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Reward Management in Zeiten der Inflation

Laut Statistischem Bundesamt lag die Inflationsrate in Deutschland – gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) zum Vorjahresmonat – im März 2022 bei plus 7,3 Prozent. Im Februar 2022 hatte sie bei plus 5,1 Prozent gelegen. Damit erreichte die Inflation im März 2022 einen Höchststand seit der Deutschen Wiedervereinigung. Viele Unternehmen führen in dieser Zeit des Jahres die jährlichen Gehaltsanpassungsrunden durch, bei denen die Bezüge der Mitarbeitenden für das laufende Jahr angepasst werden. Die Budgetplanung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung, der Personalplanung sowie der aktuellen Wettbewerbssituation hat jedoch häufig schon im Herbst des Vorjahres begonnen. Die Rahmenbedingungen haben sich seither teilweise sehr stark verändert.

Die Inflation spielt bei der Festlegung der Budgets für die Gehaltsanpassung eine Rolle. Kaufkrafterhalt ist ein häufig genanntes und von Interessensgruppen gefordertes Kriterium. Die Wettbewerbsfähigkeit der Vergütung insgesamt, die Differenzierung nach Leistung oder das Aufholen struktureller Defizite in Gehaltsstrukturen sind ebenfalls vielfach angewendete Parameter.

In den letzten Jahren hat eine sehr stabile Inflationslage zu sehr regelmäßigen moderaten Anpassungen der Gehälter geführt (zwischen 2010 und 2020 durchschnittlich 2,8 Prozent). Faktisch sind dadurch die Realeinkommen gestiegen. Dies war auch der Fall in den Pandemiejahren.

Gehaltsbudgets für 2022

Eine aktuelle Umfrage von Korn Ferry hat nun den geplanten Umgang mit der deutlich gestiegenen Inflation untersucht. Die Befragung ist branchenübergreifend und umfasst sowohl mittelständische Unternehmen als auch große börsennotierte Konzerne.

Das Ergebnis: Etwa die Hälfte der Befragten plant weiterhin mit einheitlichen Erhöhungsbudgets, während die andere Hälfte zwischen verpflichtenden Tariferhöhungen und Performance-/Merit-Erhöhungen unterscheidet.
Obwohl immerhin knapp 30 Prozent der Teilnehmer zusätzliche Erhöhungen zum Ausgleich der steigenden Inflation vorsehen, haben bislang nur zehn Prozent diese zusätzliche Erhöhung umgesetzt. Dabei liegt diese zusätzlich budgetierte Erhöhung zwischen 0,5 Prozent und fünf Prozent und variiert stark zwischen den Unternehmen. Auch sind einmalige Ausgleichszahlungen eher unüblich.

Es scheint, dass die Arbeitgeber im deutschsprachigen Raum zunächst weitere Entwicklungen abwarten, bevor ein zusätzlicher Inflationsausgleich budgetiert und tatsächlich zur Anwendung gebracht wird. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass diese Erhöhungen dauerhaft sind und nicht wieder einfach zurückgedreht werden können. Der anhaltende Einfluss der Pandemiefolgen und der politischen Krisen erzeugt zusätzliche Unsicherheit auf die wirtschaftliche Entwicklung.

Beobachtungen in anderen Ländern

Die Türkei zählt zu den Ländern, die eine Hyperinflation bereits sehr gut kennen. So hat man bereits in den 1980er und 1990er Jahren eine Inflationsrate von über 100 Prozent gesehen. Diese sank bis 2004 und stabilisierte sich für die nächsten Jahre bei zehn bis zwanzig Prozent. Nun sehen wir erneut seit November 2021 eine sehr deutliche Steigerung auf zuletzt 61 Prozent im März 2022. Da wundert es nicht, dass Unternehmen in einem solchen Umfeld schnell und deutlich reagieren müssen.

