„Die traditionelle Personalarbeit ist misstrauensbasiert“

Zur Person:
Dr. Reinhard K. Sprenger ist Führungsexperte, Unternehmensberater und Autor zahlreicher Fachbücher.
Wie steht es mit dem Vertrauen von Kollegen untereinander? Managementberater Reinhard K. Sprenger appelliert als Keynote-Speaker der Messe Personal Süd an die HR-Verantwortlichen, die Daumenschrauben zu lockern und mehr Selbstorganisation zuzulassen.
Interview: Kirsten Seegmüller
„Wir brauchen dringend die Wiedereinführung des Menschen ins Management.“
Personalwirtschaft: Herr Sprenger, die Welt ist voll von virtuellen Teams – Vertrauen bei der Arbeit ist also ein altes Thema. Was macht es jetzt so aktuell für Ihre Keynote?
Reinhard K. Sprenger: Nach der traditionellen Optimierung der Geschäftsprozesse stehen nun Veränderungen im kreativen Bereich an. Da stößt das Konzept von „command and control“ an seine Grenzen. Wenn man etwas komplett anders machen will, braucht man sehr viel Vertrauen, denn solche Prozesse lassen sich schwer berechnen. Man muss auf einmal Leuten vertrauen, die wie Verrückte daherkommen. Zwischen Kreativität und Organisation besteht ja traditionell ein massives Spannungsverhältnis. Organisation ist geradezu das Ausblenden von Kreativität.
Warum urteilen Sie so streng über Organisation? Unternehmen hatten schon immer Forschungs-, Entwicklungs- und andere kreative Abteilungen.
Organisation ist per se Alternativvernichtung. Aus dem „So-oder-so“ macht der Prozess des Organisierens ein „Nur-so“. Es geht dann um die Leitunterscheidungen richtig/falsch, entweder/oder. Kreativprozesse lassen sich aber nicht in diese Bipolarität zwingen. Deshalb muss die Organisation lernen, mit Ungeplantem, aber Zukunftsfähigem umzugehen. Zukunftsfähigkeit ist ohne Kreativität nicht zu haben – diese Brücke kann nur das Vertrauen bauen. Früher war die Kreativität in die Entwicklungsabteilung gleichsam ausgelagert. Heute müssen wir die Unternehmen insgesamt kreativer gestalten, damit Kreativität nicht nur auf das Schaffen neuer Produkte und Dienstleistungen beschränkt ist. Zentrale Kontrollinstanzen leisten das nicht. Sie werden zunehmend von selbstorganisierten Teams an der Peripherie abgelöst.
Wie sieht es mit dem größten Kapital aus – meinem Wissen?
Unter kompetitiven Bedingungen ist das Teilen von Wissen Selbstmord. Deshalb muss man den Wettbewerb innerhalb des Unternehmens schwächen beziehungsweise den Kooperationsvorrang stärken. Bei diesem Thema gehen die Unternehmen noch nicht weit genug. Wenn ich ein Unternehmen berate, lasse ich mir zunächst das Gehaltssystem zeigen. Dort sehe ich drei Dinge: erstens, was unter Leistung verstanden wird, zweitens, welche Leute ich dort vorfinde und welche nicht, und drittens, wie hoch der Vertrauenspegel ist. Je höher er ist, desto niedriger sind die Transaktionskosten. Oft wird durch das Gehaltssystem nur die Selbstoptimierung gestärkt.
„Zielvorgaben sind aus Misstrauen geboren.“
Welchen Anteil haben Personalmitarbeiter und HR-Manager bei der Vertrauensbildung?
Personaler haben einen massiven Einfluss, und der wird immer größer. Wir brauchen dringend die Wiedereinführung des Menschen ins Management. Leider ist die traditionelle Personalarbeit misstrauensbasiert, obwohl sie natürlich das Gegenteil behauptet. Sie tendiert zu einem bevormundenden Menschenbild, glaubt zu wissen, was für andere gut ist. HR-Manager garantieren zum Beispiel Anonymität bei Mitarbeiterbefragungen, um ehrliche Antworten zu erhalten. Das ist würdelos. Und sie misstrauen den Linienvorgesetzten, indem sie sie zwingen, Mitarbeitergespräche zu führen. Mit Vertrauen hat das alles nichts zu tun.
Aber wenn jemand befürchten muss, dass sich seine Antworten negativ auf seine Karriere auswirken, ist Anonymität sehr wichtig.
Aber sie gehört nicht in eine erwachsene Organisation. Ein zukunftsfähiges Unternehmen sagt: „Ich vertraue dir, dass du deine Meinung sagst und dazu stehst.“ Davon sind wir noch weit entfernt. Ich beobachte ein Anschwellen der Erniedrigungsbürokratie, vor allem in der Personalarbeit, weil sie mit vielem, was sie tut, Erwachsene infantilisiert. Dabei wissen die Menschen doch ganz genau, was sie brauchen und was nicht. Die HR-Abteilung sollte ihre gesamte Palette an HR-Instrumenten anbieten, dafür werben, aber diese nicht aufzwingen. Alle Maßnahmen, die vom Gesetzgeber nicht vorgeschrieben sind, stehen zur Disposition.
