Es wird Zeit, Farbe zu bekennen

Das Thema ist volljährig, aber den Kinderschuhen in vielen Unternehmen immer noch nicht entwachsen. Beim Round Table Employer Branding diskutierten Experten über Authentizität, mangelnden Rückhalt in der Führungsetage – und sogenannte Chef-Projekte. Sie waren sich einig: Um schnell und zielgruppengerecht kommunizieren zu können, muss man wissen, was man zu sagen hat.
Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann. Es war Ende der 1970er-Jahre, als Johanna von Koczian diese Zeile sang. Damals war die Welt noch übersichtlich: Der Hausherr ging zur Arbeit, die oftmals eine war, der er bis zur Rente treu blieb. Die Jobsicherheit stand hoch im Kurs, zur Selbstverwirklichung und zum Lachen ging es in den Hobbykeller.
Nicht nur das angestaubte Rollenbild, das der Schlager aufs Korn nimmt, hat sich seitdem stark gewandelt. Persönliche Motive spielen immer häufiger in die Arbeitssuche und die Gestaltung der beruflichen Tätigkeiten mit ein, moderne Kommunikationsmittel lassen die Grenzen zwischen Job und Privatleben verschwimmen. In vielen Fällen sogar gewollt, auch das gehört zur individuellen Freiheit, die sich Beschäftigte heute nehmen und für selbstverständlich erachten. Digitale Transformation, demografische Entwicklung – klar, das sind Trends, die Personalverantwortliche mittlerweile im Schlaf aufsagen können. Aber wie halten es Arbeitgeber denn in ihrem Haushalt? Genügt es, ab und zu mal den Staub wegzupusten, damit die Oberflächen wieder schön glänzen? Und die Mitarbeiter zufrieden sind? Sie erzählen dann doch bestimmt weiter, wie erstrebenswert es ist, in einer solch gut geführten Organisation zu arbeiten. Die Bewerber müssten Schlange stehen.
Klare Linien ziehen
Die Realität ist sehr viel komplexer. Grund genug für den Personalwirtschaft Round Table „Employer Branding“ zum Thema gute Arbeitgeber und perfekte Kampagnen hinter die Fassade, unter die Schränke und in die Schubladen zu schauen. Schon bei deren Beschriftung fangen die Missverständnisse an, wie Jan Kirchner, Geschäftsführer der Digitalagentur für Personalmarketing Wollmilchsau, hervorhebt: „Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting – das sind sehr unterschiedliche Phasen im Gesamtprozess.“ Sie trennscharf abzugrenzen ist wichtig, fällt aber vielen schwer. Obwohl der Begriff Employer Branding auf einen Fachartikel zurückgeht, der vor nunmehr 20 Jahren erschienen ist, versteht darunter jeder etwas anderes.
Ein Grund, warum Oliver Mattern, Geschäftsführer der Gesellschaft für Begegnungsqualität menschmark, dieser Diskussion beim Kunden mittlerweile lieber aus dem Weg geht: „Die Deutungshoheit für sein Problem hat der Klient. Macht es Sinn, mit ihm zu diskutieren, was eigentlich Employer Branding ist oder nicht?“ Wohl kaum! Wesentlich sinnvoller als akademisches Abwägen sei es, den Kunden konkrete Lösungswege anzubieten. Vor allem solche, die relativ schnell umsetzbar sind.
Macht es doch, sagt Gero Hesse, Geschäftsführer der Employer Branding-, Personalmarketing- und Recruiting-Agentur Territory Embrace. „Die meisten Kunden, die von Employer Branding reden, meinen Personalmarketing.“ Den Brand zum Leben zu bringen, das ist strategische Markenarbeit. Aber die Arbeit fange vorher an, mit dem Schaffen einer Ausgangsbasis: mit Mitarbeitern sprechen, ein Gefühl für die Organisation entwickeln. „Sinn und Zweck von Employer Branding ist Recruiting und Retention. In Zeiten des demografischen Wandels und der Digitalisierung geht es darum, klare Linien zu ziehen, und dabei auch die vorhandenen Mitarbeiter mitzunehmen.“ Kurz: Employer Branding ist die Strategie, Personalmarketing die Umsetzung – die Karriere-Webseite, der Facebook-Auftritt. Zusammen mit der Personalbeschaffung, dem Recruiting, und der Mitarbeiterbindung, der Retention, entsteht eine Prozesskette, in der ein Teil ohne die anderen nicht funktionieren kann.
