Verlust nach Punkten
Müssen gestandene Manager höhere Mathematik beherrschen, Zahlenreihen vervollständigen, Flächen gleichschenkliger Dreiecke berechnen und verzwickte Logicals lösen können? Nein, sagen immer mehr Business Schools und verzichten beim Executive MBA auf den Graduate Management Admission Test (GMAT). Warum wohl?
Mal ehrlich: Kämen Sie heute noch durch die Mathe-Klausur im Abitur? Texten Sie einen 500-Wörter-Essay so holzschnittartig, dass der vom Bot-Programm eines Computers verstanden und mit einer hohen Punktzahl belohnt wird? Und können Sie auf Anhieb die Aussagekraft zweier komplexer Informationsbündel logisch einordnen? Natürlich auf Englisch, nach dem Muster:
„(A) Statement (1) alone is sufficient, but statement (2) alone is not sufficient.
(B) Statement (2) alone is sufficient, but statement (1) alone is not sufficient.
(C) Both statements together are sufficient, but neither statement alone is sufficient.
(D) Each statement alone is sufficient.
(E) Statements (1) and (2) together are not sufficient.“
Noch Fragen? Derer jede Menge sind im vierstündigen Graduate Management Admission Test (GMAT) zu beantworten, plus ein Aufsatz, maschinenlesbar gegliedert und formuliert. In einem fremden Hörsaal, an einem originalverschweißtem Fremdrechner, umringt von fremden, schwitzenden Zwanzigjährigen, Austreten unter Argusaugen und „No drinks, please.“ Und während die grauen Zellen unermüdlich rattern, beten jene, die für diese Prüfung 250 Dollar bezahlt haben, nicht nur, dass sie es überhaupt schaffen und die 200 Mindestpunkte erreichen, sondern dass sie wenigstens 500 GMAT-Punkte abräumen. Das ist die Untergrenze für Bewerbungen an den meisten Business Schools. Wer nach Harvard will, sollte auf einen Score-Wert von 730 kommen. Das entspricht dem Medianwert der in Cambridge willkommenen Kandidaten und ist nahe an der erzielbaren Höchstpunktzahl von 800.
Wer jetzt denkt, welcher Erwachsene sich so etwas überhaupt antut, der ahnt, warum immer mehr Business Schools bei Bewerbern für den Executive MBA (EMBA) auf den als schwierig geltenden GMAT verzichten. Für das berufliche Vorankommen bezahlen viele gern einen hohen, steuerlich zudem absetzbaren Preis. Aber in der Freizeit Schulstoff büffeln und sich wochenlang für den Test präparieren zu müssen, ist eine enorm absatzhemmende Hürde. Abgesehen davon, dass Manager im Job tatsächlich anderes zu tun haben, als sich in abstraktem Gehirnjogging beweisen zu müssen. Beide Argumente zählen. Doch erzählt wird nur das eine.
Nichts für gestandene Manager
„Anders als beim MBA, ist der GMAT beim Executive MBA Programm kein adäquates Mittel, um die Qualität der Bewerber festzustellen“, sagt Hannelore Forssbohm, Program Director an der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar. „Die Executives durchlaufen einen spezifischen Auswahlprozess, der nach einer erfolgreichen schriftlichen Bewerbung zwei individuelle Interviews sowie eine Gruppendiskussion umfasst.“
„Wir haben uns gegen einen generellen GMAT entschlossen, weil wir das nicht unbedingt für aussagekräftig halten, ob jemand für das Studium geeignet ist“, erklärt Fabian Berger, kaufmännischer Geschäftsführer für Executive Education an der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg. „Stattdessen führen wir mit jedem Bewerber ein Interview, in dem wir seine beruflichen Voraussetzungen und die Zielvorstellungen erkunden.“
„Beim Part-Time MBA können die Studieninteressenten zwischen dem GMAT und dem HHL Entry Test wählen“, bringt Volker Stößel von der HHL Leipzig Graduate School Abwechslung ins Spiel. Der hausgestrickte Test kombiniert Elemente des GMAT mit praxisorientierten Fallstudien und macht einen Kurztrip nach Leipzig nötig. Trotzdem entscheide sich etwa jeder zweite Bewerber gegen den oft in der Nähe des Wohnortes angebotenen GMAT. „Die Mathe-Elemente bringen nichts für gestandene Manager“, meint Stößel und weiß viele hinter sich: „Ich habe mich mit Teilnehmern unterhalten: Die sagten das auch.“ Nur bei „vergleichsweise jungen“ Bewerbern für die gemeinsam mit der Essec Business School und der Tongji University aufgelegten EMBA-Programme behält sich die Mannheim Business School das Recht vor, das Ablegen des GMAT zu verlangen.
„Oder wenn wir nicht sicher sind, ob die Kandidaten die während eines MBA-Studiums geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse – beispielsweise im mathematischen, logischen und quantitativen Bereich – mitbringen“, sagt Sprecher Ralf Bürkle. Der Umkehrschluss: Bei allen anderen ist der Test entbehrlich.
Auf Sonderregelungen verweist auch die EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. Grundsätzlich sei der GMAT zwar auch für die EMBA-Studenten erforderlich, hebt Sprecher Thorsten Wagner hervor, da die Partnerhochschule Durham University diese Prüfung verlange. „In begrenztem Ausmaß können jedoch Ausnahmen gemacht werden – dies vor allem bei Studenten, die bereits ein Diplom-Studium oder eine Promotion abgeschlossen haben.“ Lies: Wer nur irgendeinen Hochschulabschluss hat, der entgeht der lästigen Pflicht.
