Expertenmacht positiv managen
Die Macht der Experten nimmt zu, weil Wissen wichtiger und die Experten knapper werden. Es ist unerlässlich, diese Macht im Sinne des Unternehmens positiv mit Instrumenten der Personalführung zu lenken, so das Ergebnis eines Forschungsprojekts.
Macht, so lehrt uns Max Weber im § 16 seines Standardwerks „Wirtschaft und Gesellschaft“, ist die Chance, den eigenen Willen auch gegen das Widerstreben anderer durchzusetzen. Macht kann folglich als das übertragene oder erkämpfte Recht bezeichnet werden, die Spielregeln in sozialen Beziehungen (mit)zubestimmen.
Das Forschungsprojekt „Expertenmacht managen“ (MEX) untersucht die Macht von Experten in alternden und schrumpfenden Organisationen und fragt, ob diese unter diesen Bedingungen in Zukunft wachsen wird. Das Forschungsprojekt geht weiter davon aus, dass das Wissen in reifen Volkswirtschaften zunehmend zur prominenten Machtquelle wird. Die Expertenmacht steigt, weil Wissen wichtiger und die Experten knapper werden. Die Sicherung von Erfolg und Wohlstand hängt in Zukunft – wie nie zuvor in der Geschichte – entscheidend von der Expertise weniger, gut ausgebildeter Spezialisten ab. Die „Veto-Macht“ der Experten entwickelt sich zum Nadelöhr für Leistung und Zusammenarbeit, so die weitere Annahme des Forschungsprojekts.
Es wird der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen die wachsende Macht von Experten auf Leistung und Zusammenarbeit in Organisationen haben wird. Schließlich soll als Gestaltungsziel dieses Forschungsprojekts aufgezeigt werden, welche Handlungsoptionen zur konstruktiven Lenkung der Expertenmacht bestehen und welchen Beitrag die Personalarbeit dazu leisten kann.
Wissen ist Macht
Experten verfügen über exklusives und erfolgskritisches Knowhow und dies bedeutet Macht, weil Unternehmen und Behörden auf die Expertise der Spezialisten angewiesen sind. Expertenmacht, so die Annahme, nimmt auch deshalb zu, weil Wettbewerbs- und Kostendruck die personalen Redundanzreserven der Unternehmen drastisch reduzieren. Die ausgleichende Gegenmacht von Mit-Spezialisten entfällt. Experten befinden sich daher in Zukunft zunehmend in der monopolistischen Situation, über ihr wertvolles und knappes Humanvermögen frei verfügen zu können.
Es leuchtet ein, dass Experten in Zukunft beste Bedingungen vorfinden werden, ihre Macht auch egoistisch durchzusetzen. Nicht Unternehmen suchen Mitarbeiter, sondern Experten wählen ihren Arbeitgeber aus. Die Machtquellen der Experten sind ihr Können (Expertise), ihr Wollen (Macht- und Leistungsstreben) und das Dürfen (Entscheidungs- und Handlungsspielraum). Die Entstehung von Expertise ist an Begabung, Lernen und Erfahrung gebunden. Die geheime Macht der Experten resultiert aus ihrem impliziten Wissen, das sie entweder egoistisch horten oder altruistisch der Organisation zur Verfügung stellen. Um Konflikte zu vermeiden, muss heute über mögliche Auswirkungen nachgedacht werden.
Das Forschungsdesign „Expertenmacht managen“ beruht auf einer theoretischen Fundierung der Macht, der Machtquellen und der Machtmoderatoren. Die Hypothesen unterstellen, dass:
-
die Macht der Experten wächst,
-
transformationale Führung, systematische Personalentwicklung sowie die Gestaltung der Arbeitsbedingungen das Verhalten der Experten beeinflussen,
-
personalwirtschaftliche Maßnahmen lenkend Einfluss auf das Expertenverhalten nehmen können.
Zentrale Ergebnisse der Umfrage
Für die Datengewinnung wurden jeweils ein Fragebogen für Führungskräfte und ein Fragebogen für Experten entwickelt. Der Rücklauf bei den Führungskräften lag bei elf Prozent (37 Bögen von 340), der Rücklauf bei den Experten betrug zwölf Prozent (114 Bögen von 922). Die Inhalte konzentrierten sich auf Fragen zur Einschätzung der Macht der Experten, das Führungsverhalten, die Personalentwicklung, die Mitarbeiterbindung und das Leistungsverhalten. Die Ergebnisse der Studie sind in qualitative und quantitative Erkenntnisse unterteilt. Zentrale qualitative Erkenntnisse sind:
- 1.
Die Macht der Experten wird von den Befragten als hoch eingeschätzt.
- 2.
Die Befragten geben mit 60 Prozent an, dass die Macht der Experten in den vergangenen zehn Jahren gestiegen sei.
- 3.
Mit fast 70 Prozent nehmen die Befragten aber an, dass die Macht der Experten in Zukunft noch steigen wird (67 Prozent Zustimmung).
- 4.
Die Befragung zeigt, dass der demografische Wandel nicht als zentrale Ursache der wachsenden Expertenmacht angesehen wird (nur 18 Prozent Bestätigung).
- 5.
Die bestätigte Macht der Experten bezieht sich nach Auskunft der Befragten auf die Beeinflussung von Entscheidungen (58 Prozent Zustimmung), mikropolitische Taktiken (16 Prozent Zustimmung) und Zurückhalten von Wissen (ebenfalls 16 Prozent Zustimmung).
