Looking for Freedom
New Work Experience
Wer „New Work“ sagt, hofft auf eine Arbeitswelt mit mehr Freiheit. Freiheit von Krawatten, von festen Arbeitszeiten und -orten, teils auch von festen Arbeitgebern. Bei der New Work Experience in Berlin wurde über all das lebhaft diskutiert.
Von Rico Grimm
Mit den alten Regeln der Arbeitswelt brechen, bewusst und gerne auch demonstrativ – darum sollte es bei der Konferenz „New Work Experience“ im Berliner Westhafen gehen, die Xing zum ersten Mal in diesem Rahmen organisiert hat. 750 Menschen waren gekommen, um sich in Dutzenden Workshops auszutauschen und den Keynotes zu lauschen. Das große, überragende Motiv fast aller Sessions waren die Themen Digitalisierung und Automatisierung. Wie verändern sie die Arbeit an sich? Was bedeutet das für die Arbeitenden? Und: Wie müssen sich Unternehmen und Personalverantwortliche wandeln, um in der neuen Welt zu bestehen?
Wandel braucht Bildung
Wie drängend diese Fragen sind, wurde in dem Vortrag von Carl Benedikt Frey deutlich. Der Wissenschaftler forscht in Oxford zu den Folgen der Automatisierung und legte 2013 eine Studie vor, die weltweit die Debatten über das Thema bestimmt. Jede neue Folie in seiner Präsentation wirkte wie ein Ausrufezeichen: Die drei größten Firmen des Silicon Valley sind dreimal so viel wert wie die drei größten Firmen der Industriemetropole Detroit – doch sie beschäftigen nur einen Bruchteil an Mitarbeitern. Nur jeder 200. US-Amerikaner arbeitet in einer Industrie, die erst im 21. Jahrhundert entstand; eine Zahl, die im krassen Missverhältnis zur kulturellen und ökonomischen Bedeutung dieser Industrien steht. Auch wichtig: In Regionen, in denen die Gefahr am größten ist, dass die Automatisierung Jobs vernichtet, haben Menschen auch besonders häufig für den Brexit und für Donald Trump gestimmt. „Wirtschaftliche Polarisierung führt zu politischer Polarisierung“, sagte Frey.
Transformation: Nicht ohne die Mitarbeiter
Die Leiterin der Führungskräfteentwicklung der Deutschen Bahn, Ursula Schütze-Kreilkamp, formulierte im Panel „Beyond HR“ mit Matthias Schulz (IBM), York Scheunemann (Google) und Rosa Riera (Siemens) ähnliche Gedanken: „Was machen wir mit dem Buchhalter, dessen Arbeit automatisiert wird? Da beginnt HR-Arbeit: Welche Talente hat er? Wo kann er die nun am besten entfalten?“ Ihrer Meinung nach versteckten sich Personaler noch zu sehr in ihren eigenen Betrieben. „HR fehlt an vielen Stellen in den Unternehmen, wo Transformation stattfindet. Genau deswegen wird unsere Arbeit auch so stark hinterfragt.“ Im Gespräch schälte sich ein Konsens über die neue Rolle von Personalern in den Unternehmen heraus: Sie sollten diejenigen sein, die den Wandel vorantreiben, ja. Aber mehr noch diejenigen, die den Mitarbeitern dabei zur Seite stehen und ihnen im Zweifel die Angst nehmen.
HR darf experimentieren lernen
Auch HRler müssten beginnen, mit den Möglichkeiten zu spielen, die ihnen die Digitalisierung bietet, forderte der Organisationswissenschaftler Ayad Al-Ani. „Versuchen Sie eine Umgebung zu schaffen, in der nicht gleich die ganze Organisation gefährdet ist, wenn die Experimente schiefgehen“. Al-Ani war Teil eines von Personalwirtschaft-Herausgeber Jürgen Scholl moderierten Panels zur Plattformökonomie, griffiger zusammengefasst unter den Schlagwörtern „Gig Economy“ oder „Crowdworking“.