Etwas ganz anderes also als das, was Bernd Kraft, Geschäftsführer von Personalwerk, oftmals in seiner täglichen Arbeit erlebt: Chef-Projekte. „Der Pragmatismus ist in manchen Unternehmen sehr hoch. Da wird irgendetwas gemacht, um irgendjemandem innerhalb des Unternehmens einen Nachweis an Aktivität zu liefern. Das ist wenig zielführend.“ Am Ende kämen bunte Bildchen heraus, die niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Damit aber effektive und nachhaltige Konzepte herauskommen, empfehle er in solchen Fällen zwar pragmatisch zu sein, aber doch etwas genauer hinzuschauen.
„Wahre Schönheit kommt von innen“, ergänzt Sabine Vockrodt, Leiterin Stellenmarkt & Rubriken bei W&V. Employer Branding ist, diese auszuformen, zum Strahlen zu bringen. Der Markenkern also, die Markenbildung.
Und wie funktioniert das? Sicherlich kaum, indem sie von oben oktroyiert wird. „Es geht im internen Branding nicht darum, irgendwelche Leitlinien vorzugeben. Sie müssen sie umsetzen und vorleben, sonst haben Sie ein Problem. Das ist in vielen Unternehmen der größte Schmerzpunkt,“ sagt Frank Hensgens, Geschäftsführer der Jobbörse Indeed. Dazu zähle, den Mitarbeitern wirklich zuzuhören, und danach zu fragen, wie man die Arbeit für sie interessant gestalten kann. Etwas anderes bleibe Arbeitgebern in Zeiten von Online-Bewertungen ohnehin nicht übrig.

Cliff Lehnen, stellvertretender Chefredakteur der Personalwirtschaft, moderierte den Round Table.
![]() | „Erfolgreiches Employer Branding braucht ein klares, spezifisches und erreichbares Ziel. Eine Evaluation ist ebenso wichtig – und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ.“ Maik Grothe, WESTPRESS GmbH & Co. KG |
![]() | „Es geht im internen Branding nicht darum, irgendwelche Leitlinien vorzugeben. Sie müssen sie umsetzen und vorleben, sonst haben Sie ein Problem. Das ist in vielen Unternehmen der größte Schmerzpunkt.“ Frank Hensgens, Indeed Deutschland GmbH |
Mit gutem Beispiel voran
„Letztlich ist das Organisationsentwicklung. Zu dem Prozess gehören unter anderem auch die Führungskräfteentwicklung und die Befähigung, Kulturveränderungen zu analysieren und sie umzusetzen“, findet Maik Grothe, Berater Employer Branding bei Westpress. Hinzu kommt die Kommunikation nach außen. Unternehmen müssten sich beispielsweise überlegen, wie sie überhaupt Möglichkeiten bieten können, damit sich Schüler über sie informieren können. Es nützt also nichts, ein guter Arbeitgeber zu sein, wenn es niemand erfährt. Die Herausforderung liegt darin, dass sich die Kommunikation drastisch verändert hat, stellt Hesse heraus: „Sie ist in den letzten zehn Jahren individueller, schneller, transparenter geworden. Um in diesem Wirrwarr noch wahrgenommen zu werden, müssen Arbeitgeber eine authentische Geschichte erzählen, am besten multikanalfähig und individualisierbar.“
Die Mitarbeiter spielen dabei eine große Rolle. Sie sind das höchste Gut, das ein Unternehmen hat. Sie werden aber noch zu oft vergessen, hat Wolf gang Weber, Geschäftsführer der Königsteiner Agentur, beobachtet. In dem Schmerz etwa, dringend Lehrstellen besetzen zu müssen, neigten sie dazu, viel Budget in kurzfristige Maßnahmen zu stecken. Das vorhandene Personal aber könne als Markenbotschafter bereits sehr viel Gutes ausrichten: „Mitarbeiter und Geschäftsführung wissen, was ihr Unternehmen gut macht – oder besser im Vergleich zum Wettbewerb. Aber sie vergessen, die Geschichten zu erzählen, weil sie sich dessen oft nicht bewusst sind.“ Daher müsse man diese institutionalisieren und immer wieder in die Köpfe bringen.
