Die Befreiung von der Arbeit – und ihr Preis

Die Digitalisierung wird mehr Jobs kosten als die Politik wahrhaben will. Was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden, in unterschiedlichsten Bereichen. Es ist Zeit, das klar zu benennen und uns als Gesellschaft auf einen gravierenden Wandel einzustellen.
Als Kunden schätzen wir die Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung eröffnet. Unternehmen erschließen mit ihr neue Geschäftsfelder. Und die Politik hofft auf mehr Arbeitsplätze in Hightechbranchen. Doch wie entwickeln sich Jobprofile und -bedarfe, wenn die Digitalisierung in alle Wirtschaftsbereiche vorgedrungen ist? Und was heißt das für unsere Gesellschaft, unseren Arbeitsbegriff?
Prognosen treffen selten zu
Diverse Studien haben sich in den letzten Jahren mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Ihre Schlussfolgerung ist ähnlich: Ein Beschäftigungsabbau in niedrig qualifizierten Berufsgruppen und administrativen Tätigkeiten gehe mit der Entstehung neuer, hoch qualifizierter Jobs in anderen Bereichen einher. Einer populären Studie zufolge sollen sogar 65 Prozent der heute eingeschulten Kinder später in Berufen arbeiten, die es heute noch gar nicht gibt.
Nun sind Prognosen in Hinblick auf die Beschäftigungsentwicklung der Zukunft grundsätzlich schwierig – und treffen deshalb häufig auch nicht zu. Prognosefehler entstehen zum Beispiel durch die schlichte Fortschreibung von Vergangenheit und Gegenwart in die Zukunft. Ökonomische, soziale, politische Veränderungen können ebenso wenig vorhergesehen werden wie neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Forschung oder Veränderungen des Umfelds.
Doch Prognosen bilden die Basis politischer Entscheidungen und Handlungen. In Politik und Bildung wird deshalb aktuell die Frage erörtert, welche Kompetenzen zukünftig am Arbeitsmarkt benötigt werden. Damit wird die Diskussion in ein für die Politik angenehmes Feld geleitet – weg von der Angst vor Jobverlusten, hin zu spannenden, hoch qualifizierten Berufen und Fachkräften der Zukunft. Die Politik investiert massiv in das Thema Digitalisierung. Nur ein Beispiel aus der Hauptstadt: Allein in Berlin werden gerade 50 neue Professuren im Bereich Digitalisierung berufen. Sie sind Bestandteil des neuen Einstein Center Digital Future, das Anfang September bewilligt wurde und in das in den kommenden Jahren 38,5 Millionen Euro fließen.
Digitalisierung als politisches Dilemma
Es droht ein Catch 22 ohne Lösung: Investiert die Regierung nicht in die Digitalisierung, dann läuft das Land Gefahr, den technologischen Anschluss und die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Investiert sie jedoch, dann beschleunigt die Politik womöglich einen Prozess der Arbeitsplatzvernichtung, an dessen Ende sinkende Kaufkraft, geringerer Konsum, weniger Nachfrage und eine insgesamt schrumpfende Wirtschaft stehen könnten. Vielleicht hat sich schlicht unser gegenwärtiges, auf permanentes Wirtschaftswachstum ausgerichtetes Modell nun selbst überholt – durch die Digitalisierung.
In der Tat sind nicht alle Prognosen optimistisch. Das World Economic Forum etwa zeichnet in einer aktuellen Studie eine alles andere als rosige Zukunft und sieht Arbeitsplätze durch die Digitalisierung in Gefahr. Bis 2020, so die Prognose, entfallen netto circa 5,1 Millionen Jobs weltweit. Sollte diese Entwicklung schneller verlaufen, hätten wir schon in 15 Jahren apokalyptische Jobverluste zu verzeichnen.
Warum auch nicht? Während in den 1980er- und 1990er-Jahren immer neue Jobs durch Informations- und Kommunikationstechnologien entstanden sind, war die Beschäftigung in den vermeintlich boomenden IT-Bereichen in den letzten zehn Jahren in den meisten Industrienationen konstant. Und nach wie vor sind die meisten Beschäftigten in Branchen tätig, die es schon vor 100 Jahren gab: in der Transportindustrie, im öffentlichen Bereich, im Einzelhandel, im Vertrieb, in der Industrie, im Baugewerbe und in der Medizin.
Am Tipping Point der Digitalisierung
Hinzu kommt: Wir befinden uns nach Ansicht vieler Experten nun am Tipping Point der Digitalisierung. Der Tipping Point ist der Zeitpunkt, ab dem sich ein bis dahin linearer Verlauf exponentiell entwickelt. Der Grund hierfür ist das Verschmelzen unterschiedlicher technologischer Entwicklungen wie das Internet der Dinge, Artificial Intelligence, Robotics, 3D-Druck.
