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Wie zeitgemäß ist Grading als Basis für das Vergütungsmanagement?

Grading und Vergütung haben seit jeher eine sehr enge Beziehung. Grading-Modelle wurden ursprünglich dafür entwickelt, dem Vergütungsmanagement einen systematischen Rahmen zu geben. Es entstand ein Instrument, mit dem die Stellen innerhalb eines Unternehmens verglichen werden konnten – und je nach Methode sogar extern mit denen anderer Organisationen.

Auch heute ist es noch üblich, ein Grading einzuführen, wenn das Vergütungsmanagement beginnt, etwas unübersichtlich und ungeordnet zu werden – zum Beispiel wenn eine gewisse Größenordnung der Organisation erreicht ist. Andererseits ist die Welt der Arbeit stark im Wandel: Organisationen befinden sich in laufender Veränderung, und Entwicklungen, wie die Digitalisierung, Automatisierung, agile Rollen ebenso wie virtuelles Arbeiten, bringen die Unternehmen gehörig durcheinander. Kann das klassische Instrument des Grading noch funktionieren?

Wozu Grading?

Zunächst einmal sollten wir uns noch einmal vergegenwärtigen, wie ein Grading funktioniert. Es ist ein Instrument zur Differenzierung von Stellen, wobei wir eine Stelle als Aggregation von Verantwortlichkeiten und Aufgaben sehen können, die innerhalb einer Organisation von einer Person – einem Stelleninhaber – übernommen werden. In einem Grading werden nun die unterschiedlichen Stellen innerhalb der Organisation in eine Rangreihenfolge gebracht. Im Idealfall werden dabei einheitliche Kriterien angelegt, die zur Wertigkeit der Stellen beitragen.

Nach dem Genfer Schema von 1950 lassen sich diese Kriterien nach geistigen Anforderungen, körperlichen Anforderungen, äußeren Arbeitsbedingungen und der Verantwortung der Stelle unterteilen.

Die meisten der heute verbreiteten Bewertungssysteme für Stellen verwenden eine Auswahl dieser Kriterien, gegebenenfalls in noch feinerer Unterteilung. Das Ranking der Stellen erlaubt es, verschiedene Klassen größerer und kleinerer Stellen zu unterscheiden – eben die Grades.

Diese Grades wiederum stellen die Verbindung zum Vergütungsmanagement her. Im Unternehmen lassen sich nun Policies definieren, die je Vergütungselement und Grade einheitliche Regelungen treffen wie Grundgehaltsbandbreiten, Zielboni, Berechtigung für eine bestimmte Klasse von Firmenwagen, Anrecht für Long Term Incentives und vieles mehr.

Die einheitliche Verwendung von Grading-Systemen über mehrere Unternehmen hinweg erlaubt es zudem, Vergleiche anzustellen. Benchmarks sind ein unerlässliches Werkzeug für einen Compensation-&-Benefits-Manager. So weit die Theorie – aber funktioniert das alles auch so wie gedacht?

Das Grading in den 2020er Jahren

Bisher haben wir von Stellen gesprochen – aber schon hier wird in vielen Unternehmen nicht mehr die reine Lehre vertreten. Nämlich dann, wenn Stelleninhaber plötzlich neben dem Grading ihrer Stelle zusätzlich noch ein halboffizielles „Personal Grade“ besitzen und dieses relevant für die individuelle Vergütung ist. Diese Praxis existiert bei vielen Arbeitgebern und zeigt: Das oftmals starre Grading entspricht nicht immer den Anforderungen der Praxis. 

Daneben entstehen für die Etablierung und Pflege eines Gradingssystems Kosten: Es ist ein nicht zu unterschätzender Aufwand, es einzuführen und bei allen organisatorischen Änderungen aktuell zu halten. Noch vor zwanzig Jahren lag die durchschnittliche „Haltbarkeit“ zwischen fünf und sieben Jahren, und dann wurde wieder ein komplettes Review notwendig. Heute werden die Einstufungen oftmals nur für drei Jahre entwickelt, manchmal sogar weniger. Dieser Anpassungsprozess erscheint vielen Verantwortlichen als nie endende Mühle. Der Anspruch, mit dem Grading ein dauerhaftes stabiles Fundament gebaut zu haben, wird  immer weniger eingelöst.