Auch Hensgens glaubt, dass zufriedene Mitarbeiter „eine der besten Quellen für das Recruiting sind“. Es sei aber sehr viel Arbeit, um an diesen Punkt zu kommen. Das neue Berufsbild des Feelgood-Managers ist da nur ein Beispiel: In immer mehr Betrieben gibt es Menschen, die sich nur darum kümmern, den Mitarbeitern das Leben angenehm zu machen. „Das spricht sich rum, und das kommt auch in Deutschland“, ist er sich sicher. Und es könnte eine Möglichkeit sein, Top-Fachleute zu rekrutieren, ergänzt Mattern. Deren Aufmerksamkeit gewinne man nicht, indem man große Werbespots schalte. „Da muss es zu einer persönlichen Begegnung kommen, entweder mit dem Arbeitgeber, oder mit einem Multiplikator, dem Mitarbeiter.“ Nur jemand, der einem wohlgesonnen ist, wird ernst genommen, wenn er eine Empfehlung ausspricht. Wenn man diesen Effekt systematisch nutze, könne bis zur Hälfte des Personals über diesen Weg gewonnen werden. Zumal die Identifikation der Belegschaft mit ihrem Arbeitgeber seiner eigenen Erfahrung zufolge meist hoch ist. Diese Kultur gezielt aufzunehmen und zu den Mitarbeitenden zurückzuspielen, das passiere allerdings noch zu wenig in den Unternehmen.
Womit die Vorgesetzten direkt angesprochen sind. „Es wurde viel darüber geforscht, was Führung bedeutet, was sie ausmacht. Aber die wenigsten akzeptieren, dass Führungskräfte führen müssen. Führung ist aufwendig, sie braucht Zeit und Entscheidungsspielräume“, betont Grothe. Vielleicht haben sich manche von ihnen zu lange mit dem Status quo abgefunden. In einem Gespräch habe er das Wort „change“ ausgesprochen – und in entsetzte Gesichter geblickt. Er sage heute immer noch dasselbe, sei aber in der Kommunikation in solchen Momenten behutsamer, erzählt er lächelnd.
Das Management spielt eine Schlüsselrolle in dem Prozess, da sind sich alle am Runden Tisch einig. Sie müssen dahinterstehen, es umsetzen und vorleben. „Meistens scheitert es schon ganz am Anfang. Da wird eine Befragung losgeschoben, aber es ist überhaupt keine Bereitschaft da, etwas zu ändern“, weiß Kraft. Zudem versickere sehr viel von dem, was fundamental wichtig wäre, in der Organisationsstruktur.
Ein Grund, warum Kirchner den Blick gern auf die internen Informations- und Kommunikationskanäle lenkt: „Viele Unternehmen wollen gar keinen Dialog mit ihren Mitarbeitern führen. Dort fehlen die entsprechenden Kommunikationsstrukturen, und oft interessiert es auch niemanden.“ Bei der externen Kommunikation sieht es allerdings oftmals nicht viel besser aus: „Mir fehlt bei fast allen Kampagnen, dass die Ecken und Kanten mitkommuniziert werden. Selbst, wenn diese analysiert wurden, dann kriegt das Schwein am Ende trotzdem Lippenstift.“
Vorstand, Personalabteilung, Kommunikation und Marketing, sie alle gehören beim Employer Branding mit an Bord, resümiert Vockrodt: „Wenn ich sie nicht im Boot habe, dann ist das Projekt zum Scheitern verurteilt.“ Schade um die Energie sei das.
![]() | „Im Web ist heute alles messbar. Die Bedeutung von KPIs wird in den nächsten Jahren drastisch nach oben gehen. Viele Personaler werden sich daran gewöhnen müssen, mit diesen Kennzahlen zu arbeiten.“ Gero Hesse, Territory Embrace |
Das oft vergessene R-Wort
Sind die Segel also gesetzt, geht es hinaus in die weite Welt. Eine gelingende Kampagne zu entwerfen, sollte man aber keinem Leichtmatrosen überlassen – das kann schnell zu Schiffbruch führen. Unvergessen, und im Netzzeitalter ist das wörtlich zu verstehen, ist das Webvideo, mit dem ein großer deutscher Automobilhersteller um Auszubildende werben wollte. Die rappenden Praktikanten haben es zu trauriger Berühmtheit geschafft, über das Unternehmen wurde gesprochen – aber nicht so, wie sich das die Auftraggeber gewünscht hatten.
