Die Qual der Wahl
Nach dem Zusammenschluss zweier Unternehmen hat die HR-Funktion eine der ersten Integrationsaufgaben zu bewältigen –die Besetzung der neuen Führungsmannschaft. Was sind die besonderen Herausforderungen bei der Personalauswahl in dieser Situation? Eine aktuelle Studie findet Antworten aus der Praxis.
Führungskräfte beeinflussen maßgeblich den Erfolg einer Post-Merger- Integration: Es kommt beim Integrationsmanagement vor allem auf ihre Führungsfähigkeiten und Fachkompetenz im Umgang mit komplexen Veränderungsprozessen an: Die Führungskräfte müssen die Mitarbeiter in den Integrationsprozess einbinden, Widerstände abbauen und die Motivation aufrechterhalten. Aufgrund ihrer Vorbildfunktion haben sie einen großen Einfluss auf die neue Identität und Kultur des Unternehmens. Das Anforderungsspektrum bei einem Unternehmenszusammenschluss übersteigt damit bei weitem die Anforderungen im „normalen“ Führungsalltag. Deshalb muss bei der Besetzung der Führungspositionen die Eignung der Kandidaten sowohl vor dem Hintergrund der jeweiligen Position als auch den Anforderungen der Integration geprüft werden. Fehlbesetzungen gefährden die Einhaltung des Integrationszeitplans und verursachen hohe Kosten.
Hoher Zeitdruck und unklare Organisationsstrukturen
Die Rahmenbedingungen für den gesamten Auswahl- und Besetzungsprozess bei einem Unternehmenszusammenschluss sind schwierig – das Hauptproblem ist der Zeitdruck. Um den Mitarbeitern Stabilität und Orientierung zu geben, sollten Personalentscheidungen möglichst schnell fallen. Doch in der Regel steht die endgültige Organisationsstruktur des neu entstandenen Unternehmens zunächst nicht fest: Führungskräfte, die über Stellenbesetzungen entscheiden, sind zum Teil selbst von Umstrukturierungen betroffen. Das Ausloten der eigenen Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des Unternehmens stehen bei vielen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Schnell Klarheit herzustellen hilft, ein Führungsvakuum zu vermeiden.
Nicht zu unterschätzen ist auch die große Aufmerksamkeit der Belegschaft, die auf dem Besetzungsprozess liegt. Aus der Art und Weise wie Personalentscheidungen getroffen werden, ziehen Mitarbeiter Schlussfolgerungen über Machtverhältnisse im Unternehmen und den weiteren Integrationsprozess. Auch deshalb ist größtmögliche Objektivität und Transparenz sicherzustellen.
Integrationsstrategie beeinflusst Vorgehen bei der Stellenbesetzung
Die Entscheidung für das Vorgehen bei der Besetzung der Führungspositionen ist geprägt durch die Integrationsstrategie: Soll im Fall einer Übernahme das erworbene Unternehmen vollständig oder teilweise eingegliedert werden, oder soll bei einem „Zusammenschluss unter Gleichen“ das Beste beider Welten im neuen Unternehmen vereint werden? Beim ersten Ansatz werden die Führungspositionen häufig konsequent durch Führungskräfte des Käufers besetzt, um zügig die Kontrolle über das akquirierte Unternehmen zu erlangen. Diese Vorgehensweise stößt beim übernommenen Unternehmen zunächst auf wenig Zuspruch, bringt aber schnell Klarheit und damit Stabilität. Bei einem Zusammenschluss unter gleichberechtigten Partnern ist die „politische Auswahl“ eine verbreitete Vorgehensweise, das heißt die Stellenbesetzung ist Ergebnis eines politischen Verhandlungsprozesses („Einer von uns gegen einen von Euch“). Um Unruhe und Konflikte zu vermeiden, werden in vielen Fällen Positionen erst einmal doppelt besetzt – die schlechteste aller Optionen. Eine unbequeme Entscheidung wird auf einen späteren Zeitpunkt vertagt um den Preis höchst ineffizienter Parallelorganisationen, die im ständigen Ringen um Machtansprüche und Entscheidungen Kunden und Wettbewerber völlig aus den Augen verlieren.
Ein durch die HR-Funktion begleiteter professioneller Auswahlprozess ist bei jeder Form der Integration ein sinnvoller Weg. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Positionen mit den am besten geeigneten Kandidaten besetzt werden und die Auswahlentscheidung hohe Akzeptanz sowohl bei den Führungskräften als auch den Mitarbeitern erfährt. In der Praxis ist die professionelle Steuerung des Prozesses durch die HR-Funktion allerdings nicht der Standard. Die Studienergebnisse zeigen, dass ein Drittel der befragten Unternehmen keine methodisch fundierten Auswahlverfahren einsetzt, sondern die Führungspositionen ohne direkten Einbezug der Kandidaten besetzt, zum Beispiel in Gesprächen mit Entscheidern, durch Übernahme aller, politische Auswahl oder konsequente Besetzung mit Mitarbeitern des Käuferunternehmens.
