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Vergütungsanreize wirken

Dass (Vergütungs-)Anreize wirken, ist ein allgemein akzeptierter Grundsatz. Wer hier daran noch einen Zweifel hatte, sollte spätestens seit der Finanzkrise 2009, die maßgeblich durch ausufernde und fehlleitende Boni für Investmentbanker mit ausgelöst wurde, eines Besseren belehrt worden sein. So ist es nicht verwunderlich, dass selbst ein der Nutzung kapitalistischer Wirtschaftsmechanismen unverdächtiger Staatsführer wie Nikita Chruschtschow dies mit seiner Aussage „Call it what you will, incentives are what get people to work harder” zum Ausdruck gebracht hat.

Neben dieser allgemeingültigen Aussage haben sich in den letzten Jahren aber zum Teil kontroverse Diskussionen darüber entwickelt, wie Vergütungsanreize ausgestaltet werden sollen. Entfacht wurde die Debatte unter anderem durch Daniel Pinks 2009 erschienenen Bestseller „Drive“, in dem er schildert und behauptet, dass (individuelle) monetäre Anreize die Leistung von Mitarbeitenden mit komplexeren Tätigkeiten verringern. So überraschte es auch wenig, dass ein Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales einen Trend hin zu einer geringeren Gewichtung der persönlichen Leistungskomponenten innerhalb der variablen Vergütungssysteme feststellte (Arnhold et al.,). In der Praxis finden sich mittlerweile viele Unternehmen, die in ihrer variablen Vergütung sogar ganz ohne individuelle Leistungsanreize auskommen. Die Beispiele reichen dabei von Bosch, Daimler, Deloitte, Infineon und Nike bis Volkswagen. Entweder Top-Performer passen die eigene Leistung dem Durchschnittsniveau an, oder sie wechseln zu einem Arbeitgeber, der die persönliche Leistung honoriert.

Nun ist Daniel Pink als ehemaliger Redenschreiber von US-Vizepräsident Al Gore kein ausgewiesener Verhaltens-ökonom, und die Frage, wie Vergütungsanreize in Form von Bonuszahlungen wirken, wurde durch seine Ausführungen nicht abschließend beantwortet. Interessant ist jedoch, dass seine Worte primär in Europa, insbesondere in Deutschland, und nicht in seiner Heimat USA auf fruchtbaren Boden gefallen sind – bis auf Nike, das eine der wenigen Ausnahmen in Nordamerika darstellt. Der Treiber dort war zudem weniger der Glaube an die Theorien Daniel Pinks, sondern ein Diskriminierungsskandal im Jahr 2018 gegenüber Frauen und die Furcht des Unternehmens, nochmal wegen individueller Ungleichbehandlung an den Pranger gestellt zu werden.

Das Gleiche für alle?

Im Endeffekt hängt die Wirksamkeit eines Vergütungssystems von der Unternehmens- und Führungskultur ab. Es mag Betriebe geben, bei denen die Leistung des Einzelnen nicht ausschlaggebend ist und die Stärkung des Kollektivs im Vordergrund steht. Hier wirken wahrscheinlich Anreizsysteme ohne individuelle Differenzierung am besten. Was nahezu sozialistisch klingt, entspricht aber sicherlich nicht der Philosophie der meisten Arbeitgeber. Gerade die sehr erfolgreichen US-Hightechfirmen wie Google oder Microsoft analysieren sehr genau, wer und wie viele ihrer Mitarbeitenden herausragende Leistungen erbringen und welchen Einfluss diese auf die Performance des Unternehmens haben. Dabei hat sich sowohl in der Wirtschaft als auch in der begleitenden wissenschaftlichen Lektüre der Begriff vom „Power Law“ herausgebildet.

Das ursprünglich aus den Naturwissenschaften stammende Power-Law-Modell stellt den Zusammenhang zwischen der herausragenden Leistung Einzelner und ihrem Einfluss auf den gesamten Unternehmenserfolg her. Wahrscheinlich kennt jeder Beispiele von Mitarbeitenden aus dem eigenen Umfeld, die für den Erfolg des Unternehmens eine nahezu unverzichtbare Rolle spielen.

Dass die eigene herausragende Leistung auch mit einem verständlichen Anspruch einhergeht, nicht wie alle anderen behandelt zu werden, ist sicherlich nachvollziehbar. Das gilt auch für die eigene Vergütung. Wenn am Ende des Jahres der eigene Bonus genauso hoch ausfällt wie bei der Kollegin oder dem Kollegen ohne entsprechende Performance, führt dies zu berechtigtem Frust und in der Regel zu zwei Ausweichreaktionen: Entweder man passt die eigene Leistung dem Durchschnittsniveau an, oder man wechselt zu einem Arbeitgeber, der die persönliche Leistung honoriert.

Bei vielen Frontrunnern der ersten Pink-Euphorie ist mittlerweile Ernüchterung eingetreten aufgrund des Widerstands ihrer Topleistenden, dauerhaft „sozialistisch“ gleich wie alle Kollegen bezahlt zu werden. In diesen Unternehmen gibt es wieder ein Zurück zur individuellen Differenzierung im Bonus, um Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Dies bedeutet aber nicht ein Zurück zum traditionellen Performance Management mit schier endlosen und uneffektiven Runden zur Festsetzung individueller Ziele, um dann am Ende des Jahres in wiederum endlosen Kalibrierungsrunden zu dem Ergebnis zu kommen, dass die Führungskräfte die Mitarbeitenden nicht differenzieren können (oder möchten).

