Der Umbau hat begonnen
War es früher vielfach Desinteresse, kommen heute kritische Fragen zu Rendite und Verwaltungsaufwand hinzu: Die bAV hat im Mittelstand keinen leichten Stand. Statt Entgeltumwandlung von der Stange bevorzugen selbstbewusste Personalmanager zunehmend individuelle Konzepte.
Günther Kohlschmidt, ehemaliger Schweißer einer westfälischen Gießerei, erhält Post von seiner Versicherung. Erfreuliche Nachrichten: „Endlich wird Ihre Betriebsrente fällig.“ Doch die Freude währt nur kurz – weit weniger Geld als erwartet steht ihm zu. Kein Einzelfall, so Sebastian Uckermann, Rentenberater aus Köln, unlängst in einer ARD-Fernsehsendung zur bAV. „Während der Gesetzgeber vor Jahren die Entgeltumwandlung erleichterte und Versicherer ihren Kunden sechs oder sieben Prozent Zinsen versprachen, bleiben heute unter dem Strich nur noch zwei Prozent übrig.“ Im Klartext: Nach Abzug von Steuern und Sozial- und Krankenversicherungskosten, die Betriebsrentner in voller Höhe zahlen, schrumpft das ursprünglich erhoffte Kapital um bis zu 50 Prozent.
Ob sie im Ruhestand finanziell hinreichend abgesichert sind, bewegt immer mehr Menschen. Das Angebot, neben der gesetzlichen mit einer betrieblichen Rente vorsorgen zu können, scheint Vertrauen zu wecken. Tatsächlich ist die Werbeoffensive der Versicherer in deutschen Betrieben von geringem Erfolg gekrönt. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegt der Anteil der Betriebsrentenbezüge am gesamten Rentenaufkommen lediglich bei vier Prozent.
Verwaltungsaufwand schreckt ab
Diese Entwicklung ist auch vielen Personalern ein Dorn im Auge, zumal vom Arbeitgeber mitfinanzierte Renten hier und dort auch als Mittel zur erfolgreichen Anwerbung und Bindung von qualifizierten neuen Mitarbeitern herangezogen werden. Wahr ist auch: Vor allem im Mittelstand wird die bAV mit Samthandschuhen angefasst. Grund: administrativer Ballast – das Letzte, was HR sich aufladen möchte. „Man muss definitiv kontrollieren, dass alles korrekt umgesetzt wird“, beschreibt Kerstin Ledermann, was allein mit der gesetzlich verbrieften Entgeltumwandlung den Verantwortlichen ins Haus steht. Vor allem in der Anfangsphase, aber auch danach, sagt die Personalleiterin der Münchner Arri Group, sei der Verwaltungsaufwand relativ hoch. Zehn Prozent der Arbeitszeit in den Personalabteilungen, wird geschätzt, verschlingt allein die bAV-Verwaltung.
Laut einer Anfang des Jahres durchgeführten Online-Umfrage der Unternehmensberatung Kienbaum, die dabei Angaben von 950 Unternehmen ausgewertet hat, beklagen viele Personaler dieses Manko. Jeder zweite Betrieb muss danach „mittlere bis große Probleme“ bei der bAV-Verwaltung in Kauf nehmen, wie Marcus von Hermanni, Projektmanager der Kienbaum Management Consultants GmbH in München, gegenüber der „Personalwirtschaft“ erläutert. Zwar fielen demnach die Probleme zwischen einzelnen Durchführungswegen unterschiedlich aus. Umgekehrt müssten IT-Systeme stets an die sich ändernde Rechtslage wie zum Beispiel die vom BGH angeordnete Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre angepasst werden. „Ein echter Gau“, sagt der Experte.