Über zahlreiche Plattformen können Unternehmen inzwischen online Aufträge vergeben. Die Plattformen unterscheiden sich zum Teil stark voneinander, allen gemein ist aber, dass sie ein Werkzeug sind, das die Arbeit von HR grundlegend verändern kann. Es gehe darum, betonte Al-Ani, die verschiedenen Plattformen mit ihren Stärken und Schwächen zu analysieren und zu lernen, wie sie in den Alltag integriert werden können. Karl-Heinz Brandl, Leiter des Bereichs Innovation und Gute Arbeit bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, ergänzte: „Die Auslagerung auf Plattformen schafft in der Realität auch neue HR-Jobs, weil die Qualitätssicherung enorm wichtig ist.“ Die Gewerkschaften weisen insbesondere auf die faire Behandlung und Bezahlung von Crowdworkern hin – auch dies eine Verantwortung, die HR mittragen muss.
Gleichwohl: In Zeiten von New Work wissen es manche Mitarbeiter durchaus zu schätzen, regelmäßig mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Und für manche kann die Arbeit auf den Plattformen ein Weg Richtung Selbstbestimmung sein. „Für Talente können Plattformen ein ganz neues Umfeld bieten“, findet Bastian Unterberg, Gründer und Geschäftsführer der Plattform Jovoto daher. Jovoto bringe kreative Köpfe zusammen und helfe Unternehmen, innovative Lösungen für komplexe Fragestellungen zu finden – es werde niemand ausgebeutet oder unter Leistungs- und Preisdruck gesetzt.


Emotionaler Höhepunkt der Veranstaltung: Der Auftritt von Professor Frithjof Bergmann, der bereits seit den späten 1970ern am New-Work-Konzept arbeitet und den Klassiker „Neue Arbeit, Neue Kultur“ formuliert hat. Bergmanns Plädoyer: „Stärkt, stärkt, stärkt Menschen! Das ist, was wir brauchen!“ Standing Ovations.
Awards für Unternehmen und Individuen
Xing verlieh am Abend auch die „New Work Awards“, die neue Konzepte der Arbeit auszeichnen. Unter den Gewinnern in der Kategorie „Junge Unternehmer“ war etwa die Agentur Leadership3, die Selbstbestimmung innerhalb von Teams verbessern will. Sie hilft dabei, „kollektive Führung“ zu entwickeln und im Arbeitsalltag auch tatsächlich zu nutzen. Weitere Gewinner in dieser Kategorie waren die Social Selling Community „Pippa & Jean“ sowie die Wirtschaftsplattform für Frauen „Edition F“. Bei den etablierten Unternehmen gewannen die Tele Haase Steuergeräte GmbH, die sich in „einem intelligenten Organismus“ selbst steuert (Platz 3), die Traum-Ferienwohnungen GmbH, bei der es keine Führungskräfte mehr gibt (Platz 2) und Cisco, das es seinen Mitarbeitern technisch und organisatorisch ermöglicht hat, von jedem Ort auf der Welt zu arbeiten (Platz 1). Erstmals wurden auch sechs Individuen als „New Worker“ ausgezeichnet, weil sie Werte der neuen Arbeitswelt bereits vorleben und anderen Menschen vermitteln.
Freiheit, die ich meine
Unter dem Strich ein lohnenswerter Event, bei dem es Xing gelang, zahlreiche Vorreiter einer neuen Arbeitswelt mit mehr Freiheit und weniger Hierarchie zusammenzubringen. Letztlich aber saßen die Menschen mit dem größten Grad an Selbstbestimmung nicht unbedingt auf den Bühnen und redeten. Denn ein wahrer Akt der Freiheit spielte sich etwas abseits ab: Die zwei Musiker, die das Programm begleiteten, machten sich das erste Bier des Tages auf. Da war es zwanzig nach vier.
Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags mit allen ausgezeichneten „New Workern“ sowie eine Bilderstrecke zum Event finden Sie auf www.personalwirtschaft.de in der Rubrik „Der Job HR > Arbeitswelt“.
Bereits heute können Sie sich Tickets für die New Work Experience 2018 am 6. März 2018 in der Hamburger Elbphilharmonie sichern: goo.gl/KBzfEr
KLICKTIPP
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