„Dreh- und Angelpunkt für eine gelingende Kampagne ist eine gut gemachte Karriere-Webseite. Sie muss authentisch und emotional sein. Dafür braucht es Budget und Ressourcen“, findet Vockrodt. Da ist es wieder, das böse R-Wort. Ihrer Erfahrung nach werden sie in den meisten Fällen vernachlässigt, wenn nicht sogar vergessen. Was die Authentizität betrifft, bedient sie sich in ihren Employer Branding-Workshops eines einfachen Tests. Es werden kommentarlos Stellenanzeigen auf den Tisch gelegt, und dann soll entschieden werden, ob tatsächlich Mitarbeiter aus dem eigenen Unternehmen oder Agenturfotos zu sehen sind.
„Konsistenz finde ich auch sehr wichtig“, ergänzt Kraft. Vier Wochen verstreichen lassen, bevor der Bewerber ein Feedback erhält – das gehört beispielsweise nicht dazu. „Heute hat man maximal zwei Wochen, dann ist der Kandidat weg.“ Es müssten also zuerst einmal die Hausaufgaben erledigt und die Voraussetzungen geschaffen werden, den gesamten Prozess konsistent abzubilden und zu messen. Die Menschen im Unternehmen, die wichtige Entscheidungen zu treffen haben, müssten sich zudem bewusst sein, dass genau das mittlerweile möglich ist.
Wie das geht, dazu hat Kirchner einiges zu sagen. Karriereseiten gibt es schon sehr lange, aber seiner Meinung nach entwickeln sie sich immer stärker zum Hub, zu einem wichtigen Knotenpunkt. Wer davon noch wenig mitbekommen hat, sind – die Personaler: „HR-ler bringen teilweise bis zu 70 Prozent der Menschen auf die Internetseite. Sie sind online ein wichtiger Stakeholder, aber diese Rolle haben sie noch nicht angenommen.“ Ein weiteres großes Problem sieht er darin, dass Unternehmen im Regelfall 80 Prozent ihrer Arbeitnehmerkontakte auf externen Plattformen verwalten. Die meisten Kandidaten bewerben sich direkt von dort, werden an der Karriereseite und der Employer Brand vorbeigeroutet – „und dann wundern sich die Betriebe hinterher, dass der cultural fit nicht passt“. Integrierte HR-Systeme könnten hier Abhilfe schaffen, um von Satellitenkanälen wie etwa einer Jobbörse bis zur Bewerbung durchmessen zu können.
![]() | „Viele Unternehmen wollen gar keinen Dialog mit ihren Mitarbeitern führen. Dort fehlen die entsprechenden Kommunikationsstrukturen, und oft interessiert es auch niemanden.“ Jan Kirchner, Wollmilchsau GmbH |
![]() | „Der Social-Media-Hype ist keiner mehr, weil wir von der Quantität zur Qualität übergegangen sind. Social Media ist mittlerweile einfach ein etablierter Kanal.“ Bernd Kraft, Personalwerk GmbH |
Zahlen, bitte!
Aber was sollen sie messen? Leistungskennzahlen, Key Performance Indicators (KPIs) natürlich. Glaubt man den Experten, ist das für Personaler aber doch (noch) nicht so natürlich. Vor zehn Jahren habe sich noch keiner von ihnen für KPIs interessiert, weil der Arbeitsmarkt ein Arbeitgebermarkt war, verdeutlicht Hesse. In manchen Bereichen sei das sogar heutzutage noch so. Das wird sich aber ändern: „Im Web ist heute alles messbar. Die Bedeutung von KPIs wird in den nächsten Jahren drastisch nach oben gehen. Viele Personaler werden sich daran gewöhnen müssen, mit diesen Kennzahlen zu arbeiten.“
Messbarer – und transparenter werden die Prozesse, ergänzt Hensgens. Ob Personalabteilung, Arzt, Schule oder Lehrer, niemand könne sich mehr verstecken. Apropos Schüler und Lehrer: Hier hat der Indeed-Geschäftsführer großes Optimierungspotenzial identifiziert. Die Frage sei, was Azubis in der Schule bezüglich ihres späteren Berufswegs beigebracht werde. Und dafür seien Lehrer verantwortlich, die in den letzten zehn Jahren „nichts mehr mitbekommen haben“ – und ihren Schützlingen dann etwas vom Pferd, respektive Print-Bewerbungen und richtigen Anschreiben erzählen wollen.