Unter diesen Vorzeichen den primär favorisierten Durchführungsweg der Entgeltumwandlung noch ernsthaft praktizieren zu können, stellt Jürgen Seifert in Frage. Von HR-Kollegen hört der Personalleiter der TNT Express GmbH in Troisdorf regelmäßig Klagen über unflexible Systeme. Als wäre dies nicht schlimm genug, verhalten sich viele Versicherer alles andere als kundenfreundlich, wenn nach einer Anfrage sehr viel Zeit bis zur Reaktion verstreicht. „Ich habe den Eindruck“, so Seifert, „dass man sich in Geduld üben muss, weil man kein Großkunde der Versicherung ist.“
Grundsätzlich, bekräftigt Seifert, sei die bAV als zweite Säule der Absicherung im Rentenalter wichtig. Anders herum sei sie in ihrem meist angewandten Versicherungsmodell kaum zukunftstauglich. „Die bAV ist zu teuer für Unternehmen, administrativ kompliziert und bringt den Beschäftigten unter dem Strich zu wenig.“ Versicherungsmathematik, das wissen nicht nur Personaler, ist etwas, womit sich kein Otto Normalbürger auseinandersetzt. Viele, die eine Direktversicherung zur Entgeltumwandlung abschließen, sagt Seifert, „haben meist das Konstrukt nicht verstanden.“
„Wir stocken die Direktversicherung um 20 Prozent des Umwandlungsbetrags auf.“
Kerstin Ledermann, Personalleiterin der Münchner Arri Group
Mit Transparenz und Zuschüssen punkten
Tatsächlich bemühen sich viele Firmen, ihre Beschäftigten vor Abschluss einer Versicherung hinreichend aufzuklären. Um Mitarbeiter vor unliebsamen Überraschungen zu schützen, spielt man auch beim Elektronikspezialisten Weidmüller in Detmold konkrete Beispielrechnungen gemeinsam mit dem Beschäftigten durch, damit er ein „realistisches Bild davon erhält, was am Ende für ihn herausspringt“, wie Personalleiter Jürgen Ober erläutert. Beim Filmausrüster Arri folgt man derselben Strategie. „Gemeinsam mit einem Versicherungsmakler haben wir die Mitarbeiter umfangreich informiert, was auf sie zukommt“, sagt Ledermann. Auch auf die Absenkung des Garantiezinses sowie die Abschaffung der Unisex-Tarife sei rechtzeitig hingewiesen worden.
Die Personalleiterin versäumt nicht zu erwähnen, dass durch Konzentration auf einen Anbieter sich nicht nur die Haftung der Firma übersichtlicher gestalte. Verbessert hätten sich auch die Konditionen für die Mitarbeiter. Könne Arri Sozialversicherungsbeiträge sparen, wenn Mitarbeiter Entgelt unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze umwandeln, würde diese Ersparnis vollständig an den Mitarbeiter weitergegeben. Ledermann: „Wir stocken die Direktversicherung um 20 Prozent des Umwandlungsbetrags auf.“ Mitarbeiter, die mehr verdienen und weiteres Entgelt in die Altersvorsorge abzweigen wollen, haben zusätzlich die Möglichkeit, in eine Pensionskasse bei einem anderen Versicherer einzuzahlen. Wer die Probezeit besteht, kriegt vom Arbeitgeber auch noch vermögenswirksame Leistungen. „Wir glauben, damit ein gutes Paket geschaffen zu haben“, zieht Ledermann Bilanz.
Tatsächlich holt sich hohe Komplexität ins Haus, wer die Betriebsrente mit Versicherern bastelt. Sie entspricht nicht der „heilen Welt in ihrer Werbung“, kritisiert Seifert. Branchenvertreter sehen das anders. Mit jeder Leistungsminderung der gesetzlichen Rentenversicherung, sagt Joachim Rahn, Leiter Firmenkunden und Vorsorge bei der Süddeutschen Krankenversicherung (SDK), werde die bAV immer wichtiger. Schon heute sei die Betriebsrente anderen Vorsorgeformen aufgrund der steuer- und sozialversicherungsfreien Ansparung „deutlich überlegen“. Dass bei Fälligkeit weit höhere Abgaben als von den meisten Rentenbeziehern erwartet fällig werden, verschweigen die Verkäufer in ihren Beratungsgesprächen. Löblich ist deshalb, dass Rahn dies zumindest indirekt bestätigt. Seiner Meinung nach könnte eine Ausweitung des Förderrahmens oder die Befreiung von Sozialversicherungsabgaben im Rentenalter die bAV „noch interessanter“ machen.