In unserer letzten Umfrage haben über 99 Prozent aller Unternehmen in der Türkei angegeben, dass sie entweder bereits Gehaltserhöhungen realisiert haben oder sie planen, diese bis Mitte des Jahres umzusetzen. Erwartet wird ein Plus von 43 Prozent im Median, wobei nur geringfügig zwischen den unterschiedlichen  Arbeitnehmergruppen unterschieden wird. Außerdem werden zusätzliche Zulagen für Verkehrsmittel und Mahlzeiten angeboten, um die aktuelle Situation für die Menschen abzumildern.

Allerdings fällt auf, dass die prozentuale Gehaltserhöhung die aktuelle Inflationsrate nicht ausgleicht. Zwar plant ein gutes Drittel der Befragten eine weitere Gehaltserhöhungsrunde im Laufe des Jahres 2022, doch wie hoch diese ausfallen wird, ist noch unklar. Unabhängig von den Umfrageergebnissen beobachten wir zudem, dass immer mehr Unternehmen regelmäßig alle sechs Monate die Inflation ausgleichen oder sogar darüber hinausgehen. Dies kommt insbesondere Talenten zugute, die sehr stark umworben sind, wie etwa aktuell im IT-Umfeld.

Beispiele aus der Europäischen Union

In Ungarn bewegte sich die Inflation in den letzten Jahren auf einem sehr moderaten Niveau zwischen einem und drei Prozent. Dies hat sich aktuell geändert: Im März 2022 lag sie bei mehr als acht Prozent. Hier geben mehr als 90 Prozent der befragten Unternehmen an, eine erste Erhöhung im ersten Halbjahr 2022 vornehmen zu wollen. 16 Prozent budgetieren eine weitere Erhöhungsrunde für den weiteren Verlauf des Jahres.

Bereits im Juni 2021 planten die meisten Arbeitgeber eine Gehaltsanpassung von über fünf Prozent für 2022. Dies wurde im Laufe der Monate weiter korrigiert, sodass aktuell die Budgets für Gehaltserhöhungen zwischen acht und zwölf Prozent liegen. Dabei sollen insbesondere Arbeiter sowie Sachbearbeiter profitieren. Die Auswertung zeigt aber auch, dass in etwa ein Drittel der Unternehmen keine zusätzlichen Erhöhungen zu den bereits im letzten Jahr geplanten vorsieht, sondern zunächst beobachtet wird, wie sich die wirtschaftliche Situation in Ungarn weiterentwickelt.

In Tschechien liegt die Inflation aktuell bei sechs Prozent, und verglichen mit dem April des Vorjahres sogar bei 12,7 Prozent. Unsere Umfrage zeigt, dass mehr als ein Fünftel der Unternehmen trotz der hohen Inflation entweder eine Nullrunde beabsichtigt oder sich noch nicht entschieden hat. Die anderen 78 Prozent gehen von einem Budget zwischen vier und fünf Prozent aus, wobei der größte Teil diese Erhöhungen als Performance-/Merit-Erhöhungen ausgestaltet werden soll. Die Gehaltserhöhungsbudgets der letzten Jahre lagen durchweg bei drei bis vier Prozent, wobei die Inflation meist niedriger war, sodass es – wie auch in Deutschland – immer zu Reallohnerhöhungen kam. Daher kann man davon ausgehen, dass die Arbeitgeber in Tschechien eher abwarten, bevor sie der steigenden Inflation mit Gehaltserhöhungen begegnen.

Inflationserfahrenes Großbritannien

Einige Länder machen nicht erst seit diesem Jahr Erfahrungen mit hoher Inflation und haben eine Praxis für den Umgang bei Vergütungen und deren Dynamisierung entwickelt. In früheren Zeiten gab es die hohe Inflation auch zum Beispiel im Vereinigten Königreich. Als Antwort wurde die Frequenz der Gehaltsanpassungen auf zwei Mal pro Jahr erhöht. Weiterhin entschieden sich Unternehmen für gezielte Sondervergütungen mit temporärem Charakter, um die Kaufkraft zu erhalten. Mit abnehmender Inflationsdynamik wurden diese Bestandteile sukzessive in die regulären Gehaltsniveaus integriert. Allerdings können einmal angehobene Gehälter auch bei zurückgehender Dynamik nicht so leicht wieder zurückgenommen werden. Dies ist sicher auch eine Erfahrung, die zur aktuellen Zurückhaltung bei zusätzlichen Gehaltsanpassungen beiträgt.