Das Thema KPIs wird weiter zunehmen, ist auch Weber überzeugt: „Eine Auswertbarkeit von Personalmarketing-Maßnahmen wird in ein paar Jahren basic sein. Da reicht ein kurzer Blick zu den klassischen Werbeagenturen.“ „Entdecke die Möglichkeiten“, hieß es einmal in der Werbung eines skandinavischen Möbelhauses. Sie sind vielfältig, können hilfreich sein und teilweise werden die Daten sogar schon erhoben. Aber was man damit anfangen kann, das ist vielen bis heute unklar geblieben. „Anzahl Bewerbungen, Dauer und Kosten der Rekrutierung, Erfolgsmessung der eingesetzten Rekrutierungskanäle und, und, und: Aktuelle Bewerbermanagementsoftware bietet bereits eine Vielzahl an solchen Funktionen“, weiß Weber. „Allerdings bedarf es auch Personal, um die Daten auszuwerten und Handlungsempfehlungen auszusprechen. Und daran krankt es im Moment noch.“ Die Auswahl passender KPIs kann nicht funktionieren, wenn nicht schon zuvor Arbeit investiert wurde, unterstreicht Grothe: „Es klingt simpel, aber: Erfolgreiches Employer Branding braucht ein klares, spezifisches und erreichbares Ziel. Eine Evaluation ist ebenso wichtig – und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ.“ Das sei immer noch keine Selbstverständlichkeit, vor allem bei Themen wie beispielsweise dem aktiven Off-Boarding von Mitarbeitern, die das Unternehmen verlassen.
Welche Angestellten zu welchem Zeitpunkt kommen oder gehen – solche Fragen hält auch Mattern für wichtig. Vor allem kleinere Unternehmen und Mittelständler haben jedoch oftmals das Problem, gar nicht zu wissen, wo sie anfangen sollen. Ihnen fehlen nicht selten sogar valide Angaben über ihre Ausgangsposition. Versuch und Irrtum sei hier angesagt: „Schaffen Sie sich eine Datengrundlage! Wenn ich nicht weiß, wie viel Aufwand ich betrieben habe, um wie viele Bewerber anzusprechen, agiere ich im luftleeren Raum.“ Jedes Unternehmen müsse ein individuelles Schema finden, eine Basis für einen Vergleich. Mit der Zeit kristallisierten sich dann die Zahlen heraus, die aussagekräftig sind. Er weiß auch: Selbst das kann die Ressourcen eines kleinen Mittelständlers bereits übersteigen.
Eine Alternative, auf die sich alle Round Table-Teilnehmer einigen können, ist die Inanspruchnahme einer Agentur, die weiß, was sie macht, weil sie sich tagtäglich damit beschäftigt. Warum sollte man einen Fehler, den andere bereits begangen haben, wiederholen? Zudem verfügten die Experten meist über vielfältige Erfahrungen und Zahlenmaterial, das sich für Vergleiche eignet.
Hesse empfiehlt, sich bei der Auswahl auf einen Partner zu fokussieren, der das Unternehmen dauerhaft strategisch begleitet. Das Themenfeld sei zu komplex dafür, sich mit „27 Kleinst-Spezialagenturen“ zu beschäftigen. Die ganzheitliche Strategie, der rote Faden sei wichtig. Und noch einen guten Tipp hat er für Personaler parat: „Verschwendet eure Zeit nicht mit überdimensionierten Pitch-Prozessen.“ Zwei, drei Agenturen sollten in die engere Auswahl kommen, und wenn die Chemie passt, wird die Entscheidung getroffen. Dieses Vorgehen sei erfolgversprechender und wesentlich günstiger.