Fakt ist auch: Als margenträchtiges Produkt für die Anbieter befindet sich die bAV im Aufwind. Wie aus einem Absatzbarometer von Yougov hervorgeht, verkauft ein Drittel der Makler im Firmenkundengeschäft „häufig“ oder „sehr häufig“ bAV-Anlageprodukte. An vorderster Front: Allianz, Alte Leipziger, Swiss Life und Volkswohl. Weit mehr könnte verkauft werden, beklagen sich die Vermittler, würden sich die Versicherer selbst mehr einbringen. Während die bAV in Großbetrieben laut Informationen der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Alterversorgung (aba) nahezu Standard ist, hat in Kleinstbetrieben nur jeder dritte Mitarbeiter einen Vertrag abgeschlossen. Die meisten Firmen ignorieren die bAV sogar. Lediglich wenn Mitarbeiter sie an ihre gesetzliche Pflicht erinnern, ergreifen sie Initiative.
„Die Entgeltumwandlung in der bAV ist zu teuer für Unternehmen, administrativ kompliziert und bringt den Beschäftigten unter dem Strich zu wenig.“
Jürgen Seifert, Personalleiter der TNT Express GmbH in Troisdorf
Das Beispiel „Aerzener Rente“
Doch so sehr die Branche auch danach trachtet, ihre Absatzlücken zu schließen, werden Anbieter und Makler auch künftig zumindest bei Claudia Beckert auf verlorenem Posten stehen. „Vor sechs Jahren haben wir die Kehrtwende vollzogen“, sagt die Personalleiterin der Aerzener Maschinenfabrik, „und uns von Versicherungslösungen weitgehend verabschiedet.“ Die von Mitarbeitern per Entgeltumwandlung eingebrachten Vorsorgebeiträge blieben „in voller Höhe“ im Unternehmen. Die Kapitalanlage sei vom Pensionssicherungsverein abgesichert.
Beckert beschreibt das System der „Aerzener Rente“ als gleichermaßen einfach wie flexibel. Der Ertrag entstehe ausschließlich aus Laufzeit, Einzahlungsbetrag und dem von Aerzener gewährten Garantiezins in Höhe von derzeit immerhin 4,5 Prozent, was jegliches Angebot von Versicherern klar in den Schatten stellt und was für viele Personaler gewiss paradiesisch anmutet. Verwendet werden könnten sowohl einmalige als auch laufende Beträge sowie alle Entgeltbestandteile. Wie Mitarbeiter Entgelt umwandeln, fällt Beckert zufolge unterschiedlich aus. Würden Beschäftigte aus dem Produktionsbereich dazu tendieren, ihr tariflich gesichertes Urlaubs- und Weihnachtsgeld ganz oder teilweise einzubringen, wandelten Führungskräfte überwiegend variable Vergütungsbestandteile um. Fachkräfte und Ingenieure favorisierten ihrerseits die regelmäßige Umwandlung von Monatsbezügen.
Laut Beckert beteiligen sich drei von vier Mitarbeitern an dem Altersvorsorgemodell. „Auch viele Ältere sind schnell auf den Zug aufgesprungen, offensichtlich weil sie gut rechnen können“, hebt die Personalleiterin hervor. Überzeugungsarbeit steht hingegen noch bei jüngeren Beschäftigten an, die sich wegen ihrer individuellen Bedürfnissituation in der Familienplanung „finanziell nach der Decke strecken müssen“. Auf regelmäßig veranstalteten Beratungstagen wenden sich die Verantwortlichen deshalb verstärkt dieser Gruppe zu, die sich traditionell ungern mit dem Thema Altersvorsorge und Rente befasst.