Punkt vier überrascht, zeigt jedoch, dass die demographische Entwicklung entweder in den Unternehmen noch nicht angekommen ist oder aber die Gefahr noch nicht gesehen wird, in der Zukunft von immer weniger Experten immer stärker abhängig zu sein (siehe Abbildung).
Abbildung
Einige Fakten zur demografischen Entwicklung

Nich zuletzt ist die demografische Entwicklung ein Faktor für die Zunahme der Expertenmacht in den Unternehmen.
Die quantitativen Ergebnisse beziehen sich auf Messungen des Leistungsverhaltens der Experten. Es hat sich gezeigt, dass:
-
Experten mit wachsender Macht ihre vertraglichen Verpflichtungen mit abnehmender Intensität erfüllen,
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systematische Personalentwicklung aber in der Lage ist, das negative Arbeitsverhalten in ein positives Arbeitsverhalten der Experten umzuwandeln.
Maßnahmen der Personalarbeit
Personalentwicklung ist die entscheidende Größe im Bemühen, die wachsende Macht der Experten konstruktiv und produktiv zu lenken. Empfinden Experten, dass sie in einem Unternehmen systematisch und bedarfsgerecht gefördert werden, dann sind sie motiviert, ihre Macht im Sinne des Unternehmens einzusetzen und ihr wertvolles Wissen auch mit anderen zu teilen. Maßgeschneiderte Personalentwicklung stärkt die Macht und die Zufriedenheit der Experten und motiviert sie zu außerordentlicher Leistung. Der Satz „Staff should be able to leave but happy to stay!“ wird durch die Resultate des Forschungsprojektes eindrucksvoll bestätigt. Die Macht der Experten wird wachsen, sie zu begrenzen, ist nicht möglich und auch nicht ratsam. Die Personalarbeit muss ihre Aktivitäten vielmehr auf die Entwicklung von Maßnahmen konzentrieren, die geeignet sind, die Macht der Experten konstruktiv und produktiv zu lenken. Maßnahmen der Personalarbeit sind in unterschiedlichem Ausmaß geeignet, die Expertenmacht zu lenken und nutzbar zu machen. Schwache Maßnahmen (Hygienefaktoren) zur Regulation von Expertenmacht sind:
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angemessene, differenzierende Entlohnung zur Vermeidung von Unzufriedenheit,
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soziale Zusatzleistungen wie Kinderbetreuung, Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeiten,
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intaktes Miteinander, positives Betriebsklima,
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optimale mediale und technische Ausstattung des Arbeitsplatzes,
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anforderungsgerechte und rechtzeitige Information,
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angemessene Führung, insbesondere transformationale Führung,
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anforderungsgerechte Entscheidungsbeteiligung und Mitsprache.
Starke Maßnahmen (Motivatoren) zur Steuerung der Expertenmacht konzentrieren sich auf:
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Wahlmöglichkeiten zwischen Fach- und Projektkarrieren zur optimalen Nutzung individueller Expertise,
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Coaching, Mentoring und systematische Entwicklungsberatung als individuelle Fördermaßnahmen,
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tutorielles Lernen und Arbeiten zur Erweiterung der Expertise,
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Projektarbeit und Teamentwicklung zur Erhöhung der Bereitschaft zur Wissensteilung,
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systematisches Kompetenzmanagement zur Verbesserung der Transparenz von Tätigkeiten und Anforderungen,
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Aufbau und Pflege von Expertennetzwerken als Plattform für Erfahrungsaustausch,
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Aufbau von Unternehmungs-, Arbeitgeber-HR-Department- und Employee-Marken zur Herausbildung individueller und organisationaler Einzigartigkeit.
Ausblick und Impulse für Forschung und Praxis
Die Forschung zur Expertenmacht muss intensiviert werden. So ist davon auszugehen, dass weitere Variablen, die in diesem Forschungsprojekt nicht untersucht wurden, auf Einstellung, Verhalten und Leistung der Experten wirken. Auch sollten spezielle Expertengruppen, zum Beispiel Strategieexperten, F&E-Experten, Experten in Schlüsselbranchen, auf ihre Macht und ihr Verhalten untersucht werden. Unternehmen und Verwaltungen müssen ihre personalwirtschaftlichen Instrumente in den Handlungsfeldern Kompetenzmanagement, Talent Management, Performance Management und Markenmanagement dringend optimieren. Und schließlich gilt für die Zukunft in besonderem Maße, dass Unternehmen, die keine konzeptionell abgesicherte systematische Personalentwicklung betreiben, unattraktive Arbeitgeber sind. Sie verlieren den Kampf um die knappen Talente.
Das Forschungsprojekt belegt, dass Macht müde macht, wenn Experten nicht systematisch gefördert werden. Macht macht dann munter, wenn die Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Experten gewahrt bleiben, deren Macht aber durch systematische und bedarfsgerechte Personalentwicklung in loyales und leistungsstarkes Handeln gelenkt wird.
Autoren
Univ.-Prof. Dr. Manfred Becker, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Personalwirtschaft und Organisation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Wissenschaftlicher Leiter der eo ipso personal- und organisationsberatung gmbh in Mainz,
manfred.becker@eoipso-beratung.de
Anja Beck, Diplom-Psychologin, Doktorandin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Personalwirtschaft und Organisation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
anja.beck@wiwi.uni-halle.de
Andrea Herz, Diplom-Psychologin, ist Doktorandin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Personalwirtschaft und Organisation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
andrea.herz@wiwi.uni-halle.de
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