Das Internet der Dinge führt dazu, dass sich in diesem Jahr etwa 60-mal mehr Maschinen als Menschen am Internet anmelden werden. Weltweit entwickelt sich ein feinmaschiges Nervensystem der totalen Vernetzung von Produktion, Energie, Haushalt, Entertainment, Medizin, Mobilität et cetera. Maschinen können nun von anderen Maschinen lernen, sie können Muster erkennen und Wissen weitergeben.
Unsere These ist: Die bekannte Gesetzmäßigkeit „mehr Technologie führt zu mehr Wohlstand“ könnte damit erstmals außer Kraft gesetzt werden. Der Menschheit geht es heute besser als jemals zuvor. Weltweit leben viel weniger Menschen unter der Armutsgrenze als noch vor 20 Jahren. Zu verdanken ist dies dem technologischen Fortschritt. Die Digitalisierung könnte in den nächsten fünf bis 15 Jahren aber zu einem bisher unbekannten Abbau von Arbeitskräften führen und diese Entwicklung umkehren – wenn wir nicht umdenken.
Seien wir ehrlich: Für uns bleibt weniger Arbeit
Schon heute nimmt die zunehmende Digitalisierung ganz offensichtlich in vielen Bereichen Menschen die Arbeit ab. Wir sehen es an den Self Check-ins an den Flughäfen, den Selbstbezahlkassen in den Supermärkten, an den EC-Automaten, und wir merken es, wenn wir in Onlineshops einkaufen. Weggefallen sind schon jetzt Tausende Jobs im Einzelhandel oder bei den Fluggesellschaften. Und die Banken beginnen hierzulande gerade mit dem großen Kahlschlag. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Alles, was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden. Ein Blick auf unterschiedliche Branchen verdeutlicht das.
Die Robotisierung in Pflege und Medizin: In Deutschland und in vielen anderen Ländern werden wir aufgrund der längeren Lebenszeit in rund fünfzehn Jahren doppelt so viele Pflegefälle haben wie heute. Die Pflege alter Menschen ist zugleich Wachstumsmarkt und ideales Anwendungsfeld für Pflegeroboter, die beim Heben, Gehen, Waschen, Spielen, Unterhalten helfen können. Ein Beispiel dafür ist Baxter – ein sogenannter Multi-Purpose-Roboter. Baxter kann durch Beobachtung lernen und ist praktisch für alles einsetzbar. Auch in der Medizin können Bots schon heute Krankheiten objektiver erkennen und Therapien anhand unzähliger Faktoren individualisieren. Messungen wie Blutdruck, Schlaf- und Bewegungsmuster, Herzfrequenzen, Ernährung werden über längere Zeitabläufe mittels Sensoren gemessen und ausgewertet. Komplizierte Operationen werden bereits von Robotern übernommen, wenn es um Millimeterarbeit geht.
Die Automatisierung der Transportindustrie: Am schnellsten wird die Entwicklung in der Transportbranche einsetzen. Selbstfahrende Autos werden die gigantische Zahl von Beschäftigten in diesem Sektor drastisch reduzieren. Versicherungen, Autobauer oder Kunden werden sich nicht dagegen wehren. Ganz im Gegenteil – viele Menschen wollen einfach nur bequem und sicher von Punkt A zu B gelangen. Die computergesteuerten Fahrzeuge müssen nicht völlig fehlerfrei sein, sondern nur besser als die Menschen. Allein im letzten Jahr sind in Deutschland 3475 Menschen im Straßenverkehr getötet worden (Statistisches Bundesamt). Die selbststeuernden Fahrzeuge werden diese Zahl dramatisch senken, denn Computer schlafen nicht am Steuer ein, sind nicht alkoholisiert, nehmen keine Medikamente, surfen nicht mit dem Smartphone und lassen sich auch sonst nicht ablenken. Doch die erhöhte Sicherheit ist nur ein Grund für den Wandel in der Transportindustrie – die Kosten sind ein weiterer. Personalkosten verursachen rund 30 Prozent der Gesamtkosten vieler Unternehmen – der Return on Investment für die Autopiloten liegt bei unter einem Jahr. Auch die Taxibranche ist betroffen. Über will mit einer selbstfahrenden, elektrischen Fahrzeugflotte den gesamten Transport in Großstädten übernehmen. Verstopfte Straßen, Luftverschmutzung, Unfälle und Parkplatznot wären damit Geschichte – aber auch die Jobs von Tausenden von Taxifahrern.