In den letzten Jahren setzen sich zudem vielfach „agile Rollen“ und „new ways of working“ durch. Die lehrbuchmäßige Umsetzung dieser Entwicklung ist ehrlicherweise noch kein flächendeckendes Phänomen. Nach wie vor beobachten wir diese Arbeitsformen eher im IT-Projektmanagement oder als Testballon in progressiv orientierten Organisationen. Dennoch ist  festzustellen, dass die klassische Linienorganisation zunehmend weniger wichtig wird und generell Arbeit nicht mehr auf den einmal zugewiesenen Ort im Organigramm (zum Beispiel in der Abteilung) beschränkt ist. Mitarbeiter agieren in übergreifenden Projekten und Prozessen oder sie arbeiten in Matrixstrukturen beziehungsweise virtuellen Organisationen mit anderen zusammen zuarbeiten. Diese Form wird von virtuellem oder zumindest hybridem Arbeiten unterstützt, wenn Chef und Kollegen oftmals nicht mehr physisch im gleichen Büro sitzen. Die Aufgaben werden flexibler zugeteilt und wandern heute viel häufiger zwischen Stellen hin und her, da Organisationen und Stellen zunehmend fluider geworden sind.

Das klassische Grading basiert aber, wie beschrieben, auf einer klar definierten Stelle als der kleinsten Einheit im Organigramm. Daher lässt sich immer öfter beobachten, dass Gradings nicht mehr passen, in Frage gestellt werden und Überprüfungen öfter eingefordert werden. Können wir vor dem Hintergrund dieser Beispiele das gute alte Grading noch retten – und brauchen wir es überhaupt noch?

Welche Optionen hat das Comp-&-Ben-Management?

Ein systematisches Vergütungsmanagement erfordert Differenzierung, wenn nicht alle Mitarbeiter das Gleiche verdienen sollen. Ein Grading bietet diese in der beschriebenen Form. Zwar lassen sich auch ohne einen solchen Ordnungsrahmen Beschäftigte differenziert vergüten. Doch dann fehlt eine Basis, die systematische interne und externe Vergleiche ermöglicht, die annähernd objektiv sind, und die einen Anker für die Differenzierung der Gehaltselemente bietet.

Die Antwort auf die oben beschriebenen Herausforderungen sollte daher nicht lauten, von nun an ohne Grading zu arbeiten. Vielmehr sollten wir es zukunftsfest aufstellen sowie seine Methoden und deren Implementierung verbessern. Drei wesentliche Aspekte sollten dabei im Vordergrund stehen:

  • Anpassungsfähigkeit: Ein modernes Grading ist so aufgebaut, dass es auch unter wechselnden Rahmenbedingungen wie sich ändernden Jobs oder Organisationen funktioniert. Beispielsweise indem nicht mehr individuelle Stellen, sondern nur noch allgemein beschriebene Rollen im Fokus stehen – oder sogar personenbezogene Elemente (wie Kompetenzen oder Skills).

  • Schnelligkeit: Damit einher geht die Anforderung, schnell reagieren zu können. Das betrifft die Zugänglichkeit der Methode selbst, aber auch die Prozesse im Unternehmen. Anstatt den langwierigen Weg durch ein Gremium zu nehmen, sollten Grading-Entscheidungen gewissermaßen „vor Ort“ getroffen werden können, beispielsweise durch den HR-Business-Partner oder sogar den Abteilungsmanager.
  • Einfachheit: Das klassische Grading basiert oftmals auf Bewertungsmethoden, für deren Anwendung Expertenwissen notwenig ist. Diese Black Box ist nicht mehr zeitgemäß. Moderne Methoden sind vielfältigen Anwendern zugänglich und lassen sich zudem nachvollziehbar kommunizieren – auch ohne die Verwendung komplexer sprachlicher Zuordnungen.

Um das Grading weiterhin sinnvoll für das Vergütungsmanagement nutzen zu können, sind also Modernisierungen notwendig: in der Methode, deren Anwendung (zum Beispiel in zeitgemäßen Tools) und in den Prozessen im Unternehmen.

In der Praxis können für das Vergütungsmanagement weitere Formen der Differenzierung sinnvoll sein: etwa nach Jobfamilien (wie Finance, IT, R & D, Sales), um beispielsweise spezielle Marktanforderungen oder Bonussysteme abzubilden. Oder nach geografischem Standort und Organisationseinheit. Diese Zuordnungen sollten aber nicht als Ersatz für das Grading verstanden werden, sondern als Ergänzung, die im einen oder anderen Fall sinnvoll sein kann.  

Fazit

Ist das Grading als Basis für das Vergütungsmanagement also noch zeitgemäß? Die Antwort ist ja – aber nur, wenn ein modernes System modern eingesetzt wird. Die Symbiose zwischen Grading und Vergütung wird uns noch einige Zeit erhalten bleiben.

Dr. Ulrich Drost
Principal
Korn Ferry
Ulrich.Drost(*)Kornferry(.)com
www.kornferry.com