Vom Nebel zur klaren Sicht

Ein erfolgreiches und zielgerichtetes Betriebliches Gesundheitsmanagement erfordert eine Dateninfrastruktur und die Anwendung von Kennzahlen. Doch an einer Professionalisierung von Kennzahlen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement mangelt es noch.
Kennzahlen sollen den Beitrag des Gesundheitsmanagements zur Erreichung der Unternehmensziele sichtbar machen und den Status des Betrieblichen Gesundheitsmanagements messen und bewerten. In den letzten Jahren lässt sich die Entwicklung im Betrieblichen Gesundheitsmanagement zu einer strategischen Ausrichtung deutlich erkennen. In diesem Zuge gewinnen auch die Erfassung von Kennzahlen und die Implementierung von Kennzahlensystemen im BGM an Bedeutung. Seit 2013 ist die Anzahl der Unternehmen, die Kennzahlen im BGM nutzen, stetig gestiegen (EuPD Research: Trendstudie Betriebliches Gesundheit smanagement 2015). Doch wie kann der Nutzen von BGM mithilfe von Kennzahlen dargestellt werden und wo liegen die Grenzen?
Kennzahl Krankheitstage
Mehr als 80 Prozent der befragten Unternehmen erfassen Kennzahlen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Das zeigte die EuPD-Research-Befragung von 100 BGM-Verantwortlichen in Unternehmen. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass der Fokus bei der Erhebung von BGM-Kennzahlen insbesondere auf der Anzahl der Krankheitstage liegt. Von den Gesundheitsmanagern, die Kennzahlen im BGM erheben, nutzen über 95 Prozent den langfristigen Krankenstand (mehr als drei Tage) als Topkennzahl im BGM. Mit jeweils fast 90 Prozent folgen die Erfassung von Arbeitsunfällen sowie die Altersstrukturanalyse. Auffällig ist, dass die Top Drei der erfassten Kennzahlen sogenannte harte Kennzahlen sind, die sich in monetären Einheiten darstellen oder mit geringem Aufwand in solche überführen lassen. Bei einer angestrebten ganzheitlichen Betrachtung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagementsystems dürfen jedoch BGF-bezogene Kennzahlen (wie Akzeptanz und Effekt) sowie weiche Faktoren (zum Beispiel Zufriedenheit und Motivation) nicht vernachlässigt werden. Die Studienergebnisse zeigen, dass sich Gesundheitsmanager dessen bewusst sind. Sie bewerten die Mitarbeiterzufriedenheit sowie die psychischen Belastungen und Beanspruchungen, unabhängig davon, ob diese erfasst werden, als relevanteste Kennzahlen. Die Mitarbeiterzufriedenheit wird von knapp 81 Prozent der befragten Unternehmen als Kennzahl erfasst, die psychischen Belastungen und Beanspruchungen lediglich von rund 63 Prozent.
Operationalisieren der weichen Ziele
Bei der Implementierung eines ganzheitlichen Kennzahlensystems können sich Unternehmen an dem allgemein bekannten PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) orientieren Um Kennzahlen zur Bewertung der Ausgangssituation und zur langfristen Erfolgsmessung des BGM zu erheben, müssen zunächst die damit verbundenen Ziele definiert sowie Zielparameter konkretisiert und geprüft werden. Das bedeutet, dass die allgemein qualitativ formulierten Ziele als messbare Ziele definiert werden müssen.
Den Studienergebnissen zufolge liegen die qualitativen Ziele des BGM, neben den bereits bekannten quantitativen Zielen, vor allem in der Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit sowie dem Erhalt der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und der Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität. Um den nächsten Schritt im Managementzyklus zu gehen, müssen diese Ziele operationalisiert werden, was jedoch über ein Drittel der Befragten nicht nachvollzieht. Die Gründe hierfür können in der Fokussierung auf die Erreichung quantitativer Ziele, wie beispielsweise der Senkung des Krankenstandes, liegen. Ohne die Festlegung zählbar gemachter oder messbarer Ziele ist eine sinnvolle Erhebung von Kennzahlen schwierig. Unternehmen, die angeben, keine Kennzahlen im BGM erheben, begründen dies zu rund 63 Prozent mit fehlenden personellen Ressourcen.
Gesundheitsindex fehlt
Weiterhin zeigt die Studie, dass die Dokumentation der Kennzahlen in Unternehmen zu über 80 Prozent durch eine einfache digitale Erfassung in Tabellen stattfindet (siehe Abbildung). Die Möglichkeiten einer strukturierten Erfassung werden nur selten genutzt. Auch für kleine und mittelständische Unternehmen kann die strukturierte Dokumentation in Form eines Tools eine große Hilfe sein, um den Status ihres Betrieblichen Gesundheitsmanagement zu messen und zu bewerten. Der Beitrag des Gesundheitsmanagements zur Erreichung der Unternehmensziele kann so sichtbar gemacht werden. Ein unternehmensweiter Gesundheitsindex, der einen Anhaltspunkt für den aktuellen Stand des Betrieblichen Gesundheitsmanagements bietet sowie zur Darstellung der Entwicklung des BGM dient, wird nur von etwa zehn Prozent der befragten Unternehmen aus den erhobenen Kennzahlen abgeleitet. Dabei ist der unternehmensweite Gesundheitsindex ein aussagekräftiger Wert, der sowohl die weichen als auch die harten Kennzahlen einbezieht und diese in einen Gesamtzusammenhang setzt. Häufig fehlt den Gesundheitsverantwortlichen die Möglichkeit einer Verdichtung von gewonnenen Daten auf eine relevante Kennzahl sowie die Möglichkeit einer Analyse und Automatik zur Verwertung von BGM-Kennzahlen. Über einen Gesundheitsindex kann zudem die Entwicklung des BGM über mehrere Jahre hinweg kurz und prägnant dargestellt werden.