HR hat es nicht leicht, so viel steht fest. Das weiß auch Hensgens: „Die Arbeit in einer Personalabteilung ist wesentlich vielfältiger geworden. Man braucht dort Fachkompetenzen, die es in diesem Bereich früher nicht gab, weil der Aufgabenbereich heute viel komplexer ist.“ Trotzdem: die Fluktuationsrate mit einem Benchmark, dem Vergleich zu den Werten anderer Mitbewerber in der Branche beispielsweise, hält er für eine geeignete Kennzahlen-Größe, die viel über das Unternehmen verrät und leicht erhoben werden kann.
![]() | „Schaffen Sie sich eine Datengrundlage! Wenn ich nicht weiß, wie viel Aufwand ich betrieben habe, um wie viele Bewerber anzusprechen, agiere ich im luftleeren Raum.“ Oliver Mattern, menschmark GmbH & Co. KG |
![]() | „Dreh- und Angelpunkt für eine gelingende Kampagne ist eine gut gemachte Karriere-Webseite. Sie muss authentisch und emotional sein. Dafür braucht es Budget und Ressourcen.“ Sabine Vockrodt, Verlag Werben & Verkaufen GmbH |
Digital ist besser?
Nichts ist beständiger als der Wandel. Personalabteilungen agieren in einem Umfeld, das von immer mehr Unwägbarkeiten und Veränderungen geprägt ist. Round Table-Moderator Cliff Lehnen von der Personalwirtschaft bat die am Tisch versammelten Experten daher, einige Signallichter zu setzen und ihre Einschätzung zu kommenden Trends und Themen abzugeben.
Social Media zumindest hat diesen Status längst verloren, waren sie sich einig. „Der Hype ist keiner mehr, weil wir von der Quantität zur Qualität übergegangen sind. Social Media ist mittlerweile einfach ein etablierter Kanal“, fasst Kraft zusammen. „Es wird nicht mehr als das große Heilsversprechen wahrgenommen, sondern ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, das sieht auch Weber so. Die Zeiten, in denen man meinte, mit einem Facebook-Auftritt alle Herausforderungen im HR-Bereich lösen zu können, seien vorbei: „Gott sei Dank.“ Viel spannender findet Kraft zurzeit die Frage, ob es einen Roboter geben könnte, der sich der Lebensläufe der Bewerber annimmt, damit sich die HR-Abteilung um die wirklich wichtigen Dinge im Unternehmen kümmern könnte. Die Vision geht weit über das heute schon verbreitete CV-Parsing und -Matching hinaus. Technisch wäre das bereits möglich, aber zu viele Fragen sind noch offen.
Ja, technisch gehe das alles, aber ob es sich auch durchsetzen wird, da hat Vockrodt so ihre Zweifel: „Da fehlt das Emotionale, das Menschliche.“ Tools und Apps könnten vielleicht eine Vorauswahl ermöglichen. Die letzte Auswahl aber werde immer ein Mensch treffen, ist sie sich sicher. Hensgens hält den persönlichen Kontakt ebenfalls auch künftig für unverzichtbar: „Interaktion, große Büros, aufgelockert mit genügend Meetingräumen – das wird alles kommen, weil eine intensivere Kommunikation stattfindet.“ Während diese Trends wohl gekommen sind, um zu bleiben, wurden andere von den Diskutanten skeptischer gesehen. „360-Grad-Videos werden derzeit als Sau durchs Dorf getrieben. Sinnvoll sind sie aber nur mit übergeordnetem Konzept. Es bringt doch nichts, Videos zu machen, wenn die Karriereseite noch nicht einmal mobilfähig ist“, bemerkt Weber.
Maik Grothe hält Augmented Reality, die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, für einen Zukunftstrend in der Personalmarketing-Kommunikation. „Da geht es nicht mehr nur darum, was ich an wen kommuniziere, sondern auch, wo.“ Das sei sowohl eine Weiterentwicklung von Medien als auch des Bewerbungsprozesses. Für diejenigen, die ihre Hausaufgaben im Fach Employer Branding heute schon machen, würde sich gar nicht so viel verändern, ist er überzeugt: Wenn ein stabiles Markenfundament vorhanden ist, müsse man sich an die neuen Möglichkeiten nur noch anpassen.
