Motivieren und Binden in Zeiten von New Work

Die Arbeitswelt verändert sich und mit ihr die Bedürfnisse von Beschäftigten und Organisationen. Die klassische Mitarbeiterbefragung wird den Anforderungen der Zukunft nur noch bedingt gerecht. Agilere Tools können helfen, Mitarbeiter langfristig zu binden und zu motivieren.
Klassische Mitarbeiterbefragungen sind ein etabliertes Steuerungsinstrument für mittelständische Unternehmen und Großkonzerne. Organisationen erfassen mit ihnen die Zufriedenheit des Personals und leiten darauf aufbauend Handlungsimplikationen ab. Allerdings wird das langfristige Binden und Motivieren von Mitarbeitern immer herausfordernder, weshalb Engagement und Retention in letzter Zeit intensiver diskutiert werden. Daraus ergibt sich die Frage: Können klassische Mitarbeiterbefragungen in Zeiten von New Work überhaupt noch zum Ziel führen? Erfordern Schlagwörter wie Agilität und digitale Transformation nicht neue Instrumente, sodass traditionelle Mitarbeiterbefragungen möglicherweise bald überholt sind?
Die Arbeitswelt 4.0
Ausgangspunkt für die Zukunft der Arbeit ist das VUCA-Paradigma. Dieses Paradigma geht von vier zentralen Grundannahmen aus, die zukünftige Arbeitswelten auszeichnen: Volatility (Unberechenbarkeit), Uncertainty (Ungewissheit), Complexity (Komplexität), Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Eine langfristige Planbarkeit gehört somit der Vergangenheit an. Gerade die Personalarbeit muss sich vermehrt diesen veränderten Rahmenbedingungen stellen.
Weitere Anhaltspunkte zur Zukunft der Arbeit liefert die Deloitte-Studie „Human Capital Trends 2016“, die zehn wichtige Trends identifiziert: Culture, Engagement, Learning, Leadership, People Analytics, HR Capabilities, The Gig Economy, Organizational Design, Design Thinking und Digital HR. Bereits aus diesen Trends lassen sich zahlreiche Implikationen für Mitarbeiterbefragungen ableiten: Kultur, Engagement und Führung sind zentrale Themen, die bei traditionellen Mitarbeiterbefragungen eine inhaltliche Rolle spielen. In jedem dieser Bereiche steigt die Bedeutung von Agilität, also der Anpassungsfähigkeit von Führungskräften und Unternehmenskultur an dynamische Kunden und komplexe Märkte.
Design Thinking als Maßgabe
People Analytics und das organisationale Design sind ebenfalls zentrale Aspekte bei aktuellen Mitarbeiterbefragungen. Doch Design Thinking liefert bereits Wegweiser für zukünftige Formate. Mitarbeiter sind es aus dem privaten Umfeld gewohnt, dass ihnen Echtzeitdaten über Fitnessverhalten und Kommunikation zur Verfügung stehen. Bei Mitarbeiterbefragungen beträgt die Verzögerung der Kommunikation von Ergebnissen jedoch oft Wochen oder Monate.
Darüber hinaus müssen Feedback-Prozesse grundlegend neu gedacht werden, wenn sie aufbauend auf den Prinzipien des Design Thinking konzipiert werden: Welche Bedürfnisse und welche Motive treiben Mitarbeiter und Führungskräfte an, dass sie an Feedback-Prozessen teilnehmen? Welche Bedürfnisse und Motive müssen berücksichtigt werden, damit auch Folgeprozesse und Verhaltensänderungen bei Mitarbeitern und Abteilungen nachhaltig umgesetzt werden? Laut einer Acatech-Studie zur digitalen Transformation, bei der Personalvorstände befragt wurden, verlieren Hierarchien an Bedeutung. Die digitale Transformation erfordert demnach eine Führungskultur, die auf Zusammenarbeit, dezentralen Entscheidungen und Unternehmertum aufbaut. Hier lautet die Frage, wie traditionelle Mitarbeiterbefragungen zu dieser neuen Führungskultur beitragen können, wenn Ergebnisse hierarchisch rückgemeldet werden und ein Informationsvorsprung im Unternehmen weiterhin mit Macht und Einfluss gleichgesetzt wird.