Neue flexible Ansätze des Performance Managements

Die Lösung besteht aus einer Kombination moderner Methoden des kontinuierlichen Mitarbeitenden- und Führungskräftedialogs und einer holistischen Messung der Zielerreichung am Ende des Jahres. Ein mittlerweile gängiges Konzept zum kontinuierlichen Mitarbeitendendialog stellen die sogenannten Objectives and Key Results (OKR) dar.

Beim OKR-Ansatz wird ein regelmäßiger Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeitendem institutionalisiert, der in der Regel alle paar Wochen stattfindet. Dabei sind vor allem folgende Aspekte  wichtig:

  • Die Grundphilosophie folgt einer neuen Haltung: Statt einer reinen Einordnung und Bewertung der Leistung des Einzelnen rückt ein coachendes Führungsverständnis ins Zentrum mit dem Ziel, eine bessere Performance des Beschäftigten zu fördern, indem seine Entwicklung im Vordergrund steht.
  • Die Unternehmensziele sind Ausgangspunkt der Zieldefinition. Der Mitarbeitende will verstehen, welche Rolle seine Ziele im Gesamtgefüge spielen. Individuelle und teilweise willkürliche Vereinbarungen über das, was erreicht werden soll, werden abgelöst von einer Zielmechanik, die die gesamte Organisation zusammenführt und eine Sogwirkung und Ambition über Teams und Organisationseinheiten hinweg erzeugt. 
  • Der standardisierte und auf einen Jahreszyklus ausgelegte Prozess mit einem einzigen Mitarbeitendengespräch wandelt sich zu einem permanenten Dialog, der sich in den Arbeitsalltag von Arbeitnehmern und Führungskräften ganz selbstverständlich integriert.
  • Der vorherrschende Fokus auf Vergütung und finanzielle Anreize ändert sich hin zur individuellen Entwicklung und zu spürbaren Maßnahmen im High-Performer-Management. Wenn der Dialog als kontinuierlicher Verbesserungsprozess gelebt und verstanden wird, ist er für alle Seiten sinnvoll.

Unternehmen stellen ihre Bonussysteme dahingehend um, dass individuelle Ziele (wieder) eingesetzt  werden. Allerdings nicht mehr basierend auf langwierigen Zielsetzungs- und Zielbestimmungsrunden zwischen Führungskräften sowie Zielvereinbarungs- und Bonusgesprächen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigtem am Anfang und Ende des Jahres. Am Ende des Geschäftsjahres schaut die Führungskraft vielmehr ganzheitlich auf das abgelaufene Geschäftsjahr und die einzelnen OKR-Gespräche zurück und überlegt, welche Mitarbeitenden einen herausragend guten oder schlechten Eindruck hinterlassen haben. Für diese – im Guten wie im Schlechten – herausragenden Personen können die Führungskräfte durch Multiplikationen die Boni im Rahmen von vordefinierten Spannweiten nach oben und unten korrigieren.

Bei diesem Prozess ist es wichtig, klare Grenzen oder zumindest eindeutige Empfehlungen für die Führungskräfte vorzugeben, welcher Anteil an Mitarbeitenden als Top- oder Low-Performer nominiert werden dürfen. Beide sollten jeweils nicht zehn Prozent der bonusberechtigten Belegschaft überschreiten. Dieser Ansatz bietet den Vorteil, dass die OKR-Gespräche nicht durch Diskussionen über monetäre Konsequenzen überstrahlt werden, da für die absolute Mehrheit der Beschäftigten keine Adjustierung des am Finanzerfolg des Unternehmens hängenden Bonus erfolgt und der Fokus ausschließlich auf seiner Weiterentwicklung liegt. Lediglich die absoluten Top- und Schlechtleistenden sind von den monetären Konsequenzen durch die Adjustierung des Bonus betroffen.

Ausblick

Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: In vielen Unternehmen ist es gescheitert, die Performance von Top-leistenden nicht besonders zu honorieren, wenn sie diese wichtige Mitarbeitendengruppe auf Dauer als Schlüsselkräfte behalten möchten. Neue und agile Ansätze im Performance Management kombinieren dabei einen kontinuierlichen Austausch zwischen Führungskraft und Beschäftigten mit einer ganzheitlichen vereinfachten Betrachtung der Mitarbeitendenleistung am Ende des Jahres, um den besonders guten oder schlechten Einsatz zu honorieren oder sanktionieren. Diese Entwicklung mit einem vereinfachten und flexiblen Zurück zur individuellen Differenzierung wird sich in den nächsten Jahren weiter verstärken.

Dr. Björn Hinderlich
Partner, Executive Rewards Solutions Leader Central & Eastern Europe
Career & Workforce Solutions
Mercer
bjoern.hinderlich(*)mercer(.)com
www.mercer.de

Nicole Peichl
Partnerin, Career Europe, SME Talent & People Strategy
Mercer
nicole.peichl(*)mercer(.)com
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