„Low Performer fallen nicht vom Himmel“

Dr. Laurenz Andrzejewski
Dr. Laurenz Andrzejewski gilt als Deutschlands „Trennungspapst“. Im Interview spricht er über den Zusammenhang von Führungsqualität und Leistung – und erläutert, welche Fehler Vorgesetzte vermeiden sollten, wenn es zur Kündigung eines Mitarbeiters wegen Minderleistung kommt.
Personalwirtschaft: Stimmt die Formel „schlechte Führung = schlechte Leistung“?
Laurenz Andrzejewski: Ursachen für Minderleistung gibt es viele, beispielsweise veränderte Arbeitsbedingungen, Umbrüche im privaten Umfeld, etwa die Trennung vom Partner. Der Mitarbeiter ist ermüdet, demotiviert und ausgelaugt. Ein schlechter Führungsstil als Auslöser für Low Performance wird allerdings oft übersehen. Führungskräften fehlt es hier an Empathie und Klarheit. Sie geben ihren Mitarbeitern keine oder unwahrhaftige Rückmeldung, kennen die eigenen Leute oft nicht wirklich. Die Führungs-Performance des Vorgesetzten wird leider viel zu selten berücksichtigt, wenn Mitarbeiter „nicht performen“, wie es in der Sitzung dann heißt. Schnell geht man nach Schema F vor: Das Ergebnis stimmt nicht – ein Schuldiger wird gesucht und gefunden – raus mit ihm.
Was zeichnet gute Führung generell aus?
Entscheidend ist die innere Haltung eines Chefs: Sieht er überhaupt den Menschen im Mitarbeiter, oder nur die Zahlen? Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, gesehen zu werden. Gute Führung beinhaltet, die „transferable Skills“ der Menschen zu erkennen und Potenziale zu fördern. Ein humanistisches Menschenbild und ein Wertesystem geprägt von Respekt und Fairness werden auf Sicht hin immer erfolgreich sein, wie unter anderem auch in den „Augenhöhe-Filmen“ dargestellt. Wichtig ist das Interesse am ganzen Menschen. Das bedeutet auch, dass Führungskräfte eine sichere, sogar „familiäre“ Atmosphäre schaffen sollten, weil diese für den Zusammenhalt förderlich ist, was wiederum Bindung und Motivation verbessert. Gleichzeitig müssen Vorgesetzte von ihren Angestellten auch Eigeninitiative und Selbstverantwortung einfordern. Das stärkt auf Sicht die Employability der Mitarbeiter.
Welche Möglichkeiten haben Vorgesetzte, bei sich abzeichnender Minderleistung gegenzusteuern?
Der erste Schritt ist ein offener Dialog, in dem der Chef dem Mitarbeiter genau erläutert, was verändert werden muss, damit er den Anforderungen gerecht wird. Die Ermahnung und die Abmahnung als juristischer Akt kennen Personalprofis zur Genüge. Sollten diese Warnsignale nicht zur gewünschten Steigerung der Leistung führen, wird früher oder später über eine Trennung gesprochen werden müssen. Allerdings halte ich es für unökonomisch, eine Trennung von einem zuvor intensiv geförderten Mitarbeiter in Betracht zu ziehen, da im Vorfeld Geld für Fortbildungen, Zeit des Chefs und Kreativität investiert wurden. Insbesondere, wenn der Vorgesetzte das Gefühl hat, dass der Mitarbeiter „es packen“ könnte oder wenn ein Mitarbeiter aufgrund besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten unbedingt gehalten werden soll, erscheint es sinnvoll, zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine gemeinsame Absprache in Form einer sogenannten „Korrekturvereinbarung“ zu treffen.
Sie hat einerseits den Mitarbeiter im Blick, erzieht aber auch den Chef zu Reflexion, Klarheit und Vorausschau. Er muss sich wirklich mit dem einzelnen Menschen befassen – und das lohnt sich. Die Korrekturvereinbarung – als Pflicht – entlarvt aber auch den unfähigen Chef. Das HR-Management sollte ein Auge darauf haben, dass dieser Vorgesetzte seine Hausaufgaben macht und ihn bei der Erstellung der Korrekturvereinbarung tatkräftig unterstützen. HR muss im Zweifelsfall auch „nach oben eskalieren“, falls ein Vorgesetzter seinen diesbezüglichen Pflichten als Führungskraft nicht nachkommt.