Verfahrenskombinationen in der Praxis bewährt
Wenn die Entscheidung für ein methodisch fundiertes Vorgehen gefallen ist, stellt sich die Frage nach der Auswahlmethode. Die Mehrheit der Studienteilnehmer (40 Prozent) setzt Interviews ein, 13 Prozent entscheiden sich für eine Kombination aus strukturierten Interviews und Einzel- oder Gruppen-Assessment Centern.
In der Rückschau bewerten die Personalexperten das Assessement Center und die Kombination aus Interview und Assessment Center mit der Note zwei am besten (siehe Abbildung).
Abbildung
Auswahlverfahren im Überblick

Die Auswahlverfahren wurden durch die Personalexperten recht unterschiedlich bewertet.
An der Verfahrenskombination schätzen die Personalexperten zum einen die höhere Validität und zum anderen erlaubt sie, sich einen umfassenden Überblick zur Führungsqualität und den Kompetenzen im Unternehmen zu verschaffen. Auf diesen Informationen können spätere Personalentwicklungsaktivitäten aufbauen. Interviews haben die Note 2,4 bekommen. Besonders positiv bewerten die Studienteilnehmer die hohe Akzeptanz des Verfahrens, das einen guten Kompromiss zwischen Kosten-/Zeitaufwand und Validität darstellt. Der Verzicht auf fundierte Personalauswahlverfahren schneidet mit 3,2 in der Bewertung am schlechtesten ab. Die Personalexperten bemängeln hier die Gefahr von Fehleinschätzungen bei mangelhafter Kenntnis der Kandidaten sowie die Gefahr von Motivationsverlust und Abwanderung aufgrund fehlender Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Stellenbesetzung. Bei einseitiger Besetzung mit Kandidaten des Käufers droht ebenfalls ein Verlust von Potenzialträgern, und zwar beim übernommenen Unternehmen.
Auch die Doppelbesetzung hat sich aus HR-Sicht nicht bewährt, da sich die Unsicherheit in der Organisation dadurch nur noch vergrößert. Inwieweit Führungskräfte den komplexen Anforderungen in einer M&A-Situation gerecht werden, ist kaum durch nur eine Informationsquelle (zum Beispiel Interview) im Vorfeld zu erfassen. Mit einer Methodenkombination können unterschiedliche Kompetenzbereiche des Anforderungsprofils mit einem geeigneten Verfahren beurteilt werden und Einschränkungen einzelner Verfahren – beispielsweise hinsichtlich der Validität – korrigiert werden. Doch die Entscheidung für ein Verfahren sollte neben den Gütekriterien auch die vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen zur Durchführung der Verfahren und die bestehende „Auswahlkultur“ der beiden Ursprungsunternehmen berücksichtigen.
Umfassend informieren und kommunizieren
Sobald das Verfahren feststeht, muss dieses breit kommuniziert werden. Das Auswahlprozedere sollte nicht nur den beteiligten Führungskräften transparent gemacht werden. Auch eine Kommunikation an die Mitarbeiter ist sinnvoll, um eine hohe Akzeptanz der Entscheidungen zu erreichen. Hilfreich ist ein klarer Zeitplan, wann welche Ebenen besetzt und verkündet werden verbunden mit einem Kommunikationsplan, der festhält, was, wie, wann und durch wen kommuniziert wird.
Die Kommunikation der Entscheidung an die Kandidaten sollte sehr professionell und möglichst einheitlich erfolgen. Hierbei kann die HR-Funktion die jeweiligen Führungskräfte unterstützen, zum Beispiel durch Schulungen und Gesprächsleitfäden. So kann sichergestellt werden, dass auch negative Entscheidungen in wertschätzender und motivierender Form überbracht werden. Nach Bekanntgabe der Entscheidungen ist es wichtig, mit den Führungskräften im Kontakt zu bleiben – sowohl mit denen, die die angestrebten Positionen erhalten haben, als auch mit denen, die nicht erfolgreich waren und im Unternehmen geblieben sind. Bei der ersten Gruppe sollte beispielsweise nach etwa drei Monaten Feedback eingeholt werden, was läuft gut und wo ist es noch schwierig. Dies hilft, frühzeitig Unterstützungsbedarf zu erkennen und entsprechende Angebote unterbreiten zu können. Bei denen, die nicht ausgewählt wurden, können die im Auswahlprozess gewonnenen Informationen als Basis dienen, um Entwicklungsbedarfe zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen abzuleiten.
Spannungsfeld zwischen Anspruch und pragmatischer Lösung
In der Situation von M&A bewegt sich die HR-Funktion in einem Spannungsfeld zwischen dem eigenen methodischen Anspruch und der Forderung nach schnellen, kostengünstigen und pragmatischen Lösungen. Führungskräfte nehmen in der Post-Merger-Integration eine besonders wichtige Rolle ein: Sie sind Orientierungspunkt für die zumeist verunsicherten Mitarbeiter und stellen die Weichen für eine erfolgreiche Integration. Die HR-Funktion muss sich als kompetenter Partner im Integrationsmanagement positionieren und den Prozess der Auswahl, der Kommunikation und weiteren Unterstützung der ausgewählten Führungskräfte professionell begleiten. Denn nur ein auf fundierten Verfahren basierender, kompetent durchgeführter Auswahlprozess stellt sicher, dass die geeignetsten Kandidaten ausgewählt werden.
