Mit Vorsicht zu genießen

Digitale Gesundheitstools haben längst Einzug in das Betriebliche Gesundheitsmanagement gehalten. Während die Befürworter den Anreiz zu mehr Bewegung betonen, warnen Skeptiker vor Datenmissbrauch und negativen Effekten durch permanentes Online-Sein und Fitness-Wahn.
Fitness-Tracker liegen im Trend. Das haben auch die Krankenkassen erkannt, indem sie ihre Versicherten durch Zuschüsse bei der Anschaffung von Wearables, also zum Beispiel Fitness-Armbändern oder Smartwatches sowie Fitness-Apps unterstützen, oder sogar mit Prämien belohnen. Warteten zunächst nur private Versicherer, allen voran Generali, mit entsprechenden Angeboten auf, ziehen mittlerweile auch gesetzliche Krankenkassen nach. Obwohl Datenschützer vor den Gefahren solcher Angebote warnen, steigt einer aktuellen Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft zufolge die Akzeptanz der digitalen „Gesundheitshelfer“ in der Bevölkerung.
Kontroverse Haltung
Bei den Krankenkassen gehen die Meinungen, ob Wearables bezuschusst werden sollen, auseinander. Während die einen vor der Gefährdung des Solidarprinzips warnen, betonen andere die sinnvolle Ergänzung des digitalen Zusatzangebots. Viele Krankenkassen prüfen aktuell, ob sie digitale Angebote einführen sollen. Das gewichtigste Hemmnis ist der Datenschutz. Die IKK Südwest bezuschusst keine Fitness-Tracker: „Als Krankenkasse, die Sozialdaten speichert, unterliegen wir einer hohen Datenschutzverpflichtung. Wir sind skeptisch, ob die Daten unserer Versicherten bei Anbietern digitaler Lösungen wirklich sicher sind. Die Daten werden vielfach auf US-amerikanischen Servern gehostet“, sagt Martin Reinicke, Pressesprecher der IKK Südwest. Aus seiner Sicht sollte man gut abwägen, ob man seine persönliche Freiheit zugunsten der Entscheidung, ein paar Euro zu sparen, wirklich einschränken möchte.
Kai Vogel von der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. sieht zwar durchaus den wettbewerbsfördernden Vorteil der Krankenkassen durch digitale Angebote, warnt aber vor dem möglichen Missbrauch mancher Krankenkassen, personalisierte Fitnessdaten zu erheben, um auf dieser Basis bestimmte Leistungsangebote zu entwickeln. „Die erhobenen Gesundheitsdaten von Versicherten gehören grundsätzlich nicht in die Hände von Krankenversicherungen.“ Und auch bei den Anbietern sei Vorsicht walten zu lassen: „Fehlen Datenschutzerklärungen oder Informationen zum Anbieter, würde ich jedem raten, die Finger davon zu lassen.“ Aus seiner Sicht dominieren aktuell noch Marketingaspekte bei den Angeboten der Krankenkassen, die auch mit Blick auf ihre Sinnhaftigkeit kritisch zu bewerten sind, beispielsweise reine finanzielle Zuschüsse für Wearables oder Fitnesstracker: „Oft ist der Zuschuss angesichts der in der Regel anfallenden Kosten gering und auch der Nutzen ist bislang nicht ausreichend durch evidenzbasierte Studien belegt.“ Der Wettbewerb um eine verbesserte sowie qualitätsgesicherte Versorgung müsse im Mittelpunkt stehen und nicht die Belohnung von jungen und gesunden Versicherten.
Die Befürchtung der Kritiker, dass digitale Gesundheitsangebote den Druck auf Versicherte erhöhen, künftig Gesundheitsdaten preisgeben zu müssen, teilt die AOK Nordost nicht: „Gesetzliche Krankenkassen dürfen seit Langem sogenannte Prämienprogramme anbieten, die Versicherte mit einem finanziellen Anreiz zu einem gesundheitsbewussten Lebensstil motivieren sollen“, sagt AOK-Sprecherin Gabriele Rähse. So sei die Teilnahme an Gesundheitsangeboten wie dem ersten vollständig digital nutzbaren Prämienprogramm „Fit-Mit AOK“ oder an dem AOK-Gesundheitskonto eine individuelle, freiwillige Entscheidung. Bei letzterem Angebot können sich Versicherte einmal in zwei Jahren maximal 50 Euro beim Kauf eines Wearables erstatten lassen. Der Zuschuss gilt für sämtliche Geräte, die unter anderem Herzfrequenz, Geschwindigkeit oder Kalorienverbrauch dokumentieren. Rähse ist von dem Nutzen der digitalen Gesundheitshelfer überzeugt: „Die Digitalisierung ist längst im Alltag unserer Versicherten angekommen. Mit diesen Angeboten wollen wir einen speziellen Anreiz für die technikaffinen Versicherten schaffen, die man mit anderen Gesundheitsangeboten vielleicht nicht so gut erreicht.“ Die AOK Nordost garantiert, dass sie keinen Zugriff auf die Fitnessdaten ihrer Versicherten hat.