Und was haben Sie gegen Mitarbeitergespräche? Dort werden Ziele definiert, die beide Seiten für eine erfolgreiche Arbeit benötigen.
Zielvorgaben sind aus Misstrauen geboren. Ich bin ein entschiedener Gegner von Zielsystemen, wie sie heute gehandhabt werden. Vor allem die Verknüpfung individueller Ziele mit dem Entgeltsystem ist anachronistisch. Paradoxerweise scheint mir der Vorschlag Peter Druckers aus den 50er-Jahren nach wie vor richtig, mit Zielen Richtungen zu bestimmen und Energien zu bündeln.
Welche Maßnahmen können HR-Manager ergreifen, um Vertrauen zu schaffen?
Alle Systeme tendieren zum Selbstwerterhalt und zur Selbstvermehrung. Die HR-Abteilungen haben sich in den letzten Jahrzehnten ausdifferenziert und viel angebotsinduzierte Nachfrage erzeugt. Und wenn die Nachfrage schwächelt, werden die Leute gezwungen. Das wird vom Management toleriert, weil die HR-Abteilung eine Selbstberuhigungsfunktion für die Organisation hat. Vertrauen aber schafft man nur durch Verwundbarkeit. Also in diesem Falle dadurch, dass man sich abwählbar macht. HR-Manager müssen ihre Angebote zur Wahl stellen. Dann erzeugen sie den Verpflichtungssog des Vertrauens.
Wo sehen Sie Errungenschaften, Defizite und Handlungsbedarf in der Personalarbeit?
Die Personalarbeit will Macht und Einfluss. Die muss ihr aber von anderen freiwillig zugestanden werden. Dafür muss sie selbstbewusster werden, souveräner, der Freiheit vertrauen. Und nicht dem Zwang. Sie muss einen Sog erzeugen, keinen Druck. Wenn sie also Vertrauen schaffen will, wäre sie gut beraten, sich als Dienstleister im Wortsinne zu verstehen. Nicht fragen: „Was können wir?“, sondern: „Was brauchen Sie?“
Wie unterscheiden sich Vertrauen von Arbeitgeber zu Arbeitnehmer und dem von Kollegen untereinander?
Arbeitgeber und Arbeitnehmer gehen eine Leistungspartnerschaft ein. Dazu gehört der permanente Ausgleich von Geben und Nehmen. Das ist zunächst ein expliziter Vertrag, ein arbeitsrechtliches Verhältnis. Bei Arbeitnehmern untereinander sieht das etwas anders aus: Sie müssen sich vom Gegeneinander zum Miteinander entwickeln und, wenn es gut läuft, zum Füreinander. Das schafft man nicht ohne eine emotionale Komponente, also einen impliziten Vertrag. Das war früher leichter – heute sind die meisten Kollegen Fremde. Früher beruhte Vertrauen auf Vertrautheit. Heute steht man vor der Herausforderung, ins Vertrauen gleichsam zu springen. Die Soziologie nennt es „Instant-Vertrauen“. Das ist ohne ein hohes Maß an Selbst-Vertrauen unwahrscheinlich.
Gibt es ein „Organisationsprinzip Vertrauen“, einen schriftlich festgelegten Kodex?
Nein, auf keinen Fall schriftlich festlegen. In dem Augenblick, wo man es niederschreibt, springt einem das Gegenteil auf den Tisch, also das Misstrauen. Vertrauen und Misstrauen werden oft gegeneinander ausgespielt, dabei sind sie keine Widersprüche. Man braucht beides. Vertrauen ist ein Relationsbegriff, es geht um ein „Mehr-oder-weniger“. Ich muss die Frage beantworten, wie sehr ich wem in welcher Situation in Bezug auf was vertraue. Und ich darf den Raum der Selbsterhaltungsvernunft nicht verlassen. Freiheit ohne Grenzen ist Chaos.
