Über Sinn und Sensibilität

Der amerikanische HR-Vordenker und Managementexperte Dave Ulrich appelliert an Führungskräfte, besonders in Krisenzeiten mehr sinnstiftende Elemente in ihren Unternehmen einzuführen. Wir sprachen mit ihm am Rande einer Veranstaltung in Zürich.
Personalwirtschaft: Herr Ulrich, in schwierigen Zeiten, in denen in den USA viele Menschen ihre Jobs verlieren, ist es hart, eine positive Arbeits-moral aufrechtzuhalten. Was raten Sie HR-Managern, wenn es darum geht, eine weiterhin produktive Arbeitsethik zu wahren?
Dave Ulrich: Die Wirtschaftsrezession hat in der Tat eine emotionale und psychologische Rezession ausgelöst. Zwar erscheinen Angestellte bei der Arbeit, allerdings viele nur als Hülle, geistig und seelisch sind einige nicht wirklich da. Dennoch, eine gute Führungsperson erkennt das und appelliert an Sinn und Bedeutung ihrer Arbeit. Denn nur wer den Stellenwert seiner Arbeit erkennt, ist produktiv. Ich habe eine simple Formel für gesicherte Produktivität mit drei Komponenten definiert. Erstens: Kompetenz und die Fähigkeit zu arbeiten. Sie entsteht in der Weiterbildung und durch den Selektionsprozess. Zweitens: Commitment und der Wille, hart zu arbeiten. Es entsteht durch aktives Engagement. Drittens: Aktiver Beitrag vonseiten der Führungskräfte, den Stellenwert der geleisteten Arbeit zu erhöhen und damit eine gesunde Organisation zu entwickeln.
Haben Sie konkrete Beispiele für diese aktiven Beiträge von der Führungsseite?
Wir können folgende sinnstiftende Felder für die Führung kategorisieren: Finden Sie die Stärken Ihrer Mitarbeiter und nutzen Sie diese Stärken, um wiederum andere darin zu stärken. Passen Sie den Job jedes Mitarbeiters so an, dass er energiespendend durchführbar ist und Freude bringt. Kreieren Sie eine überzeugende und spannende Bestimmung für Ihre Organisation, die auch die Herzen Ihrer Mitarbeiter anspricht. Entwickeln Sie hoch effiziente Teams, indem Sie klar kommunizieren, füreinander einstehen, Konflikte offen angehen und immer dabei lernen. Unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter, von ihren Erfolgen und ihren Fehlern zu lernen. Formen Sie ein positives Arbeitsumfeld, indem Sie auf die Dinge aufmerksam machen, die gut laufen und nicht primär auf die, bei denen es schief läuft. Bringen Sie Freude in die Arbeitsprozesse, haben Sie Spaß miteinander.
In welcher Hinsicht ist Ihr Drei-Säulen-Modell der Personalarbeit in Krisenzeiten anwendbar?
Primär sollte die HR-Struktur mit der Geschäftsstruktur übereinstimmen. Schätzungsweise zählen 15 bis 20 Prozent aller Unternehmen zu Kleinunternehmen, die sich auf die funktionale HR-Arbeit konzentrieren sollten. Weitere 10 bis 15 Prozent aller Firmen sind Holdings, die über eine jeweils eigene mehr oder weniger kleine HR-Abteilung in jedem Sub-Unternehmen verfügen sollten. Und die Mehrzahl aller Unternehmen operiert mit mehreren Divisionen, in denen HR als firmeneigener Dienstleister arbeitet. Jede externe professionelle Dienstleistungsfirma wandelt Wissen um in hohe Produktivität für Kunden. Dieses Wissen entsteht in Expertengruppen oder „Center of Expertise“, die ihr Wissen mit einem integrierten Kundenbeziehungsmanager bündeln. Und mit genau diesem seit Jahrzehnten etablierten System der Dienstleistungsfirmen wird sich die Personalarbeit organisieren, unabhängig von ökonomischen Zyklen.
Um trotzdem spezifischer die Krisenzeiten in den USA anzusprechen, welche Mittel stehen zur Verfügung, um die Resilienz der Mitarbeitenden zu stärken?
Widerstandsfähigkeit entwickelt sich aus dem Lernen von Fehlern. Misserfolge geben eine gute Gelegenheit, daraus mehr zu lernen. Menschen entwickeln sich aufgrund von Erfolgen, aber auch durch Misserfolge. Resilienz erhalten Sie dann, wenn Sie sich den Grund Ihrer Misserfolge genauer anschauen und darin auch etwas Positives erkennen. Das Positive liegt in der Umwandlung in zukünftig angepasste verbesserte Praxismethoden. Für diese Akzeptanz von Fehlern müssen Sie eine konstruktive Einstellung zum Lernen haben und kollektiv arbeiten wollen. Denn ein zusammenhaltendes, lernfähiges Team unterstützt den Gedanken des ewigen Lernens innerhalb einer Unternehmenskultur, die laufende Verbesserungen einfordert, und damit insgesamt widerstandsfähiger wird.