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Vertrauensbildende Maßnahmen

Vertrauensbildende Maßnahmen erhöhen die Glaubwürdigkeit der Führungskraft in Veränderungsprozessen.
Beim ersten Mal tuts noch weh – werden Trennungsgespräche, die Führungskräfte mit Minderleistern führen müssen, mit der Zeit einfacher?
Nicht wirklich. Selbst vermeintlich „alte Hasen“ haben Angst davor, in einer solchen Situation Fehler zu machen – oder dass ihr Image Schaden nimmt. Bei jungen Chefs liegt die Sache ein wenig anders: Sie sind oft ungeübt und unreflektiert und machen deshalb unnötig viele und „dumme“ Fehler. Sie brauchen Support durch das HR-Management oder einen externen Coach.
Darf man hier überhaupt routiniert werden?
Einerseits: Ja. Hinsichtlich „technischer“ Aspekte und handwerklicher Dinge sollte man auf ein Trennungsgespräch gut vorbereitet sein. Handwerklich heißt: Ein solches Gespräch muss gut geplant sein was Formulierungen, Begründungen und den entscheidenden „Schulterschluss nach oben“ angeht.
Andererseits: Nein, es gibt keine Routine. Jedes Gespräch ist einzigartig. Das Gespräch findet statt mit einem Menschen, und jedes Individuum ist so speziell wie sein Fingerabdruck. Es braucht in jedem Gespräch die Empathie des Chefs. Leicht sind solche Gespräche für beide Seiten nicht – Überraschungen gibt es immer wieder. Da gibt es beispielsweise den jungen Chef, der einem älteren Mitarbeiter kündigen musste und der im Workshop berichtete: „Er hätte mein Vater sein können – und er hat geweint. Ich konnte das Gespräch nicht zu Ende führen.“ Aber es gibt auch positive Beispiele. Eine HR-Managerin berichtet: „Die betroffene Mitarbeiterin hat sich bei mir für die Klarheit bedankt.“ Sie hatte mit dem Vorgesetzten die Formulierungen mehrmals laut geübt.
Welche groben Schnitzer treten nach Ihrer Erfahrung bei Trennungsgesprächen immer wieder auf?
Ganz schlimm und verboten ist, Menschen zu stigmatisieren. Führungskräften, die ihre Mitarbeiter in Kategorien einteilen wie „der Zocker“, „die Heulsuse“, „der Aggressor“ oder „die Pflaume“, muss Einhalt geboten werden mit dem Hinweis: „So dürfen Sie nicht einmal denken!“. Eine Realität ist: Menschen verhalten sich unter Druck oder in Panik eben mal so, mal so. Da sind Überraschungen inbegriffen: Der Zweimetermann, mit dem man „durch Dick und Dünn“ gegangen ist, bricht in einem Trennungsgespräch plötzlich in Tränen aus. Die zarte Fee, von der man annahm, der leiseste Wind haucht sie um, fegt plötzlich wutentbrannt das Geschirr vom Tisch. Dabei sind Gefühlsausbrüche in den meisten Trennungsgesprächen nicht bedrohlich, sondern nur allzu menschlich. Vielleicht sogar ein gutes Zeichen: Die Botschaft ist angekommen. Eine Ermahnung wie „Bitte bleiben Sie sachlich!“ ist in dieser Situation unwirksam, sogar kontraindiziert. Das Thema Trennung ist hoch emotional. Also dürfen Emotionen sein. Jeder Vorgesetzte und HR-Manager sollte ihnen entsprechenden Raum geben, ohne allerdings zum Spielball der eigenen Gefühle zu werden. Denn: Mitarbeiter wissen sehr genau, wie sie ihren Chef aus dem Konzept bringen. Im Trennungsgespräch sollte das dank guter Vorbereitung und Selbstreflexion nicht passieren.
Kann man eine gute Trennungskultur lernen?