Informationen zur Studie
Informationen zur Studie:
Wie wählen Unternehmen nach einem Zusammenschluss ihre Führungskräfte aus? Welche Vorgehensweisen haben sich bewährt? Diesen Fragen ist die Managementberatung Grosse-Hornke Private Consult gemeinsam mit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in einer deutschlandweiten Studie nachgegangen. Das Team hat dafür 30 teilstrukturierte Interviews mit M&A-erfahrenen Personalexperten deutscher und internationaler Unternehmen verschiedener Größe und unterschiedlicher Branchen geführt:
Informationen zu den Studienteilnehmern:
Mitarbeiter: | 27 Prozent der Unternehmen haben > 30 000 Mitarbeiter, 17 Prozent > 10 000 Mitarbeiter, 20 Prozent > 5000 Mitarbeiter, 30 Prozent > 1000 Mitarbeiter, 7 Prozent < 1000 Mitarbeiter. |
Branche: | 47 Prozent sind Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, 33 Prozent erbringen Finanz- und Versicherungsleistung, zehn Prozent sind Unternehmen der Energie- und Wasserversorgung; die weiteren Unternehmen sind den Branchen Information und Kommunikation sowie Handel zuzuordnen. |
M&A-Erfahrung: | Die Teilnehmer machten folgende Angaben über die Anzahl der begleiteten Fusionen und Akquisitionen in den vergangenen 10 Jahren: ≤ 4 (23 Prozent), 3 (27 %), 2 (30 %), 1 (20 Prozent). |
Die vollständigen Studienergebnisse stehen zum Download unter www.grosse-hornke.de.
Praxistipps
1. | Frühzeitig einen klaren Zeitplan aufstellen, der die einzelnen Schritte, wie zum Beispiel Definition der Organisationsstruktur und Besetzung der Führungspositionen der verschiedenen Ebenen beinhaltet |
2. | Faires und transparentes Verfahren einsetzen, das zu der bisherigen „Personalauswahlkultur“ passt, um Akzeptanz durch die Mitarbeiter sicherzustellen |
3. | Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofile neu erstellen oder anpassen, um eine objektive Grundlage für die Führungskräfteauswahl zu schaffen |
4. | Offene Kommunikation planen und durchführen, die umfassend über den Besetzungsprozess informiert |
5. | Die HR Funktion beim Auswahlverfahren beteiligen, um einen methodisch fundierten Prozess sicherzustellen |
6. | Eine neutrale dritte Partei in die Entscheidungsfindung einbeziehen, da sonst Betriebsblindheit und taktische Entscheidungen vorherrschen (dies können Personaler oder auch Externe sein) |
7. | Die Besetzung der Auswahlkomitees (paritätisch vs. einseitig) gut überlegen, da Signale bezüglich der aktuellen Machtverhältnisse in die Organisation gesendet werden. Empfehlenswert zur Erhöhung der Objektivität ist eine „crossover“-Beurteilung, bei der Führungskräfte aus dem jeweils anderen Unternehmen den Kandidaten beurteilen |
8. | Einen kaskadierenden Auswahlprozess unter Einbezug der direkten Vorgesetzten durchführen, um die Akzeptanz für die Besetzung der Führungsebenen zu erhöhen |
9. | Schnell Klarheit über die oberste Ebene schaffen und die neue Kultur vorleben |
10. | Feedbackgespräche zur Kommunikation der Entscheidung gut vorbereiten (zum Beispiel Schulung der Führungskräfte, Gesprächsleitfaden) |
11. | Positionen mit den am besten Geeigneten besetzen, weil die Integration sonst nicht zu schaffen ist („Best of both“-Ansatz nicht nur als Lippenbekenntnis) |
12. | Mit Führungskräften auch nach der Besetzung in Kontakt bleiben und Unterstützung anbieten |
Autoren
Silke Grosse-Hornke, Geschäftsführerin Grosse-Hornke Private Consult,
s.grosse@grosse-hornke.de
Sabrina Gurk, Senior-Beraterin Grosse-Hornke Private Consult,
s.gurk@grosse-hornke.de
Dr. Christoph Brast, Akademischer Rat am Lehrstuhl für BWL der Uni Münster,
christoph.brast@wiwi.uni-muenster.de
- Inhalt Personalwirtschaft 01/2011
- Zur Besinnung kommen
- Stress lass nach
- „Anfangen und dranbleiben“
- Die Ausgebrannten rücken in den Fokus
- Über Sinn und Sensibilität
- Schablonen, die nicht immer passen
- Mehr Mut zur Vision
- Das Einmaleins des guten Tons
- Die Qual der Wahl
- Eine Investition in die Mitarbeiter
- Wegweiser in der Prozesslandschaft
- Zweifel an ELENA werden größer
- Neue Formen der Flexibilisierung
- Was vom Training übrig bleibt
- Coaching als Veränderungskatalysator