Wenn Bußgelder drohen

Viele Arbeitgeber klagen derzeit über einen steigenden Krankenstand. Eine zunehmende Anzahl von Fehltagen wird vor allem mit wachsender Arbeitsdichte und alternder Belegschaft in Zusammenhang gebracht. Psychische Faktoren werden dabei jedoch häufig außer Acht gelassen. Eine psychische Gefährdungsanalyse deckt Schwachstellen auf und hilft Maßnahmen abzuleiten.
Der Gesetzgeber schreibt daher seit einigen Jahren die psychische Gefährdungsanalyse vor. Eine von der Hochschule für angewandtes Management in Erding durchgeführte Umfrage in 2015 ergab, dass in manchen Branchen bis zu 80 Prozent der Unternehmen diese Analyse noch nicht gemacht haben. Ursachen hierfür sind beispielweise fehlende Kenntnis darüber oder mangelnde Ressourcen. Inzwischen drohen aber empfindliche Geldbußen für diese Firmen. Die Gewerbeaufsicht ist angehalten, die Untersuchung und deren gesetzeskonforme Dokumentation, die am besten mit der jeweiligen Berufsgenossenschaft (BG) abzustimmen ist, zu prüfen. Die meisten Unternehmen wissen nicht, dass ihnen ein Haftungsrisiko droht, sollte es einmal zu einem Extremfall kommen (Beispiel: Flugzeugkatastrophe, bei der ein psychisch kranker Pilot das Flugzeug bewusst hat abstürzen lassen.) Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Arbeitgeber in die Haftung genommen werden, beispielsweise bei einem Unfall von öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Atomkraftwerk. Der Arbeitsschutz ist und bleibt Chefsache, denn dieser ist laut Arbeitsschutzgesetz und DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) verpflichtet, die Arbeitssicherheit seines Unternehmens zu überprüfen und entsprechende Schutzmaßnahmen umzusetzen. Die psychische Gefährdungsanalyse kann mit geeigneten Maßnahmen Extremfälle vielleicht nicht verhindern, aber doch das Risiko mindern.
Hohe Dunkelziffer
Mehr als die Hälfte aller Krankheitstage sind auf Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, psychische Erkrankungen und Erkrankungen der Atmungssysteme zurückzuführen. Vor allem psychische Erkrankungen der Beschäftigten erfahren einen kontinuierlichen Anstieg: In allen Bereichen der Wirtschaft haben in den vergangenen Jahren psychische Belastungen ständig zugenommen. Diese verursachten im Jahr 2014 bereits 16,6 Prozent der Fehltage (DAK-Gesundheitsreport 2015); die Dunkelziffer ist zusätzlich enorm, viele Erkrankungen im Bereich Muskel und Skelett, Haut, Magen sind psychosomatisch bedingt. Starke, als Stress empfundene Belastungen haben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen negative gesundheitliche Folgen für die Mitarbeiter: Anstrengende Arbeitsbedingungen verursachen körperliche Beschwerden, senken die Motivation und Produktivität des Personals und verstärken die Unzufriedenheit mit der beruflichen Tätigkeit. Der daraus resultierende erhöhte Krankenstand zieht enorme wirtschaftliche Folgen für das Unternehmen nach sich.
