Mit dem Ferrari auf Ibiza
Der skurrile Fall des Monats

Von David Schahinian
Der Beach-Club „Blue M.“ auf Ibiza, eine Schlägerei mit einem Türsteher, ein schneller Sportwagen, ein Strohmann – es fällt im ersten Moment schwer, die Begriffsreihe mit einem Arbeitsunfall der gesetzlichen Unfallversicherung in Einklang zu bringen. Genau mit dieser Aufgabe aber mussten sich das Sozialgericht (SG) Heilbronn und das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg auseinandersetzen.
Der Kläger handelte als Alleingeschäftsführer mit Fotovoltaik-Anlagen, bis sein Unternehmen 2008 in die Insolvenz geriet. Im selben Jahr gründete sein betagter Vater eine Firma, die ebenfalls Anlagen für erneuerbare Energien vertrieb. Der Sohn wurde „Generalbevollmächtigter im Außendienst“. Anfang 2013 erwarb er eine Kaufoption für einen Ferrari F 150 – eine limitierte Sonderedition, von der es nur 499 Exemplare gibt.
Am 15. September 2013 war der Kläger zwischen 23 Uhr und Mitternacht in eine Schlägerei mit dem Türsteher vor dem Club „Blue M.“ auf Ibiza verwickelt. Der Mann landete mit einem Schädel-Hirn-Trauma im Krankenhaus. Die Behandlung wurde in einer Klinik in Heilbronn und mit einer stationären Reha-Maßnahme bis zum 23. Dezember 2013 fortgesetzt. Bis heute hat er mit den Folgen der Verletzung zu kämpfen. Nach eigenen Angaben ist er erwerbsgemindert. Die Kosten der Auslandskrankenbehandlung beliefen sich auf rund 94 000 Euro, von denen seine gesetzliche Krankenversicherung 45 000 Euro bezahlte.
Einen Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit konnte der Kläger nicht beweisen.
„Geschäftlich auf Ibiza“
Seine Lebensgefährtin meldete den Vorfall am 13. November 2013 als Arbeitsunfall an. In einer ersten Stellungnahme gab der Mann an, geschäftlich auf Ibiza gewesen zu sein. Neben der Ferrari-Option habe er auch Fotovoltaik-Anlagen verkaufen wollen. Von Zeugen kamen unterschiedliche Aussagen darüber, ob es in den Geschäftsgesprächen im Wesentlichen um den Sportwagen oder auch um die Anlagen gegangen sei. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, ebenso wie das SG Heilbronn. Die Richter des LSG Baden-Württemberg bestätigten die Entscheidung. Es blieben eine Reihe offener Fragen und Zweifel, „die zu Lasten des Klägers gehen“. Das fange schon damit an, ob der Mann wirklich „Beschäftigter“ und damit gesetzlich unfallversichert war. Der Ablauf der Gründung des neuen Unternehmens nach der Insolvenz deute daraufhin, dass es sich um ein „Strohmann“-Unternehmen handelt. Der Verkauf der Ferrari-Option, um den es auf Ibiza nach Angaben des Gerichts sicher gegangen sei, gehöre nicht zum Geschäftsgegenstand. Die Gespräche um die Fotovoltaik-Anlagen hingegen blieben nebulös, was ebenfalls dagegen spricht, dass die Reise unter Versicherungsschutz stand. Auch irgendeinen Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit zum Zeitpunkt der Schlägerei konnte der Kläger nicht beweisen.
Häufige Streitpunkte
„Die Frage, ob ein bestimmter Vorgang ein Arbeitsunfall ist oder nicht, ist in Rechtsstreitigkeiten der gesetzlichen Unfallversicherung häufiger Gegenstand an den Sozialgerichten“, berichtet Dr. Steffen Luik, Richter und Pressesprecher am LSG Baden-Württemberg. Ein typischer Streitpunkt sei, ob überhaupt eine unter Versicherungsschutz stehende Tätigkeit verrichtet wurde. Das ist in der Regel, muss aber nicht unbedingt eine berufliche Tätigkeit sein: So wurden beispielsweise auch die Unfälle eines Schülers bei Projektarbeiten außerhalb der Schule (LSG BW, Az.: L 6 U 4904/14) und eines Bergwachthelfers bei der Rettung eines Skispringers (LSG BW, Az.: L 9 U 4750/12) als Arbeitsunfälle anerkannt.
Ein weiterer typischer Streitpunkt ist Luik zufolge, ob zum Unfallzeitpunkt ein ausreichender sachlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestanden hat oder die Ursache für den Unfall letztlich woanders zu suchen ist. In der Entscheidung um den Ibiza-Vorfall sei dies der Knackpunkt gewesen: „Zum Zeitpunkt des ‚Ereignisses‘ hat kein ausreichender Zusammenhang mit einer versicherten (beruflichen) Tätigkeit bestanden.“
Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 9. März 2017 (Az.: L 6 U 2131/16)
Vorinstanz: Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. April 2016 (Az.: S 6 U 4321/14)
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