Asien und Lateinamerika

In einigen asiatischen Ländern mit hohen Inflationsraten kann die Koppelung der Bezüge an (bisher) stabile Währungen wie den US-Dollar und den Euro beobachtet werden. Diese Koppelung gilt allerdings eher für Vergütungen im oberen Führungskräftesegment. In einigen zentral- und osteuropäischen Ländern arbeiten Unternehmen ebenfalls an Lösungen, die neben dem monetären Inflationsausgleich auf die Lebenssituation der Mitarbeitenden abzielen und zunehmend integrierte Sozial- und Nebenleistungsangebote in den Fokus nehmen: zum Beispiel Hilfen für Lebensmittel, Kleidung, Miete, Kredite oder Freizeitangebote, um Druck vom Erhalt des Lebensstandards über das Einkommen zu nehmen.

Ähnliches lässt sich auch in den Hochinflationsländern Lateinamerikas beobachten, wo teilweise der gesamten Belegschaft gleichwertige temporäre Sonderzahlungen gewährt werden. Diese sind für die Dinge des täglichen Bedarfes gedacht wie etwa Brot, Milch, Energie und alles, was grundsätzlich für alle Mitarbeitergruppen dieselben Kosten verursacht. Bleibt die Inflation auf Höhe der Sonderzahlungen, wird diese dann in die festen Bezüge überführt. In Ländern mit Hyperinflation, zum Beispiel im Libanon, wird die Vergütung in Teilen in US-Dollar bezahlt, da keine Gehaltsanpassung mehr die Dynamik der Inflation mehr realistisch abbilden kann.

Was planen Unternehmen in Deutschland?

Aktuell zeigen die Befragten noch Zurückhaltung bei Veränderungen der bisherigen und bereits budgetierten Gehaltssteigerungen. Auch ist voraussichtlich nicht mit Maßnahmen aus Hyperinflationsländern zu rechnen. Die naheliegendsten Veränderungen bestehen in der Erhöhung der Frequenz der Gehaltsanpassungen: zum Beispiel alle sechs anstelle alle zwölf Monate wie bisher. Weiterhin rechnen wir mit einer stärker differenzierten Verteilung geplanter Budgets.

Dies erfolgt zum einen durch stärkere Berücksichtigung von Mitarbeitergruppen, deren Kaufkraft stärker von der Inflation betroffen ist; zum anderen durch eine noch stärkere Fokussierung auf Leistungsträger und Schlüsselfunktionen, deren Verbleib im Unternehmen von besonderer Bedeutung ist.

Darüber hinaus sehen wir in der Praxis auch Unternehmen, die wegen der überdurchschnittlichen Inflationssituation ihre generelle Reward-Strategie auf den Prüfstand stellen und grundsätzlich darüber nachdenken, wem sie was wofür bezahlen wollen. Dabei werden unter anderem bestehende Gehaltsstrukturen analysiert und umgestaltet, neue Gehaltsbänder für kritische Funktionen entwickelt sowie die Funktionsweisen variabler Vergütungssysteme und deren Auszahlungswahrscheinlichkeit adjustiert. Dazu zählt auch die längerfristige Ausrichtung variabler Vergütungen, um die generelle Wettbewerbsfähigkeit der Gesamtpakete zu erhöhen. Nicht zuletzt werden Benefits-Pakete auf ihre Kostenstruktur, ihren Nutzen für die Mitarbeitenden und deren Präferenzprofile hin überprüft und neu ausgestaltet.

Die Inflation wird die Unternehmen weiter beschäftigen. Neben kurzfristigen zusätzlichen, aber eher vorsichtigen Maßnahmen dürften nachhaltig wirkende ganzheitliche Rewards mit umfassenden Anpassungen zum Tragen kommen.

Holger Jahn
Senior Client Partner
Korn Ferry
holger.jahn(*)kornferry(.)com

Christine Seibel
Senior Director
Korn Ferry
christina.seibel(*)kornferry(.)com
www.kornferry.com