Die Zweifel wachsen
Nur wenige Unternehmen sind von ihren Zielvereinbarungssystemen überzeugt, wie eine Studie zeigt. Befindet sich das gängige Performance Management am Scheideweg?
Ambivalent. So kann man vorsichtig ausgedrückt die Lage des Performance Management in den Unternehmen konstatieren. Während mittelständische Unternehmen freudig von der endlich erfolgreich bewältigten Einführung von strukturierten Mitarbeitergesprächen als dem zentralen Personalprozess für ein integriertes HR Management berichten, mühen sich Konzerne mit den x-ten Anpassungen des Prozesses und adäquater Abbildung in IT-Systemen. Viele Personaler in den Unternehmen lassen neben dem reinen „Was“ inzwischen verstärkt auch das „Wie“ der Zielerreichung messen und bewerten. Business-Manager beklagen barocke Formulare und die in keinem Verhältnis stehende Aufwand-Nutzen-Relation. Mitarbeiter beschweren sich über die administrativen und in ihren Augen teilweise demotivierenden, wenig erwachsenen „Pseudo-Prozesse“. Wissenschaftler und manche Berater stellen unterdessen einen pauschalen Nutzen von leistungsinduzierten, individuellen variablen Vergütungsbestandteilen in Frage. Semi-öffentlich bezeichnet schon so mancher Personaler Performance Management als „most hated process in HR“. Genug Ambivalenz also, um sich die aktuelle Praxis einmal systematisch anzusehen. Wie kann es sein, dass die eigentlich vergleichsweise simple, eingängige Logik und der lange als robuster Standard für moderne Führung geltende Mechanismus des MbO (Management by Objectives) in Frage steht?
Zwei Antworten
Es lassen sich zwei Antworten geben. Die erste stellt darauf ab, dass der Grundgedanke organisational auf das Individuum vermittelter, kaskadierter und incentivierter Ziele richtig ist. Unzufriedenheit und Probleme entstehen in erster Linie als Resultat aus nicht sauber ausgearbeitetem Prozessdesign, unzureichenden Instrumenten oder einer schlecht gemachten Implementierung. Eine zweite Antwort unterstellt, dass schon der Grundgedanke falsch ist und deshalb auch noch so gut gemachte und umgesetzte Konzepte letztlich scheiterten müssen. Diese Position ist derzeit noch vergleichsweise exklusiv. Nach vorsichtigen Schätzungen dürfte ein Performance Management-System der ersten Art in über 80 Prozent der Unternehmen eingeführt sein. Datengetriebene Erkenntnisse zum Stand der Dinge in Sachen Performance Management liefert eine internationale Mercer Studie mit mehr als 1000 teilnehmenden Unternehmen.
Weltweit nahezu gleicher Standard
Erwartungsgemäß ist die Konzeption des Performance Management über die Branchen und Regionen hinweg vergleichsweise homogen. Fast neunzig Prozent der Unternehmen verknüpfen Performance mit Vergütung. An erster Stelle steht die Anpassung des Grundgehaltes auf Basis der Leistungsbeurteilung. Auf den Plätzen folgt die Bestimmung des individuellen kurz- und langfristigen Bonus. Team-Boni sind nur in 18 Prozent der Unternehmen vorhanden. In rund 90 Prozent der Unternehmen wird eine Rating-Skala genutzt, wobei die Fünfer-Skala mit 57 Prozent am häufigsten eingesetzt wird. In 95 Prozent der Unternehmen werden individuelle Ziele festgelegt. Viele Unternehmen integrieren Erwartungen an das „Wie“, also Erwartungen an Kompetenzen, in den Performance Management-Prozess (85 Prozent). Standard ist inzwischen das „Self Assessment“, etwas mehr als 80 Prozent fordern die Selbsteinschätzung der Leistung durch die Mitarbeiter.
Man könnte meinen, hier seien Unterschiede völlig eingeebnet und die Welt im Friedmann'schen Sinne durch Globalisierungseffekte bereits „flat“. Doch zeigen sich in der Praxis vor allem im länderabhängig unterschiedlich reglementierten Umgang mit „Low Performern“ Unterschiede. 34 Prozent der Unternehmen haben hier variierende, länderspezifische Vorgehensweisen.