Oh ja, und man muss! Wie bereits angeklungen ist die Selbstreflexion der Akteure ein wichtiger Lernschritt, um im Verlauf der Gespräche „sicher zu stehen“. Zum Lernen gehören auch professionelle Grundlagen im Trennungsmanagement. Ich benutze da Vergleiche aus Sport und Musik: beim Tennis muss man die Rückhand üben- oder beim Saxophon den Ansatz der Lippen. Führungskräfte müssen dementsprechend bestimmte Formulierungen regelrecht üben. Zum Beispiel die ersten fünf Sätze, die Trennungsbegründung, die Schlussformulierung des Gespräches.
Im Performance Management – wenn sich andeutet, dass jemand nicht mitkommt – stellt sich immer wieder die Frage: „Wie sage ich's?“. Ein Beispiel für eine klare Ansage lautet: „Wenn das so weitergeht mit Ihnen, mache ich mir ernsthafte Sorgen, ob ich Sie im Vertrieb halten kann“ oder „Sollten Sie bis zum 30. Juni nächsten Jahres das Thema/die Technik/die Maschine… nicht beherrschen, dann muss ich Sie aus Sicherheitsgründen von diesem Arbeitsplatz entfernen – und mit Ihnen über Trennung reden.“
Der Beweis dafür, dass man es lernen und richtig gut machen kann, sind die zahllosen Führungskräfte, die bei mir im Workshop die Methodik erlernt und im Alltag umgesetzt haben. Seit 2009 sind die Ergebnisse von Unternehmen evaluiert und dokumentiert worden. Im Buch sind sie als „Best-Practice-Beispiele“ nachzulesen.
Generell: Aus welchen Gründen trennen sich Unternehmen heutzutage von ihren Mitarbeitern? Welche Gründe gibt es jenseits der Low Performance?
Nach wie vor spielt der wirtschaftliche Druck, dem sich Unternehmen ausgesetzt sehen, eine entscheidende Rolle. Allerdings erlebe ich neben Sparzwängen auch Profitgier. Da wird dann eher am Mitarbeiter als am Hubraum beim eigenen Dienstwagen gespart. Andere Gründe werden genannt: Digitalisierung, Globalisierung, verschärfte Regulatorien.
Welche Rolle können externe Berater beim Trennungsprozess einnehmen?
Speziell in der emotional aufgeladenen und konfliktträchtigen Situation eines Personalum- oder Abbaus kann ein erfahrener Berater hilfreich sein als Sparringspartner in der Reflexion der Dynamik eines Trennungsprozesses. Aus der professionellen Distanz sind sie fähig, die Lage „als Ganzes“ zu sehen – und entsprechende Fragen zu stellen, die intern oft nicht gestellt werden dürfen. Zudem können sich alle Beteiligten öffnen, da sie darauf vertrauen dürfen, dass der Coach sensible Informationen diskret und vertraulich behandelt. Das bringt den Austausch schnell voran. Berater können, wenn sie wirklich Trennungserfahren sind und über menschliche Integrität verfügen, in Zusammenarbeit mit Geschäftsleitung und HR durch professionelles Veränderungsmanagement wirtschaftliche Risiko-Prophylaxe betreiben, konkret: Einsparung versteckter Kosten und Vermeidung von Kollateralschäden erwirken.
Vielleicht hat gerade, wenn es um Trennung wegen Low Performance geht, ein Berater die Aufgabe, Chefs und HR-Manager daran zu erinnern, dass „alte“ Werte wie Respekt, Fairness, Wertschätzung und Achtsamkeit sich real ökonomisch auszahlen. Letztlich geht es ja auch um die Bindung und Motivation der Teams sowie die Sicherung von Image und Arbeitgebermarke, die im Recruiting eine wesentliche Rolle spielen.
Autor
Das Interview führte Sven Frost.
Literatur-Tipp
Andrzejewski, Laurenz; Refisch, Hermann: Trennungskultur und Mitarbeiterbindung. Kündigungen, Aufhebungen, Versetzungen fair und effizient gestalten. Köln, 2015.
Hoffmann-Remy, T.: Die Korrekturvereinbarung. Mannheimer Schriften zum Unternehmensrecht. Baden Baden, 2012.
Maschmann, F.: Rechtliche Grundlagen der Personalentwicklung – Ausbildungslehrgang Personalentwicklung. Regensburg, 2014.
Weitere Informationen zum Autor unter www.management1x1.de
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