Was raten Sie HR Managern, die in deutschen Kulturkreisen tätig sind, wo Misserfolge weniger positiv interpretiert werden als in den USA?
Misserfolge oder Fehlschläge sind grundsätzlich verzeihbar, unter der Voraussetzung, dass sie zu einem schnellen Lernerfolg führen. Wer selten versagt, nimmt in vielen Fällen auch weniger Risiken auf sich oder arbeitet so langsam, dass die Konkurrenz sie schlägt. Und wer nie scheitert, versucht auch eher nichts Neues, experimentiert weniger. Dabei bleibt die Innovation auf der Strecke.
Für Experimente brauchen Menschen eine gewisse Toleranz gegenüber offenen Ergebnissen. Wie entwickelt man bei den Menschen eine erhöhte Ambiguitätstoleranz, die von Natur aus Unklarheiten meiden?
Wenn wir davon ausgehen, dass 50 Prozent einer Eigenschaft in unserer DNA angelegt sind und die anderen 50 Prozent erlernbar sind, dann können wir Toleranz gegenüber Unklarheit erlernen. Mitarbeitende sollten die Möglichkeit zum Ausprobieren von neuen Ansätzen bekommen und diese auch durchführen dürfen. Daraus schöpfen sie neue Erkenntnisse. Toleranz muss man üben und sie speist sich aus der Überzeugung heraus, dass Menschen reflektieren und aus möglichen Fehlern lernen können. Manche können das von ihrer persönlichen Natur aus besser als andere.
Und was machen Sie mit denen, die keine Lust auf Experimente haben, die mit weniger spielerischem Ansatz an Dinge herangehen, weil sie eventuell schief gehen können?
Nicht alle werden alles erlernen. Manche sind nicht spielerisch, heißt, sie werden wahrscheinlich nicht fähig sein, einen Beruf auszuüben, der eine gewisse Experimentierfreude voraussetzt. Unsere DNA setzt uns Grenzen. Ich beispielsweise kann weder singen noch tanzen. Egal wie intensiv ich es lernen wollte, ich würde nie wirklich gut darin sein. Dennoch, mit Training und Fokus kann ich trotzdem lernen, mich für Musik und Tanz zu erwärmen. Genau so sind manche Führungspersonen von ihrer Natur her negativ eingestellt, und sie werden sicher nie Komiker. Sie können dennoch lernen, ihr negatives Naturell zu zügeln.
Spiritualität wird seit Neuem vereinzelt in Unternehmen thematisiert. Macht es Sinn, Unternehmen mit mehr Spiritualität zu führen?
Spiritualität ist ein komplexer Ausdruck, weil er so viel bedeuten kann; so könnte er mit Religion gleichgestellt werden, was für Unternehmen nicht zutreffend ist. Spiritualität in Unternehmen sollte vielmehr als starker moralischer Kodex verstanden werden, der auf ethisch-orientierten Entscheidungen basiert sowie auf einem bestimmten Werteverhalten mit religionsübergreifenden spirituellen Attributen wie Nächstenliebe, Anstand und Gnade, Vergebung, Dienst für den anderen. Wenn diese religiösen Grundprinzipien in Unternehmen gelebt werden, entwickeln sie sich zu kapitalstarken Organisationen. Denn dann sind sie Orte, in denen Mitarbeiter respekt- und würdevoll behandelt werden. Und das wiederum macht Menschen produktiver.
In welcher Weise könnten sich Lernende Unternehmen nach der Wirtschaftskrise umorientieren?
Hoffentlich hilft diese Krise Firmen in der Zukunft, ihr Risikomanagement zu reevaluieren. Und das Risiko verbirgt sich zum Großteil in der Unternehmenskultur und in den Talenten, die sich darin austoben können. Die Führung muss die Belegschaften mit mehr Pflege managen. Viele Firmen haben die Krise jedoch leider als Vorwand genutzt, unpopuläre Entscheidungen zu fällen. Ich hoffe sehr, dass Führungskräfte zukünftig sinnstiftende Elemente in ihre Organisationen einführen und von sich heraus mehr Sensitivität für Emotionen und Herz erbringen.
Autorin
Das Interview führteConnie Voigt, freie Publizistin, Zürich.
- Inhalt Personalwirtschaft 01/2011
- Zur Besinnung kommen
- Stress lass nach
- „Anfangen und dranbleiben“
- Die Ausgebrannten rücken in den Fokus
- Über Sinn und Sensibilität
- Schablonen, die nicht immer passen
- Mehr Mut zur Vision
- Das Einmaleins des guten Tons
- Die Qual der Wahl
- Eine Investition in die Mitarbeiter
- Wegweiser in der Prozesslandschaft
- Zweifel an ELENA werden größer
- Neue Formen der Flexibilisierung
- Was vom Training übrig bleibt
- Coaching als Veränderungskatalysator