Die dargestellten Trends und Studien machen deutlich, dass sich die Rahmenbedingungen unserer Arbeitswelt bereits verändert haben und weiter verändern werden. Klassische Mitarbeiterbefragungen werden oftmals vor allem aus der Perspektive der Unternehmensleitung und der Führungskräfte konzipiert, die Bedürfnisse und Motive der Mitarbeiter stehen in vielen Fällen nicht im Vordergrund. Doch auch die Perspektive der Unternehmensleitung und der Führungskräfte verändert sich grundlegend, wenn das VUCA-Paradigma und die bereits dargestellten Veränderungen der Arbeitswelt Realität werden. Organisationale Feedback-Instrumente müssen deshalb agiler werden, das heißt, sie müssen einen anpassungsfähigen Rahmen bieten, der unterschiedlichsten Bedingungen gerecht wird.
Aktuell werden Instant Feedback und Pulsbefragungen als Ergänzungen zu gewohnten Mitarbeiterbefragungen diskutiert. Unter Instant Feedback können proaktive Befragungsprozesse verstanden werden, die nicht an einen festen Befragungsbeginn und ein festes Befragungsende gebunden sind. Mitarbeiter und Führungskräfte können damit selbstständig Feedback verschicken und einfordern, sowohl von Einzelpersonen als auch von Abteilungen oder ganzen Unternehmensbereichen. HR und die Unternehmensleitung können aufbauend auf diesen Feedback-Nachrichten identifizieren, welche Abteilungen, Bereiche oder Standorte Multiplikatoren sind und welche tendenziell isolierter sind. Genauso können sie über hinterlegte Kategorien (zum Beispiel Unternehmenswerte oder zentrale Themen, die von der Firma gesetzt werden) Analysen erstellen, wie sehr diese Unternehmenswerte oder Themen tatsächlich gelebt werden.
Pulsbefragungen ähneln klassischen Befragungen, doch lassen sie sich einfacher und schneller erstellen. Moderne Technologie ermöglicht beispielsweise eine Anbindung an die vorhandene Personalsoftware, sodass automatisch immer mit dem aktuellen Stand bezüglich Mitarbeitern und Organigramm gearbeitet werden kann. Außerdem lassen sich Pulsbefragungen auch ohne feste Zeiten erstellen, Daten liegen so innerhalb weniger Minuten in Echtzeit vor.
Sinnvoller Instrumentemix
Sie lassen sich in verschiedensten Varianten einsetzen, etwa im Stil eines einfachen Happiness Index, wie es beim „Niko-Niko Calendar“ der Fall ist. Bei diesem Kalender füllt jeder Mitarbeiter jeden Tag (oder jede Woche beziehungsweise jeden Monat) lediglich eine Zufriedenheitsfrage auf einer einfachen Smiley-Skala aus. Bei Negativtrends können Organisationen mit Workshops oder auch mit Befragungen erarbeiten, wie es zu dieser Unzufriedenheit kommt und wie sie dem in Zukunft entgegenwirken können. In der Übersicht auf Seite 32 werden die Merkmale von Mitarbeiterbefragungen mit jenen von Pulsbefragungen und Instant Feedback verglichen. Gerade bei der Kombination dieser Instrumente lassen sich wertvolle Synergien erzeugen:
Szenario 1: Erst Puls-, dann Mitarbeiterbefragung
Bei einer Pulsbefragung mit lediglich zehn Fragen können die Mitarbeiter angeben, welche Themen für sie besonders relevant sind und welche zusätzlichen Themen wichtig wären. Die Ergebnisse dieser Pulsbefragung sind allen Mitarbeitern in Echtzeit zugänglich, um von vorneherein Transparenz und Partizipation zu schaffen. Aufbauend auf diesen Ergebnissen wird eine umfangreichere Mitarbeiterbefragung konzipiert. Die Folgeprozesse der Mitarbeiterbefragung werden per Pulsbefragung monatlich evaluiert, wobei diese Ergebnisse erneut allen Mitarbeitern zugänglich sind.
Szenario 2: Mitarbeiterbefragung und Abstimmungen
Nach einer klassischen Mitarbeiterbefragung werden die Folgeprozesse partizipativ gestaltet, das heißt, Mitarbeiter können über besonders wichtige Themen abstimmen. Zwei Themenfelder werden von der Unternehmensleitung gemeinsam mit HR gesetzt, um eine strategische Steuerung zu ermöglichen, und zwei Themenfelder werden anhand der Online-Abstimmung durch alle Mitarbeiter identifiziert und bearbeitet. Auf diesem Weg ist das Commitment aller Mitarbeiter bei der Umsetzung der Folgeprozesse viel höher, nachdem sie aktiv darauf Einfluss nehmen konnten.