Unzufriedenheit mit der Leistungsfähigkeit der Leistungsbewertung
Mit Blick auf den von Unternehmen formulierten Anspruch an Performance Management-Systeme – 43 Prozent sehen den höheren Leistungsgrad der Mitarbeiter als das wichtigste Ziel – sind die Ergebnisse trotz der weltweit recht einheitlichen Ansätze ernüchternd. Fast die Hälfte der Unternehmen (48 Prozent) meint, der eigene Performance Management-Prozess müsse überarbeitet werden. Dazu passt, dass in 42 Prozent der Unternehmen die Kopplung der Leistungsbeurteilung mit Vergütungsfragen nicht gut funktioniert. Am aufschlussreichsten ist freilich dies: Gerade mal drei von hundert Unternehmen sagen, ihr Performance Management-System liefere einen echten Wertbeitrag, kann also zur Leistungssteigerung bei Mitarbeitern beitragen. Auch die Integration mit weiteren HR-Folgeprozessen klappt nicht wie konzeptionell geplant und erhofft. Dass die Verknüpfung mit Entwicklungs- und Karriereprozessen verbessert werden muss, sagen sechs von zehn Unternehmen. Als logische Konsequenz folgt, dass auch ein weiteres Ziel von Performance Management – das Mitarbeiterengagement – verfehlt wird.
Was sind nun die Gründe für die Schwierigkeiten? Einerseits erschweren die sich kontinuierlich veränderten Prioritäten und Zielsetzungen im Unternehmen die effektive Umsetzung der Pay for Performance-Konzepte. An zweiter Stelle wird die schwer verlässlich zu messende Leistung von Individuen oder Teams genannt. Bei genauer Betrachtung fehlt damit eigentlich bereits die Grundlage für funktionierende Performance Management und Pay for Performance-Logiken.
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Erfolg des Performance Management

Die Befragungsergebnisse dokumentieren eine hohe Unzufriedenheit der Unternehmen mit dem praktizierten Performance Management. Nur drei Prozent glauben, dass mit dem System die gewünschten Ziele erreicht werden.
Wenn schon falsch, dann richtig
Unsere Analyse der Antworten deutet darauf hin, dass erfolgreiches Performance Management in dem hier skizzierten Design vor allem durch gut geschulte und fähige Führungskräfte zu erreichen ist. Dazu gehört das handwerklich richtige Setzen und Evaluieren von Zielen genauso wie vernünftige und ehrliche Feedbackgespräche mit Mitarbeitern. Immerhin jeder dritte Befragte glaubt, dass allein in der Qualität der Gespräche der größte Erfolgsfaktor für Performance Management liegt. Vor Realisierung dieser Faktoren sollten Personaler für sich zwei Prüfsteine betrachten. Erstens: Wird hier – zu Unrecht – die Verantwortung für das Gelingen von Personalprozessen an die Führungskraft delegiert? Zweitens: Rückt mit Blick auf die Studienergebnisse und Präferenzen der Personaler nicht die eigentliche Frage in den Hintergrund: Sind die oben skizzierten Performance Management-Systeme bei uns im Unternehmen vielleicht gar nicht in der Lage, das einzulösen, was man sich von ihnen verspricht (Leistungssteigerung im Bereich Innovation sowie Bindung von Leistungsträgern)?
Zart blühende oder schon echte Alternativen?
Was wäre, so müsste man weiterfragen, wenn Grundannahmen (Ziele müssen jährlich vorgegeben werden), Mechanismen („mehr Leistung durch mehr Geld“) und Praxis (zwei Mal im Jahr Mitarbeitergespräche führen) für das eigene Unternehmen nicht (mehr) gelten oder ausreichen? Hierzulande gibt es ja inzwischen das ein oder andere teilweise auch prominent vertretene Beispiel, der Standardpraxis den Rücken zu kehren. Grundlegend ist für derlei Veränderungen ein anderes Menschenbild, eine Kultur des Vertrauens, der Unterstützung und des offenen, kontinuierlichen Dialogs. Man geht davon aus, dass Mitarbeiter von sich aus motiviert sind und das Richtige tun wollen. Man setzt weniger auf formale, incentivierte Zielvereinbarungen denn auf attraktives Grundgehalt sowie das Wegräumen von demotivierendem Führungsverhalten und leistungsverhindernden Barrieren. Sicher, keine für die Mehrheit der Unternehmen und Kulturen passende oder gar ad hoc realisierbare Praxis. Dennoch eine lohnenswerte Reflexion, bevor man den bestehenden Prozess durch neue Formulare, eine veränderte Skala, Employee Self Service und Führungstrainings zur smarten Zielsetzung „optimiert“.
Autor
Dieter Kern, Partner, Head Leadership & Organizational Performance Practice, Mercer Central Europe, München,
dieter.kern@mercer.com