeits- und Organisationsstrukturen neu einzuordnen und Transparenz zu schaffen. John Pfeiffer und Verena Vandervelt, Senior Directors der hkp///group, erläutern innovative und praxiserprobte Ansätze im Einsatz von Funktionsbewertung auch unter dynamischen Rahmenbedingungen.

Comp & Ben: Studien zeigen, dass Unternehmen die Komplexität und den Aufwand von streng analytischen Funktionsbewertungssystemen verringern wollen – und einige verabschieden sich von diesem System. In diesem Zusammenhang ist immer häufiger zu hören, dass die Funktionsbewertung vor allem in agilen Organisationen generell überflüssig sei. Teilen Sie diese Ansicht?  
John Pfeiffer
: Nein, keinesfalls. Ein Blick in den deutschen Markt zeigt, dass aktuell gut 70 Prozent der Unternehmen agile Organisations- oder Arbeitsformen anwenden, und viele bewerten dabei auch explizit agile Funktionen. Sie haben Bewertungsansätze gefunden, die die Anforderungen an diese neuartigen Rollen sehr gut abbilden.
Verena Vandervelt: In der Beratungspraxis erleben wir: Grading ist alles andere als dem Untergang geweiht, sondern wird von Unternehmen sehr pragmatisch und flexibel an die neuen Anforderungen angepasst.

Wie sehen die Anpassungen aus?  
Verena Vandervelt
: In vielen Fällen lassen sich agile Funktionen mit Kriterien aus dem klassisch analytischen Grading, das im Unternehmen bereits angewendet wird, bewerten. Teilweise nehmen Verantwortliche auch Vereinfachungen und Modikationen des Standardsystems vor oder entwickeln eine Lösung speziell für agile Einheiten. Dies hängt vom Implementierungsgrad der agilen Strukturen in der Organisation ab.

Welche verschiedenen Implementierungsgrade von agilen Strukturen beobachten Sie aktuell?
John Pfeiffer
: Wir registrieren eine überraschend große Bandbreite verschiedener Implementierungsgrade. Sie reicht von einzelnen agilen Funktionen innerhalb eines Unternehmens über eine Koexistenz von diversen agil und klassisch organisierten Teams bis hin zu Geschäftseinheiten oder ganzen Unternehmen, die auf agile Organisationsformen umgestellt haben.

Wie wirkt sich der Grad der Agilität auf die verwendeten Bewertungsansätze aus?
Verena Vandervelt
: Unternehmen, in denen nur vereinzelt agile Funktionen auftreten, wenden häufig analytische Bewertungssysteme auch für diese Funktionen an. Teilweise sehen wir aber auch vereinfachte, eher summarische Ansätze. Beliebt ist das summarische Beschreiben von verschiedenen Anforderungslevels, die sowohl auf klassische als auch agile Funktionen anwendbar sind.
John Pfeiffer: Die Beschreibungen der Levels orientieren sich dabei zumeist an klassischen analytischen Kriterien, häufig fokussiert auf Einfluss und Komplexität der Funktion. Typischerweise werden ergänzend zu den Beschreibungen Referenzfunktionen aus verschiedenen Bereichen definiert, die die Zuordnung der verschiedenen Funktionen zu den Wertigkeitslevels erleichtern.

Wie sieht eine Funktionsbewertung typischerweise aus, wenn es viele agile Teams oder agile Organisationseinheiten gibt?
John Pfeiffer
: Hier existieren unterschiedliche Lösungen, die jeweils auf die unternehmensindividuelle Situation angepasst sind. Häufig arbeiten die Verantwortlichen  mit eigens für agile Teams entwickelten Ansätzen. Diese basieren jedoch stark auf dem klassischen analytischen Systemgedanken, der bislang verfolgt wurde und auch weiterhin wird. Ein Vorteil dieser Vorgehensweise: Die Bewertungen in klassischen und agilen Einheiten sind konsistent und gut miteinander vergleichbar, sodass die Bewertung von agilen Funktionen nicht automatisch höher ausfällt.
Verena Vandervelt: Zur Illustration dieses flexiblen Vorgehens ein Beispiel: In einem unserer Kundenprojekte wurden für agile Funktionen drei besonders relevante Bewertungskriterien des klassischen Funktionsbewertungssystems ausgewählt und entsprechend auf die agilen Funktionen angepasst beziehungsweise uminterpretiert. Auf diesem Weg konnte eine passende, aber auch unternehmensweit konsistente Bewertung von agilen Funktionen sichergestellt werden.

Sehen Sie auch Funktionsbewertungsansätze, die statt klassischer Kriterien persönliche Kompetenzen für die Bewertung heranziehen?
Verena Vandervelt
: Eine Funktionsbewertung auf Basis von persönlichen Kompetenzen wird immer wieder diskutiert, birgt aber in der Umsetzung Stolperfallen. So sollte sichergestellt sein, dass nur vom Arbeitgeber benötigte und in der jeweiligen Funktion abgeforderte Kompetenzen bewertet werden. Vereinzelt sind wirklich neuartige Ansätze zu beobachten, die Kompetenzen zur Beschreibung von Anforderungen an Funktionen nutzen. Hierbei werden in der Regel aber keine Personen bewertet, sondern es werden die Ansprüche an eine bestimmte Funktionen auf Basis von Kompetenzen beschrieben – anstelle klassischer Kriterien.
John Pfeiffer: Kompetenzbeschreibungen ermöglichen es, einem Funktionsbewertungssystem einen modernen Anstrich zu geben, während die Bewertungssystematik im Hintergrund typischerweise klassisch gehalten wird.

Wenn Unternehmen ein Bewertungssystem für agile Funktionen einführen, was sollten sie dabei vorrangig beachten?
John Pfeiffer
: Zunächst ist es sinnvoll, kein isoliertes Bewertungssystem für agile Einheiten zu schaffen, sondern immer die Anschlussfähigkeit an bestehende Lösungen sicherzustellen. Zudem empfehlen wir, bei der Entwicklung eines neuen, innovativen Bewertungssystems die Arbeitnehmerseite beziehungsweise die Mitbestimmungsgremien frühzeitig einzubeziehen. Mit diesem Vorgehen lassen sich Vorbehalte am Konzept rechtzeitig identifizieren und ausräumen, sodass die Implementierung nach einem gemeinsam getragenen Plan erfolgen kann.  
Verena Vandervelt: Aus unserer Erfahrung werden Funktionsbewertungssysteme, die in ihren Grundzügen auf den im Unternehmen bereits bekannten Ansätzen basieren, leichter von Mitbestimmung und Business akzeptiert und können daher recht effizient umgesetzt werden.

Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.