Über Jahrzehnte hinweg war der Graduate Management Admission Test weltweit der einzige offizielle Eignungstest, der von MBA-Programmteilnehmern gefordert wurde. Vielfach hängt die Position in den wichtigen Rankings noch heute davon ab, ab wie vielen Punkten ein Bewerber bei einer Schule landen kann. „Mit dem verlangten GMAT-Score kann man bei den Rankings Reputation nach außen signalisieren“, verdeutlicht Hochschulkenner Detlev Kran aus Brühl und beschreibt die Methode: „Wenn ich nur die besten zehn Prozent der Prüflinge nehme, dann haben alle Schulen, die auf weniger Punkten oder gar nicht auf dem GMAT bestehen, ein Begründungsproblem.“
„Anders als beim MBA, ist der GMAT beim Executive MBA Programm kein adäquates Mittel, um die Qualität der Bewerber festzustellen.“
Hannelore Forssbohm, Program Director an der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar
Konkurrenztest GRE
Damit freilich dürfte es über kurz oder lang vorbei sein, denn seit einigen Jahren lassen immer mehr Business Schools, darunter solche von Weltruf wie Wharton, Kellogg, Stanford und Harvard, auch den Konkurrenztest Graduate Record Examination (GRE) zu. Zum Entzücken von Geistes- und Sozialwissenschaftlern fordert dieser Test weniger Algebra und Geometrie und erhöht damit die Grundgesamtheit der Studierfähigen. An weltweit mehr als 1000 Schulen kann man inzwischen mit dem GRE punkten. Entwickelt wurde der Test von dem Non-Profit-Unternehmen Educational Testing Service (ETS) in Princeton. Dahinter stehen amerikanische Business Schools. Deren Bewerberzahlen für MBA- und EMBA-Programme gehen seit 2009 zurück. Das spricht für die Animation weiterer Zielgruppen und ist beim Executive MBA für schulferne Manager auch ein Stück weit berechtigt.
Noch auffälliger bröckelt deshalb die ohnehin schon eingeschränkte GMAT-Pflicht bei den Executive-Programmen. Seitdem sich die französische Kaderschmiede Insead im letzten Herbst davon mit der Begründung verabschiedet hat, viele Manager hätten keine Lust auf den Test und auch keine Zeit für die Vorbereitung, zieht nun eine europäische Schule nach der anderen nach. Die Wirtschaftsuniversität Wien glaubt gestandenen Führungskräften auch ohne Nachweis, dass sie schreiben, rechnen und logisch denken können, ebenso die Handelshochschule in Stockholm und die Cass Business School in London. Steve Cousins, verantwortlicher Manager für das MBA Recruitment, skizziert die neue Zulassungslinie: „Für den EMBA ist der GMAT nicht unbedingt erforderlich. Allerdings machen wir unsere Entscheidung von den vorangegangenen akademischen Leistungen und dem Karriereverlauf abhängig.“ Selbst über ein fehlendes Diplom- oder Bachelor-Zeugnis lässt sich reden. „Wir erwarten einen guten Hochschulabschluss oder entsprechende berufliche Qualifikationen oder wenigsten sechs Jahre relevante Berufserfahrung.“ Unumwunden macht Cousins das Tor ganz weit auf. Und die Briten sind damit längst nicht allein.
Die gelockerten Zulassungsbedingungen gefallen besonders in Deutschland, wo man mit dem einst für College-Studenten vorgesehenen GMAT ohnehin nie so recht warm geworden ist. „Die meisten Fachhochschulen verlangen ihn selbst beim MBA-Vollzeitstudium nicht“, berichtet Detlev Kran. Er kann es zwar nicht beweisen, aber er ist sich ziemlich sicher, dass Führungskräfte mit einem nachgewiesenen Track Record überall auch ohne Test „Made in U.S.“ in einem EMBA-Programm Platz finden.
„Wir haben uns gegen einen generellen GMAT entschlossen, weil wir das nicht unbedingt für aussagekräftig halten, ob jemand für das Studium geeignet ist.“
Fabian Berger, kaufmännischer Geschäftsführer für Executive Education an der Kühne Logistics University (KLU), Hamburg
Schulen entwickeln eigene Tests
Um sorgfältiger aus den Bewerbern auswählen zu können (sagen die Business Schools) oder um es den Studieninteressenten möglichst einfach zu machen (sagen Marktbeobachter), denken sich mehr und mehr Schulen wie die Leipziger eigene Prüfungen aus. So auch die ESMT European School of Management and Technology in Berlin. „Um einen Bewerber anzunehmen, berücksichtigen wir mehrere Kriterien, beispielsweise Dauer und Qualität der Berufserfahrung und Führungsfähigkeit“, gibt Zoltán Antal-Mokos, Dekan für die Degree-Programme, das Branchenmantra wieder. „Als Alternative zu GMAT und GRE haben wir einen eigenen Zulassungstest für das Executive-MBA-Studium eingeführt. Diese Möglichkeit, in Verbindung mit einem persönlichen Auswahlgespräch, bieten wir jedem Bewerber für den EMBA an.“ Der Aufnahmetest dauere zwei Stunden und decke die Bereiche Kommunikationsanalyse, kritisches Denken, Datenanalyse und -interpretation ab. Anschließend werde die im Test enthaltene Fallanalyse diskutiert. „Damit werden nicht nur wissenschaftliche Eignung, sondern auch andere relevante Fähigkeiten und Kompetenzen in einem umfangreichen Zulassungsprozess unter Beweis gestellt.“ Mit anderen Worten: Nichts muss, alles kann. Wie wird sich die Nachfrage entwickeln, wenn die Business Schools ihre Portale noch weiter öffnen? Das wäre mal eine wirklich originelle Testaufgabe.
Autorin
Christine Demmer, freie Journalistin, Värnamo (Schweden)