Szenario 3: Happiness Index, Instant Feedback, Kurzbefragungen
Anstatt einer umfangreichen klassischen Mitarbeiterbefragung wird eine Kombination aus monatlichen Pulsbefragungen im Stil eines Happiness Index und Instant Feedback durchgeführt. Die monatlichen Pulsbefragungen geben Aufschluss darüber, in welchen Unternehmensbereichen, Abteilungen oder an welchen Standorten eine tiefergehende Analyse notwendig ist. Im nächsten Schritt wird dann mit tiefergehenden Kurzbefragungen analysiert, welches Vorgehen sinnvoll ist. Parallel wird Instant Feedback zur Etablierung einer lebendigen Feedback-Kultur eingeführt, sodass Mitarbeiter jederzeit Rückmeldung geben können, anonym wie persönlich.
Die Szenarien machen deutlich, dass Mitarbeiterbefragungen im traditionellen Sinn nicht ausgedient haben. Allerdings bringen sie Nachteile mit sich, die sich durch Pulsbefragungen oder Instant Feedback ausgleichen lassen.
Menschenbild und Kultur
Bereits heute existieren moderne Alternativen und Ergänzungen zu klassischen Mitarbeiterbefragungen. Warum aber werden diese noch nicht flächendeckend eingesetzt? Eine zentrale Herausforderung ist das zugrunde liegende Menschenbild. Sowohl bei Pulsbefragungen als auch bei Instant Feedback geht man von Mitarbeitern aus, die großes Interesse an einer aktiven Gestaltung des Unternehmens haben. Dem liegt eine Kultur der Wertschätzung und der Partizipation zugrunde, in der alle Firmenangehörigen gemeinsam in einen aktiven Dialogprozess treten. Eine traditionelle Mitarbeiterbefragung kann diesem Menschenbild und dieser Unternehmenskultur nicht gerecht werden. Oft müssen Organisationen auf dem Weg zu neuen Feedback-Instrumenten auch ganz praktische Fragen klären, etwa zur Verfügbarkeit eines Rechnerzugriffs oder zur Nutzung privater Smartphones für Pulsbefragungen und Instant Feedback.
Insgesamt lassen sich Engagement und Retention sicher nur dann langfristig etablieren und aufrechterhalten, wenn Organisationen auf technologisch und inhaltlich moderne Feedback-Instrumente zurückgreifen. Gerade für jüngere Mitarbeiter aber auch für ältere eröffnen sich durch die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse ganz neue Formen der Partizipation und Mitbestimmung, die langfristig die Motivation und die Bindung an das Unternehmen erhöhen.
Autoren
Prof. Dr. Simon Werther, Gründer der HRinstruments GmbH, München, Professor an der Hochschule der Medien Stuttgart,
werther@hr-instruments.com
Prof. Dr. Mahena Stief, Professorin für Soziale Kompetenzen und Psychologie, Hochschule Augsburg,
mahena.stief@hs-augsburg.de
Merkmale verschiedener Befragungsinstrumente
| Mitarbeiterbefragung | Pulsbefragung | Instant Feedback |
Inhaltliche Tiefe | Sehr tiefgehend | Eher oberflächlich | Eher oberflächlich |
Zeitliche Steuerung | Stark vorgegeben | Sehr flexibel | Sehr flexibel |
Partizipation der Mitarbeiter | Einmalig | Fortlaufend | Fortlaufend |
Autonomie der Mitarbeiter | Nicht vorhanden | Variabel | Sehr ausgeprägt |
Statistische Analysen | Tiefgehend möglich, aber zeitverzögert | Bis zu einer gewissen Tiefe, in Echtzeit | Bis zu einer gewissen Tiefe, in Echtzeit |
Kommunikation von Ergebnissen | Oftmals zeitverzögert | In Echtzeit möglich | In Echtzeit möglich |
Finanzieller Aufwand | Sehr hoch | Variabel | Variabel |
Eigenständige Durchführung durch HR | Sehr selten | In den meisten Fällen möglich | Vollständig möglich |
Varianten der Durchführung | Pen & Paper, online | Online, mobil, mit großem Aufwand auch Pen & Paper | Online, mobil |
Acatech (Hrsg.): Die digitale Transformation gestalten. Was Personalvorstände zur Zukunft der Arbeit sagen. München, 2016.
Werther, Simon: Einführung in Feedbackinstrumente in Organisationen. Vom 360˚- Feedback bis hin zur Mitarbeiterbefragung.
Wiesbaden, 2015.
Werther, S./Woschée, R.: „Feedbackinstrumente in Change Prozessen – sind Mitarbeiterbefragungen noch zeitgemäß?“ In: Organisationsentwicklung, 2016, S. 82–87.
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