Die Digitalisierung der Wissensarbeit: Wir müssen uns auch im Klaren sein, dass die Digitalisierung nicht vor den vermeintlich „höherwertigen“ Jobs haltmachen wird. Softwareentwickler werden durch Software-Bots ersetzt werden, Anwälte durch superintelligente Rechtsanwalts-Bots, die in der Lage sind, Tausende von E-Mails, Urteilen, Paragrafen, Kommentaren in Millisekunden auszuwerten. Die ersten davon gibt es schon. Artificial Intelligence ist das Zauberwort jedes IT-Giganten. IBMs Watson hatte schon vor Jahren die gesamte menschliche Schachelite geschlagen. Nun ist es Googles Superrechner Deep Mind, der das extrem komplexe Spiel Go besser beherrscht als jeder Mensch. Schon in wenigen Jahren wird ein einzelner Computer mehr Rechenleistung haben als alle menschlichen Gehirne zusammen. Da wird schnell deutlich, dass der Beruf des Datenanalysten viel besser durch einen Software-Bot ausgeübt werden kann. Wenn es aber auf jede gestellte Frage eine richtige Antwort durch den Wissens-Bot gibt, warum dann noch Jahre lang in die Schule oder Universität gehen und mühevoll Programmieren, Rechnen oder Fremdsprachen lernen? Diese Frage müssen unsere Bildungssysteme bald dringend beantworten. Immerhin die Kreativität sollte doch hoffentlich Domäne der Menschen bleiben. Das mag so sein – aber kreative Jobs stellen nicht die Mehrheit der Jobs unserer Beschäftigten. Außerdem gibt es bereits die ersten Kreativ-Bots, deren musikalische Kompositionen nicht von menschlichen zu unterscheiden sind.
Das Echtzeit-Trading in der Finanzindustrie: Auch die Börsen basieren heute auf dem Zusammenspiel von Computerprogrammen, die Transaktionen weltweit in Echtzeit durchführen können. Frey und Osborne von der Oxford University schätzen deshalb, dass circa 60 Prozent der Finanzberater in den nächsten zwanzig Jahren durch Software ersetzt werden. Webbasierte Bezahldienste wie Paypal oder Google Wallet sind schon vor Jahren in das Kerngeschäft der Finanzinstitute eingestiegen. Mobile Bezahl-Apps befinden sich heute vorinstalliert auf den Millionen von Smartphones von Samsung, Apple und Co.
Die vollständige Vernetzung in der Produktion: Die Jobs in der industriellen Produktion werden gleich von zwei Schlüsseltechnologien gefährdet. Dies sind zum einen die sogenannten Cyber Physical Systems, die durch eine Kombination von intelligenten, vernetzten Robotern, Maschinen und Produkten die Produktion gleichermaßen voll flexibilisieren und automatisieren. Ökonomen der Weltbank gehen davon aus, dass auch in den OECD-Staaten zwischen 50 und 60 Prozent der Arbeitsplätze in der Produktion betroffen sein könnten. In China hat Apple-Produzent Foxconn gerade erst 60 000 Arbeitsplätze durch Automatisierung in einem einzigen Werk wegrationalisiert. Erste Unternehmen wollen sogar elektrische Autos automatisch im 3D-Drucker drucken. Die Automatisierung wirkt sich auf die Globalisierung und internationale Arbeitsteilung aus, weil unterschiedliche Lohnkosten keine große Rolle mehr spielen. Die Produktion kann in dem Land stattfinden, in dem das jeweilige Produkt benötigt wird. Der globale Transport von Gütern wird massiv reduziert. So wird Adidas ab dem nächsten Jahr wieder Schuhe in Deutschland produzieren.
Es ist Zeit, umzudenken
Die Digitalisierung wird unser Leben weiter erleichtern und die Qualität in vielen Wissens- und Servicebereichen steigern. Sie aufzuhalten, wird unmöglich sein. Wir müssen uns vielmehr mit den Chancen und Risiken gleichermaßen beschäftigen und unser bisheriges Denken verändern. Was aber tun, wenn vielleicht nur noch 50 Prozent der heutigen Jobs benötigt werden? Wirtschaft und Gesellschaft sind auf eine solche Entwicklung nicht vorbereitet. Es wird darauf ankommen, Arbeit anders zu verteilen. Vielleicht werden vier Stunden Arbeit am Tag ausreichen? Vielleicht wird es denselben Stundenlohn unabhängig von Beruf und Branche geben? Vielleicht wird ein bedingungsloses Grundeinkommen dafür sorgen, dass Bürger auch ohne Erwerbsarbeit ein würdiges Leben mit gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe führen können? In einer solchen Gesellschaft könnte die dann zusätzlich zur Verfügung stehende Zeit wieder mehr in die lokalen Gemeinschaften, in die Familie, die Gemeinde und das Ehrenamt investiert werden. Wenn wir diese Fragen offen stellen und gemeinsam nach Antworten suchen, kann aus dem, was uns heute an der Digitalisierung ängstigen mag, eine schöne Vision werden.
Autoren
Prof. Dr. Axel Uhl, Leiter der Fachstelle für Business Process Management, Institut für Wirtschaftsinformatik, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften,
axel.uhl@zhaw.ch
Dr. Nico Ebert, Dozent, Institut für Wirtschaftsinformatik, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften,
nico.ebert@zhaw.ch
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