Denn da betroffene Mitarbeiter meist langfristig fehlen, gehören die psychischen Erkrankungen zu den kostenintensivsten. Innerhalb der psychischen Erkrankungen werden die weitaus meisten Fehltage durch Depressionen verursacht, aber auch Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen kommen häufig vor. Um einen Rückgang von Langzeitarbeitsunfähigkeiten zu erreichen, bedarf es in den Unternehmen der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung, Rehabilitationsmaßnahmen sowie eines Betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements (BEM). Viele Arbeitgeber wissen auch nicht, dass nach den ICD-Codes auch Suchterkrankungen (wie Alkohol- und neuerdings auch über eine Million Internet- und Spielsuchtgefährdete) zu den psychischen Krankheiten zählen. In der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (eine Initiative von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern) sind Empfehlungen zur Umsetzung einer psychischen Gefährdungsanalyse in sieben Schritten festgelegt, an die sich Unternehmen bei der Durchführung einer solchen Analyse halten sollten:
Schritt 1: | Festlegen von Tätigkeiten/Bereichen |
Schritt 2: | Ermittlung der psychischen Belastung der Arbeit |
Schritt 3: | Beurteilung der psychischen Belastung der Arbeit |
Schritt 4: | Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen |
Schritt 5: | Wirksamkeitskontrolle |
Schritt 6: | Aktualisierung/Fortschreibung |
Schritt 7: | Dokumentation |
Instrumente zur Beurteilung psychischer Belastungsfaktoren
Um herauszufinden, wo betriebliche Maßnahmen und Interventionen ansetzen sollten, müssen die Faktoren im Unternehmen ergründet werden, die möglicherweise zu psychischen Belastungen führen können. Welches Verfahren angewendet wird, hängt von verschiedenen Kriterien ab. Es können Instrumente ausgewählt werden, mit denen einerseits negative Faktoren der Arbeit, wie beispielsweise Zeitdruck oder fehlende interne Kommunikation, und andererseits positive Merkmale, wie soziale Unterstützung, Beziehungen zu Kollegen/Vorgesetzten, Handlungsspielraum, erfasst und evaluiert werden können. Qualitative Verfahren wie (Beobachtungs-)Interviews und moderierte Analyseworkshops sowie quantitative Verfahren wie Fragebögen zählen zu den gängigen Instrumenten in der psychischen Gefährdungsanalyse.
Qualitative Verfahren sind relativ zeitaufwendig und werden daher meist nur bei einer kleinen, aber repräsentativen Stichprobe von Mitarbeitern angewendet. Sie bieten sich aus diesem Grund vor allem in kleineren und mittelständischen Unternehmen an. Im Gegenzug liefern sie jedoch sehr detaillierte Ergebnisse. Als bewährte Analyse in großen Unternehmen bieten sich quantitative Verfahren in Form von Fragebögen an. Hiermit kann eine große Mitarbeiteranzahl befragt und somit ein gutes Abbild des Gesamt-Istzustands des Unternehmens erreicht werden. Interviews und Analyseworkshops sollten dennoch ergänzend zur Ergebnisvertiefung durchgeführt werden. Grundsätzlich empfiehlt es sich, eine Kombination von quantitativen und qualitativen Verfahren anzuwenden, um die jeweiligen Vorteile der Methoden auszuschöpfen.
In manchen Branchen liegen die Fehltage durch Langzeitkranke (AU länger als sechs Wochen) bei über 50 Prozent; hierunter finden sich hauptsächlich psychische Erkrankungen. Sie können zum Beispiel dem Stress am Arbeitsplatz, aber auch den Doppelbelastungen durch Privat- und Berufsleben zugeschrieben werden. Um die Mitarbeiter zu entlasten und bestmöglich zu unterstützen, bieten viele Unternehmen nun Employee Assistance Programs (EAP), wie beispielsweise telefonische Helplines sowie Pflege- und Betreuungsassistancen für Mitarbeiter mit kranken Angehörigen an. Psychische Erkrankungen werden mittlerweile genauso ernst genommen wie körperliche Krankheiten. In der Folge sprießen auch viele webbasierte Hilfsangebote zur (psychischen) Gesundheit aus dem Boden. Unternehmen sollten grundsätzlich darauf achten, dass diese den neuen Qualitätsrichtlinien der gesetzlichen Krankenkassen entsprechen.
Ableitung von Maßnahmen
Unabhängig davon, welches Instrument zur Durchführung der psychischen Gefährdungsanalyse gewählt wird, ist es entscheidend, dass aus der Befragung Maßnahmen abgeleitet und im Betrieblichen Gesundheitsmanagement umgesetzt werden. In der Praxis bleibt es jedoch oft bei der vorgeschriebenen Analyse, zur „Kür“ kommt es meistens nicht. Dabei spielt die Umsetzung der durch die Befragung abgeleiteten Maßnahmen eine entscheidende Rolle beim Erfolg einer psychischen Gefährdungsanalyse. Die systematische Durchführung von Gesundheitsfördermaßnahmen trägt nämlich maßgeblich zur Senkung des Krankenstandes im Unternehmen bei. Zusammenfassend lässt sich sagen: Betriebliches Gesundheitsmanagement rechnet sich. Es hat einen positiven ROI, allerdings nur wenn es ganzheitlich, nachhaltig und individuell auf Branche, Region und Mitarbeiter abgestimmt ist.
Autor
Prof. Dr. Volker Nürnberg,Leiter Health Management, Mercer Deutschland GmbH, Frankfurt,
volker.nuernberg@mercer.com
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