Überhaupt sind die Betriebsrentner von Aerzener stets auf dem Laufenden, wie sich das angesparte Rentenguthaben entwickelt – laut Firmenangaben „ausgesprochen positiv“. Das überzeugt: „Was heute Sparern von Banken zugemutet wird“, ärgert sich Beckert, sei doch „als schleichende Enteignung nicht mehr hinnehmbar“. Auch Lebensversicherungen, die meist als Grundlage der Entgeltumwandlung dienen, bürden ihren Kunden schmale Renditen auf. Ab 2015 fällt der Garantiezins von 1,75 auf 1,25 Prozent, wie die Große Koalition soeben beschloss. Als Altersvorsorgeprodukt büßen Direktversicherungen weiter an Attraktivität ein.
„Jede Altersvorsorge ist besser als keine Altersvorsorge.“
Jürgen Ober, Personalleiter bei Weidmüller in Detmold
Neues Konzept bei TNT
Als hätte man dies geahnt, entschied sich auch TNT vor knapp zehn Jahren, sich von einem Versicherungsmodell zu lösen. Ersetzt wurde der zuvor praktizierte Durchführungsweg der Unterstützungskasse durch ein Fondsanlagekonzept, das laut Seifert „weit höhere Renditen“ erwirtschaftet. Garantiert wird bei der arbeitgeberfinanzierten Altersversorgung ein Zins von 2,5 Prozent. Dank der seit Jahren gut laufenden Kursentwicklung an den Börsen heimsen die Beschäftigten zusätzlich Geld ein.
Schon denkt Seifert über eine Weiterentwicklung des erfolgreichen Konzepts nach. Geplant ist, dass Mitarbeiter anteilig auch Boni investieren, so wie es Aerzener bereits praktiziert. Bei positivem Geschäftsverlauf erhält jeder Mitarbeiter von TNT einen Jahresbonus. „So könnten auch Geringverdiener profitieren, die für die Entgeltumwandlung kaum etwas abzweigen können“, so Seifert. Mit Einwänden des Betriebsrats rechnet der Personaler nicht. Auch Beckert befindet sich in Gesprächen mit den Arbeitnehmervertretern. Ergänzen will sie die „Aerzener Rente“ durch das Angebot an Beschäftigte, auch Zeitguthaben zu investieren.
Mit Nachdruck betont die Personalleiterin, warum es sich lohnt, das Geld im eigenen Hause zu halten und es nicht Versicherern zu überantworten: Der Kapitalzufluss diene einerseits der Innenfinanzierung und damit der Liquidität sowie der Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs. Er stärke auch die Personalpolitik, trete das Unternehmen doch als „attraktiver Arbeitgeber“ in Erscheinung, „der sich für das langfristige Wohl und eine bessere Altersabsicherung seiner Mitarbeiter engagiert“. Daran sei Aerzener im Jahre des 150-jährigen Bestehens ganz besonders gelegen. Für Versicherer ist es eine herbe Niederlage, wenn sich Kunden von ihnen verabschieden oder alternative Kapitalanlagen favorisieren. Daher warnen sie wie Rahn von der SDK vor Gefahren. Beachtet werden sollte nicht allein, dass die Absicherung biometrischer Risiken nur über eine Versicherungslösung adäquat dargestellt werden könne. Auch beim Ausscheiden von Arbeitnehmern oder hinsichtlich der Insolvenzsicherung seien Versicherungsalternativen von Nachteil. „Die betriebliche Altersvorsorge“, lautet Obers Fazit, „lässt sich heute nicht mehr über einen Kamm scheren.“ Wichtig sei, im „Dschungel der Möglichkeiten“ den richtigen Anbieter für die jeweiligen Lebenspläne der Mitarbeiter auszuwählen. Ob an der Seite eines Versicherers oder ohne ihn: „Jede Altersvorsorge ist besser als keine Altersvorsorge.“ Wer würde dem Weidmüller-Personalchef schon widersprechen?
„Vor sechs Jahren haben wir die Kehrtwende vollzogen und uns von Versicherungslösungen weitgehend verabschiedet.“
Claudia Beckert, Personalleiterin der Aerzener Maschinenfabrik
Autor
Winfried Gertz, freier Journalist, München