Die Implementierung eines Kennzahlensystems im Betrieblichen Gesundheitsmanagement ist jedoch nichts, was von heute auf morgen passiert. Es ist ein Prozess, der sowohl Vorbereitung als auch ein gewisses Maß an Pflege benötigt. Kennzahlen müssen regelmäßig erfasst werden, Maßnahmen evaluiert und Ziele angepasst werden. Deutlich wird dies bei der Betrachtung der Zufriedenheit der Gesundheitsverantwortlichen mit ihrem BGM-Kennzahlensystem. Unternehmen, in denen ein Betriebliches Gesundheitsmanagement bereits vor dem Jahr 2000 eingeführt wurde, sind deutlicher zufriedener mit der Erfassung und Nutzung ihrer Kennzahlen. Insgesamt sind knapp 37 Prozent der Unternehmen mit ihrem BGM-Kennzahlensystem zufrieden, etwa 26 Prozent sind eher unzufrieden oder sogar sehr unzufrieden. Unternehmen, die mit ihrem Kennzahlensystem im BGM zufrieden sind, erkennen vor allem den Nutzen der Systeme. Sie berichten von einer „hohen Aussagekraft und Übersichtlichkeit über die Kennzahlen“, der „Möglichkeit, einen Gesamtüberblick über die wichtigsten Daten und der daraus resultierenden Maßnahmen zu schaffen“ sowie einer „funktionierenden Erfolgskontrolle“. Die Gründe für eine Unzufriedenheit liegen unter anderem in den fehlenden personellen Ressourcen, um mit einer nachhaltigen Implementierung zu beginnen, und an der „Ungewissheit, ob die gewählten Parameter die richtigen sind“. Zudem wird immer wieder auf die noch vorherrschende Fokussierung auf die Krankheitsquote verwiesen.
Abbildung
Wie dokumentieren Sie die erhobenen Kennzahlen?

Die Dokumentation von Kennzahlen passiert bei einem Großteil der Unternehmen noch über eine einfache digitale Erfassung in Tabellen.
Bewertung und Feedback
Der letzte und sehr wichtige Schritt bei der Einführung und Pflege eines BGM-Kennzahlensystems im Rahmen des Managementzyklus ist die Evaluation und Überprüfung. Um die Frage zu beantworten, ob die eingesetzten Mittel im BGM einem relevanten Nutzen in Bezug auf Kennzahlen gegenüberstehen, bedarf es einer regelmäßigen Prüfung der bisherigen Vorgehensweise und den daraus resultierenden Ergebnissen. Allerdings bekommt nur ein Drittel der BGM-Verantwortlichen eine Rückmeldung über die erhobenen Kennzahlen im Rahmen des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses in ihrem Unternehmen. Wenn Feedback erfolgt, dann vor allem von der Geschäftsführung oder innerhalb der eigenen Abteilung, welches überwiegend die Personalabteilung ist. Ein abteilungsübergreifender Austausch findet nur selten statt, obwohl sich hier mit Sicherheit Potenziale zu einer weiteren Optimierung der Prozesse verbergen. Ein Austausch über Online-Medien findet nur in etwa 17 Prozent der Fälle statt, wenngleich sich über die Hälfte der Teilnehmer mehr Informationen und Erfahrungsaustausch in Online-Netzwerken oder-Foren wünscht. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es noch an einer Professionalisierung von Kennzahlen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement mangelt. Die Verwendung und Erfassung harter Kennzahlen liegt derzeit noch im Fokus, unter anderem bedingt durch die Forderungen der Geschäftsführung. Die steigende Relevanz weicher Kennzahlen, wie die Mitarbeiterzufriedenheit oder die Ergebnisse der psychischen Gefährdungsbeurteilung, zeigt jedoch die Entwicklung hin zu einer ganzheitlichen Bewertung des BGM durch Kennzahlensysteme. Kennzahlensysteme sollten allerdings nicht allzu komplex gestaltet sowie praxistauglich sein. Letztendlich sind BGM-Maßnahmen, die auf Grundlage von evaluierten Prozessen beschlossen werden, langfristig erfolgreich. Dennoch sollten Entscheidungen, die von erfahrenen Gesundheitsmanagern „aus dem Bauch heraus“ getroffen werden, nicht als falsch dargestellt werden, da in dem weiten Feld der betrieblichen Gesundheit nicht immer alles beweisbar ist und sich die Verantwortlichen durchaus der Bedeutung des Themas bewusst sind.
Autoren
Dr. Thomas Olbrecht, Leiter Markt- und Sozialforschung, EuPD Research Sustainable Management GmbH, Bonn
t.olbrecht@eupd-research.com
Johanna Wartner, Junior Projektmanagerin BGM, EuPD Research Sustainable Management GmbH, Bonn
j.wartner@eupd-research.com
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