Mattern zeigt sich grundsätzlich damit einverstanden, sieht die Entwicklung aber auch kritisch. Virtuelle Welten können zwar viele Einblicke geben, das wahre Leben aber können sie nicht ersetzen: „Es kommt darauf an, Begegnungsqualität zu erzeugen, und die muss authentisch sein. Die entscheidende emotionale Basis für die künftige Zusammenarbeit muss und wird nach wie vor im persönlichen Gespräch entstehen.“ Massenmedien können aber zumindest gut, um mit den Menschen überhaupt in Kontakt zu kommen - jedenfalls, sofern sie ein zentrales Kandidatenbedürfnis adäquat adressieren. Das Team von Wollmilchsau ist bereits dabei, einen Teil dieser Zukunft zu entwickeln. Kirchner: „Die Stellenanzeige wird mehrdimensional. Sie besteht nicht mehr nur aus Informationen, sondern auch aus dem kulturellen Aspekt. Und sie wird individueller.“ Hausintern arbeiteten sie bereits an einem Prototypen einer solchen Karriereseite, mit der Zielgruppen kampagnenorientiert angesprochen und jeweils angepasste Inhalte ausgespielt werden können.
Ein tröstliches Wort zum Schluss findet er für alle die, die derzeit möglicherweise noch nicht bereit für die Zukunft sind: „Ich finde, es müssen nicht immer alle hip und cool sein.“ Das Ziel von Employer Branding sei, diejenigen Leute anzuziehen, die zum Unternehmen passen – und wenn im Foyer eben noch ein authentischer Teppich aus DDR-Zeiten liegt, kann das auf bestimmte Menschen auch hip und cool wirken. Vockrodt: „Vielleicht findet das tatsächlich jemand schick und charmant und sagt: Mensch, das ist wie früher bei mir zuhause. Oder wie bei Mutti. Genau den brauche ich.“
Autor
David Schahinian, freier Journalist, Frankfurt am Main
![]() | „360-Grad-Videos werden derzeit als Sau durchs Dorf getrieben. Sinnvoll sind sie aber nur mit übergeordnetem Konzept. Es bringt doch nichts, Videos zu machen, wenn die Karriereseite noch nicht einmal mobilfähig ist.“ Wolfgang Weber, Königsteiner Agentur GmbH |
Fünf Tipps, damit Employer Branding erfolgreich sein kann
1) Commitment aller Beteiligten
Das Projekt ist zum Scheitern verurteilt, wenn es nicht von Anfang an von jenen vorgelebt wird, nach denen sich die Mitarbeiter richten: den Führungskräften. Der Vorstand muss hinter der Idee stehen, und die Umsetzung sollte von Anfang an interdisziplinär gestaltet sein. Alle relevanten Abteilungen gehören von Anfang an mit an den Tisch.
2) Analyse ist Pflicht
Wer nicht weiß, wo er herkommt, der weiß auch nicht, wohin er geht. Eine Analysephase ist wichtig, um den eigenen Markenkern herauszufiltern und zu wissen, was das Unternehmen und seine Mitarbeiter ausmacht. Das kostet mitunter Geld, minimiert aber das Risiko des Scheiterns.
3) Interne Kommunikations- und Informationskanäle identifizieren und ausbauen
Die Mitarbeiterzeitung ist schön, aber als alleiniges Mittel der internen Kommunikation nicht mehr zeitgemäß. Um internes Employer Branding zu betreiben, muss sichergestellt sein, dass die eigenen Mitarbeiter erreicht werden. Digitale Kommunikationsstrukturen sind schon längst etabliert, man muss sie aber auch für seine Zwecke zu nutzen wissen.
4) Schmerzen aushallen
Sich selbst kritisch hinterfragen zu lassen kann schmerzhaft sein, ist aber unerlässlich, um sich weiterzuentwickeln. Change Management heißt nicht, dass sich das Unternehmen ändern muss, sondern die Führungskräfte und ihre Mitarbeiter. Systeme wie der Net Promoter Score helfen dabei, das Feedback zu institutionalisieren und die richtigen Schlüsse aus den Reaktionen zu ziehen.
5) Das Analoge nicht vergessen
Menschen arbeiten mit anderen Menschen. Daran hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert. Bei allen Möglichkeiten, die die digitale Transformation bietet, darf das Persönliche nicht zu sehr in den Hintergrund rücken. Die Verknüpfung von digitalen und analogen Mitteln kann mehr als die Summe der einzelnen Teile sein, wenn die Aussagen auf beiden Wegen möglichst authentisch und deckungsgleich sind.