Fast Facts zur Personal Nord und Süd
Personal Nord 25. und 26. April, Hamburg Messe, Halle 4 Öffnungszeiten: täglich von 9.00 bis 17.30 Uhr Mit dem Spotlight„Mobile Mindset“ lockt die Messe Personal Nord 2017 die Fachbesucher nach Hamburg. Mit deutlich jüngeren Keynote-Speakern setzen die Organisatoren noch stärker auf die Vernetzung von Menschen und Dingen – Smart Living, Smart City, Smart People. Remote-Work-Vordenker Fabian Dittrich beispielsweise gibt einen Einblick, wie ein Nomaden-Unternehmen funktioniert und was klassische Unternehmen davon lernen können. Wie man „älter und cooler“ und mit 40 plus von der Digitalisierung nicht abgehängt wird, erfahren die Fachbesucher in der Start-up-Area in Halle 4. Personal Süd 9. und 10. Mai, Messe Stuttgart, Halle 1 Öffnungszeiten: täglich von 9 bis 17.30 Uhr Rund 320 Aussteller präsentieren ihre Produkte und Dienstleistungen einem Fachpublikum von Personalentscheidern, Führungskräften aus Unternehmen, Verwaltungen und Non-Profit-Organisationen. Parallelveranstaltung: Corporate Health Convention Die Corporate Health Convention ist die europäische Fachmesse für betriebliche Gesundheitsförderung und Demografie. Das Ausstellungsspektrum reicht von Betrieblichem Gesundheitsmanagement und Ergonomie über Stress- und Suchtprävention bis hin zur Arbeitssicherheit. Mit Ihrer Eintrittskarte haben Sie freien Zugang zur parallel stattfindenden Corporate Health Convention. |
Highlights der Personal Süd
Wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus? Welchen Einfluss haben selbstorganisierte Teams, die über Facebook & Co. kooperieren, auf ihre Gestaltung? Der Wandel weg von zentralisierter Mitarbeiterführung hin zu dezentralen Organisationsstrukturen geht weit über das Mobile Working hinaus. Einerseits erleichtert und beschleunigt die Einbeziehung sozialer Netzwerke die tägliche Arbeit – andererseits müssen die Mitglieder globaler virtueller Teams künftig mehr Verantwortung übernehmen. Auch für das Personalmanagement bedeutet der Abschied von klassischen Hierarchien eine Herausforderung. Deshalb stellt die Messe Personal Süd die „Generation Netzwerk“ als Spotlight in den Mittelpunkt und widmet gleich zwei Keynotes diesem Thema:
In eigener Sache: Die von Chefredakteur Cliff Lehnen moderierte Podiumsdiskussion zum Thema „Die wichtigsten Kennzahlen für Ihr Recruiting“ präsentiert die Ergebnisse unserer Titelstrecke aus Heft 4. Wir stellen die wichtigsten KPIs vor, diskutieren, welche Werte für welche Recruiting-Ziele wichtig sind – und wie man den ersten Schritt zum wasserdichten KPI-Set macht. 10. Mai, 14.40 bis 15.25 Uhr, Praxisforum 3 Für HR-Verantwortliche hält das Messeprogramm aber noch zahlreiche weitere Themen bereit: Am „HR Roundtable“ erfahren Fachbesucher alles Wissenswerte von der Stellenanzeige und dem Bewerbungsmanagement 3.0 über Benefits und Feedbackkultur bis hin zum Demografiemanagement. Diese Best-Practice-Beispiele sind sofort umsetzbar. Vorgestellt wird auch der „HR Guidefix“, eine Plattform, auf der sich HR-Manager und HR-Mitarbeiter in einer Community vernetzen und voneinander lernen können. Auf der „Aktionsfläche Training“ können sich Personaler Tipps für die optimale Mitarbeiterentwicklung abholen. Am 9. Mai geht es beispielsweise um authentische Führung, Umgangsformen, Outdoor-Expeditionen sowie um Konzentration im Büro. Am 10. Mai stehen Change-Prozesse, Stressbewältigung, agile Teams und Smalltalk auf der Agenda. Auch bei ihrem Rundgang auf der Messe können sich die Fachbesucher an Schwerpunktthemen orientieren – beispielsweise Hard- und Software, Personal- und Rechtsberatung, Recruiting, Weiterbildung, Training und E-Learning, Corporate Health, Arbeitsplatz- und Büroausstattung sowie Seminarorganisation und andere Dienstleistungen. Besuchen Sie die Redaktion in Halle 1 an Stand D40. Wir freuen uns auf Sie! |
„Vertrauen führt … weil es den Unterschied im Wettbewerb macht“ Keynote von Dr. Reinhard K. Sprenger
Mittwoch, 10. Mai 2017 14.40 bis 15.25 Uhr
Personal Süd
Praxisforum 1
- Kohle, Zaster, Schotter, Knete
- Immer auf die Kleinen
- Von wegen Mindestlohn
- Mit Beharrlichkeit und Bescheidenheit
- Mutige Personaler gesucht
- „Der Personaler muss seinen Job neu justieren“
- Wanderin zwischen den Welten
- Klotzen statt kleckern beim Entwickler-Recruiting
- „Im Zweifel hilft Galgenhumor“
- Verdienen Sie genug?
- So verhandeln Sie erfolgreich Ihr Gehalt
- Riskante Tort(o)ur
- Gesund und fit bleiben mit Strategie
- Wissenschaft trifft Praxis
- „Viele Personaler überschreiten ihre Grenzen“
- Raus aus der Teilzeitfalle
- Mit dem Ferrari auf Ibiza
- Kopftuchverbot kann rechtens sein
- Wenn die Maschinen übernehmen
- Per App zur internen Karriere
- Mehr Freiheit, mehr Verantwortung
- Vom Innovationsmanagement zur effektiven Innovationskultur
- Gute Zeiten für Personaler auf Jobsuche
- „Wir hinterfragen Hierarchien und Statusdenken“
- Alte Hasen werden abgeholt, Neulinge brauchen mehr
- Gute Inspiration für Transformation
- Looking for Freedom
- „Die traditionelle Personalarbeit ist misstrauensbasiert“
- Spooky VUCA World
- Bald weht ein anderer Wind