Spendenlauf stärkt Gemeinschaftsgefühl
Den Einsatz von Wearables im „Maßnahmen-Mix“ der Betrieblichen Gesundheitsförderung befürwortet Professor Dr. Filip Mess, Sport- und Gesundheitswissenschaftler an der TU München: „Die digitalen Angebote eignen sich besonders für diejenigen, die aufgrund unregelmäßiger Arbeitszeiten weniger Möglichkeiten haben, an Offline-Angeboten teilzunehmen.“ Das trifft zum Beispiel auf Schicht- und Vertriebsmitarbeiter zu.
Für die Takeda Pharma Vertrieb GmbH & Co. KG aus Berlin war die Bewegungsförderung als ein wichtiger Gesundheitsaspekt ein Grund für die Anschaffung von 250 Fitness-Trackern, die die Mitarbeiter zu mehr Bewegung anspornen sollen: Mindestens 10000 Schritte zu schaffen, ist das tägliche Ziel. „Viele Mitarbeiter melden uns zurück, dass sie deutlich mehr auf ihre Bewegung achten als früher“, sagt Communications Manager Andreas Hundt, der sich zusammen mit HR um Teile des Betrieblichen Gesundheitsmanagements kümmert.
Einen weiteren Vorteil des digitalen Angebots sieht Hundt in der integrierten App des Anbieters, die den Nutzern dabei helfen kann, sich gesundheitsbewusster zu verhalten und sich persönliche Ziele zu setzen: „Durch welche Aktivität will ich wie viel abnehmen und was soll nächste Woche auf meinem Ernährungsplan stehen?“ Über die zusätzliche webbasierte Health-Track-App, die alle erlaufenen Schritte auf ein Gesamtkonto leitet, hat das Unternehmen zudem zu vielen betriebsinternen Wettbewerben, darunter auch „Run for good“-Aktionen für gute Zwecke, aufgerufen. Auch das Gemeinschaftsgefühl soll gestärkt werden und so lautete ein spielerisches Ziel: „Wir laufen virtuell zu unserer Unternehmenszentrale nach Osaka in Japan, um Weihnachtsgrüße zu überbringen.“ Die Teilnehmer können über die Plattform genau verfolgen, wie ihr eigener Schrittanteil wächst und wie hoch die aktuelle Gesamtschrittzahl aller Teilnehmer ist.
Vertrauen durch strenge Vertraulichkeit
Nach anfänglicher Skepsis ist das Vertrauen vieler Mitarbeiter in den digitalen Gesundheitshelfer bei Takeda gewachsen, „weil jeder Mitarbeiter darüber informiert wurde, dass die erfassten Daten anonymisiert beim Anbieter bleiben und nicht an Arbeitgeber oder Krankenkassen weitergegeben werden“. Neben der Datensicherheit, die auch durch den betriebsinternen Datenschutzbeauftragten überprüft wird, sind die Freiwilligkeit und die hohe Teilnahmequote weitere Erfolgsfaktoren.
Harald Holzer, Geschäftsführer der Vitaliberty GmbH, einem Anbieter für E-Health-Lösungen, hat die Erfahrung gemacht, dass die Unternehmen die Einhaltung der Datenschutzkonzepte der Provider sehr genau prüfen: „Die Erfassung von individuellen Gesundheitsdaten ist ein sensibles Thema. Als Anbieter müssen wir sicherstellen, dass die Daten unter keinen Umständen an Dritte weitergereicht werden können. Um einen Missbrauch hundertprozentig auszuschließen, trennen wir die persönlichen Daten von den Gesundheitsdaten in zwei verschiedenen Systemen, die in einem deutschen Rechenzentrum liegen.“ Wichtig sei außerdem, dass ausschließlich anonymisierte statische Auswertungen an den Arbeitgeber übergeben werden, damit auf keinen Fall Rückschlüsse auf die Daten einzelner Personen gezogen werden können. Holzer: „Unsere Erfahrung ist, dass über strenge Vertraulichkeit Vertrauen entsteht.“ Trotz vieler Vorteile beim Einsatz digitaler Gesundheitshelfer können diese auch zur Überforderung der Mitarbeiter beitragen, nämlich dann, wenn sie das Gefühl haben, ständig etwas für ihre Gesundheit tun zu müssen. Wissenschaftler Filip Mess warnt: „Wichtig ist, den genauen Bedarf für unterschiedliche Zielgruppen im Unternehmen zu eruieren und den Erfolg digitaler Angebote zu messen. Mit Blick auf unsere psychosoziale Gesundheit sollten wir den Wert des Offline-Gehens nicht vergessen.“
Autorin
Annette Neumann, freie Journalistin, Berlin
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